Demokratie und väterliche Autorität

Das Karlsruher „Stichentscheid“-Urteil von 1959 in der politischen Kultur der frühen Bundesrepublik

Anmerkungen

1. Das Lächeln der Verfassungsrichterin

Gewöhnlich haben Richter ein Urteil mit ernster Miene zu verkünden. Umso bemerkenswerter ist der Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 30. Juli 1959 über das Verhalten von Erna Scheffler am Vortag. Scheffler, die einzige Frau unter den Richtern des seit 1951 bestehenden Bundesverfassungsgerichts, habe dessen Entscheidung zum so genannten „väterlichen Stichentscheid“ mit „einem Lächeln“ verkündet.1

Laut dieses Urteils des obersten bundesdeutschen Gerichts führte die „zwischen den Eltern bestehende sittliche Lebensgemeinschaft und ihre gemeinsame, unteilbare Verantwortung gegenüber dem Kinde [...] in Verbindung mit dem umfassenden Gleichberechtigungsgebot der Verfassung im Bereich der elterlichen Gewalt zu voller Gleichordnung von Vater und Mutter“.2 Mit dieser Entscheidung erklärte das Gericht zwei Paragraphen des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957 für nichtig, in denen sich ein patriarchalisches Verständnis elterlicher Autorität niedergeschlagen hatte. Paragraph 1628 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sah vor, dass in Erziehungsfragen der Vater das letzte Wort habe, und Paragraph 1629 bestimmte, dass die Vertretung des minderjährigen Kindes allein ihm zustehe. Zwar betonten 1959 auch die Verfassungsrichter, dass die „objektiven biologischen oder funktionalen [...] Unterschiede“ der Geschlechter im Familienrecht eine je spezifische rechtliche Bestimmung der Rolle für die Ehegatten erlaubten. Mit dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes sei etwa durchaus zu vereinbaren, dass nach Paragraph 1360 des BGB „die Ehefrau ihre Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushaltes“ erfülle, „der Ehemann [dagegen] [...] durch Erwerbstätigkeit“. Anders lägen die Dinge jedoch bei der Erziehung der Kinder. Das Prinzip des väterlichen Stichentscheids, für das sich die Bundesregierung und der Bundestag ausgesprochen hatten, lasse sich nicht aus den objektiven Unterschieden zwischen Männern und Frauen herleiten. „Für die verfassungsrechtliche Beurteilung“, argumentierten die Richter, sei „maßgebend, daß die bestehenden Verschiedenheiten - mag man sie biologisch oder funktional nennen -“ gegenüber „den vergleichbaren Elemente[n]“ in den „Beziehungen von Vater und Mutter zu den Kindern“ zu vernachlässigen seien. Aus Sicht des Gerichts waren daher „die Beziehungen beider Eltern zu Kindern ihrem Wesensgehalt nach gleich“.3 Im Rahmen des bürgerlichen Rechts war mit diesem Karlsruher Urteil der Familienpatriarch entthront. Künftig hatte der Vater nicht mehr das letzte Wort: Sollten sich Vater und Mutter ausnahmsweise nicht einigen können, hatten nun beide das Recht, einen Vormundschaftsrichter anzurufen, der eine Rolle als „entscheidende Instanz ‚letzter Linie‘“ übernehmen sollte.4

Das epochemachende Urteil des Gerichts war ein Schlag ins Gesicht der CDU-geführten Bundesregierung und löste unter den Anhängern einer patriarchalischen Familienordnung einen Sturm der Entrüstung aus. Dabei tat sich vor allem der „Rheinische Merkur“ hervor. Der Leitartikel, mit dem die einflussreiche konservativ-katholische Wochenzeitung auf das Urteil reagierte, wies die Argumentation des Gerichts entschieden zurück. Mit ihrer Entscheidung seien die Hüter der Verfassung dem „‚Trend‘ dieser Zeit“ gefolgt, „die vaterlose Gesellschaft als Leitidol zu etablieren“. Statt die Familie als „Keimzelle aller irdischen Gemeinschaft“ zu schützen, hätten sich die Richter einer Argumentation bedient, die den Geist „verstaubte[r] Geltungskämpfe aus der Ära der Suffragetten“ atme. „Dank dieser Prinzipientreue“, warnte der „Rheinische Merkur“, „stehen wir nun vor einem Einbruch der ungeeignetsten Instanz, nämlich des Staates, in jenen Bereich, dessen innere Ordnung und Gesundheit erst den guten Staat als Verband möglichst vieler guter Familien ausmacht“. Das Urteil beruhe auf der „abenteuerliche[n] Irrlehre, daß der Staat - repräsentiert vom Vormundschaftsrichter - der legitime Vater- und Mutter-Ersatz sei“, und entspreche insofern „jene[n] wilden Anfangszeiten des Sozialismus, als anarchistisch lebende Berufsrevolutionäre sich der Frau gegenüber dadurch entpflichteten, daß sie deren unbeschränkte Freiheit und Gleichheit proklamierten“. Man könne sich leicht vorstellen, „wie vergnügt man sich in der Sowjetzone die Hände über diese formaldemokratische Einebnung der Familie reiben wird“. Um den Schaden zu begrenzen, solle der Bundestag noch einmal die Frage aufgreifen, wie der Staat „Ehe und Familie in ihrer vorhandenen Kulturüberlieferung“ schützen könne. Zudem müsse die Bundesregierung umgehend ein „Oberste[s] Bundesgericht“ schaffen, um den Einfluss der Verfassungsrichter zu beschneiden, bevor diese die Familienpolitik durch eine weitere Entscheidung gefährden könnten.5

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Sieht man von dem Aufruf ab, das Bundesverfassungsgericht zu entmachten, finden sich in diesem Leitartikel des „Rheinischen Merkur“ noch einmal die Kernelemente eines „christlich-abendländischen“ Leitbildes der Ehe und Familie. Wie zahlreiche Studien zur Geschlechtergeschichte der frühen Bundesrepublik gezeigt haben, knüpfte die Regierung Adenauer an christliche Politikentwürfe aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert an.6 Vor allem Adenauers seit Oktober 1953 amtierender Familienminister Franz Joseph Wuermeling pries die „bürgerliche“ Familie und eine Hierarchie der Geschlechter als Garanten der Stabilität sowie als moralische Waffen im Kampf gegen die nationalsozialistische Vergangenheit und die neue kommunistische Bedrohung. Statt die Gleichberechtigung von Männern und Frauen innerhalb der Familie zu ermöglichen, wie es Frauenrechtlerinnen und Soziologen gefordert hatten, schrieb das 1957 verabschiedete Familiengesetz die patriarchalische Geschlechterordnung fest, indem es den Vätern die entscheidende Autorität zuwies und das Leitbild der „Hausfrauenehe“ bekräftigte. Folgt man Robert G. Moeller, gab es während der Ära Adenauer in der „Diskussion über die Stellung der Frau und die Struktur der Familie [...] wenig Raum für Experimente irgendwelcher Art“. In den 1950er-Jahren habe es einen breiten Konsens gegeben, dass die Familie „Erneuerung und Schutz, nicht die Konfrontation mit neuen Entwürfen“ verdiene.7

So anregend, schlüssig und einflussreich diese Lesart der Geschlechtergeschichte der frühen Bundesrepublik ist - eines kann sie nicht recht erklären: das Lächeln der Bundesverfassungsrichterin Erna Scheffler, als diese am 29. Juli 1959 für das Karlsruher Gericht den väterlichen Stichentscheid als verfassungswidrig verwarf. Immerhin war Scheffler eine feministische Vorzeigejuristin ihrer Generation. Sie hatte sich ihren Platz im Karlsruher Gericht mit einer fulminanten Kritik des patriarchalischen Ehe- und Familienrechts auf dem deutschen Juristentag von 1950 verdient und nach ihrer Wahl zur Verfassungsrichterin den Gesetzentwurf der Bundesregierung öffentlich als „tragisch, wenn nicht lächerlich“ bezeichnet, da dieser das Patriarchat ebenso sichere wie das alte BGB.8 Noch am Tag der Verkündung schrieb Scheffler an Marie-Elisabeth Lüders, sie empfinde es als „eine der schönsten Freuden“, „Ihnen das Urteil schicken zu können“.9 Es kann daher kaum überraschen, dass die Verfassungsrichterin das Ende des Stichentscheids als „Krönung ihres Werkes“ empfand, wie sich der Familienrechtler Wolfram Müller-Freienfels heute erinnert, den der Juristinnenbund im Februar 1959 gemeinsam mit Helmut Ridder beauftragt hatte, jene vier Mütter zu vertreten, die gegen die Paragraphen 1628 und 1629 des BGB Verfassungsbeschwerde erhoben hatten.10 Selbstverständlich griffe es zu kurz, Scheffler als eine Ausnahmeerscheinung zu deuten, der es gleichsam zufällig gelang, dem patriarchalischen Geist der Ära Adenauer eine verfassungsrechtliche Nase zu drehen, indem sie ihre sieben Kollegen des Ersten Senats überredete, eine Entscheidung mitzutragen, die diese abgelehnt hätten, wären sie sich der Konsequenzen ihres Urteils bewusst gewesen.

2. Anfänge einer emanzipatorischen Geschlechterpolitik

Vielleicht kommt man Schefflers Lächeln auf die Spur, indem man zwei Säulen einer patriarchalischen Geschlechterordnung unterscheidet. Die eine umfasst die sozial- und arbeitsrechtlichen Dimensionen. Hier gab es in der Tat bis weit in die 1960er-Jahre hinein einen breiten Konsens, dass Frauen ihren Beitrag zum Unterhalt der Ehe und Familie primär durch Hausarbeit, Männer dagegen durch außerhäusliche Berufstätigkeit zu leisten hätten. Nur eine kleine Minderheit plädierte für arbeitsmarkt- und sozialpolitische Modelle, die es erleichtern sollten, Familie und Beruf zu vereinbaren.11 Die andere Säule umfasst dagegen die rechtliche Normierung von Macht und Herrschaft im Verhältnis der Geschlechter. Hier ging es buchstäblich darum, wem der Gesetzgeber in Fragen des ehelichen Zusammenlebens und der Erziehung der Kinder das letzte Wort zusprach. In den 1950er-Jahren konzentrierte sich die Kritik an der patriarchalischen Geschlechterordnung auf diesen Aspekt. Dass Scheffler und ihre Richterkollegen die rechtlich vorgeschriebene väterliche Vorherrschaft im engeren Sinne für verfassungswidrig erklärten, lässt sich daher als familienpolitische Zäsur und epochemachender Durchbruch einer emanzipatorischen Geschlechterpolitik interpretieren. Laut Marie-Elisabeth Lüders beendete das Urteil einen fünfzig Jahre zurückreichenden Kampf für die „Anerkennung elementarster Selbstverständlichkeiten“. In ihren Memoiren betonte die Wortführerin der liberalen Frauenbewegung in der frühen Bundesrepublik, dank Schefflers „geradezu glänzender Darlegung aller juristischen Für und Wider“ sei es gelungen, „die sinnlose und verfassungswidrige Formulierung“ des Stichentscheides „zu Fall zu bringen und damit die vorbehaltlose Gleichberechtigung beider Ehepartner [...] durchzusetzen“.12

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Auch wenn man über die Grenzen der Bundesrepublik hinausblickt, war das Karlsruher Urteil bemerkenswert. Abgesehen von den skandinavischen Ländern, die bereits in den frühen 1920er-Jahren dem Patriarchen seine familienrechtliche Legitimation entzogen hatten, kannte das Familienrecht aller anderen europäischen Demokratien zu Beginn der 1960er-Jahre weiterhin die Institution des väterlichen Entscheidungsrechts oder „Stichentscheids“. „Le mari est le chef de la famille“, hieß es etwa in Art. 213 des französischen Code civil - und dabei handelte es sich um eine entschärfte Version der bis 1938 geltenden Fassung: „Le mari doit protection à sa femme, la femme obéissance à son mari.“13 Griechenland und Österreich kannten als einzige europäische Staaten bis in die späten 1970er-Jahre sogar noch das Institut der „väterlichen Gewalt“. Dem Familienrecht der Donaurepublik galt dieses patriarchalische Privileg als „unverzichtbar, unveräußerlich [und] unvererblich“. Nach Paragraph 198 ABGB trat „beim Tode des Vaters [...] daher kein Übergang auf die Mutter ein; es wird ein Vormund bestellt“. Die Forderung kommunistischer und sozialistischer Politikerinnen, die väterliche Gewalt durch ein „mütterliches Recht den Kindern gegenüber“ zu ergänzen, verhallten in der Zweiten Republik ohne Echo.14

Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts entsprach einem in der westdeutschen Öffentlichkeit verbreiteten Bedürfnis, väterliche Autorität nicht mehr als ein natürliches Entscheidungsrecht des Mannes und als ein hierarchisches Verhältnis von Befehl und Gehorsam zu interpretieren. Das war insofern erstaunlich, als zu Beginn der 1950er-Jahre selbst ein linksliberales Organ wie „Die Gegenwart“ den „väterlichen Stichentscheid“ verteidigt hatte. „Irgend jemand muß schließlich die Entscheidung treffen“, betonte im August 1952 der Mitherausgeber Max von Brück, ohne jedoch zu begründen, warum nicht auch die Mutter bestimmen könne.15 Am Ende der 1950er-Jahre dagegen stieß das endgültige Aus für den väterlichen Stichentscheid in der Presse auf breite Zustimmung - sieht man vom „Rheinischen Merkur“ ab. Obwohl Ende Juli 1959 eigentlich Gerüchte die Titelseiten beherrschten, ein USA-Besuch des sowjetischen Ministerpräsidenten Nikita Chruschtschow stehe unmittelbar bevor, war das Karlsruher Urteil in allen Zeitungen Gegenstand des Aufmachers und des Leitartikels. Die „Frankfurter Rundschau“ begrüßte die Entscheidung des Gerichts „ohne Einschränkung“: Es bestehe „kein Zweifel“, so der Kommentar, „daß die beiden für nichtig erklärten Paragraphen dem Gleichberechtigungsgrundsatz unseres Grundgesetzes widersprochen haben“.16 Der Leitartikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erinnerte an die „mit viel weltanschaulicher Wolle begründeten Umschreibungen des betreffenden Paragraphen“, die zwar „das gemeinsame Entscheidungsrecht“ betonten, „um dann doch zuletzt das Entscheidungsrecht des Vaters festzustellen“. Die verquaste Rede von der ‚christlich-abendländischen‘ Familie habe aber ebensowenig wie „die unschöne Wortbildung ‚Stichentscheid‘“ davon ablenken können, „daß hier der Grundsatz der Gleichberechtigung durchbrochen war“.17 Von einem „schwarzen Tag“ der Väter sprach spöttisch „Die Welt“. „Die Zeit“ freute sich darüber, dass nun die „letzte Bastion väterlicher Vorherrschaft“ gefallen sei, und die „Deutsche Zeitung mit Wirtschaftszeitung“ sah die Idee eines väterlichen Stichentscheids nach dem Urteil in der „Rumpelkammer der Geschichte“.18 Selbst die damals noch den Unionsparteien nahestehende „Süddeutsche Zeitung“ begrüßte das Urteil und erinnerte an die „ungeheure soziale Umwälzung der letzten Jahrzehnte“ - eine wenn auch etwas ungenaue Umschreibung für die Erfahrung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges. Diese habe „die Frau in der Ehe zur Partnerin des Mannes gemacht und ihr in weit größerem Maße als früher die Verantwortung für die Erziehung der Kinder auferlegt, ihr aber auch durch Bildung und Beruf die Fähigkeit gegeben, diese Aufgabe zu bewältigen“.19

Sogar die Mehrzahl jener konservativen Experten für Familienrecht, die während der siebenjährigen Entstehungsgeschichte des „Gleichberechtigungsgesetzes“ vom 18. Juni 1957 dafür eingetreten waren, dass dem Mann und Vater in Ehe und Familie das letzte Wort gehöre, akzeptierte das Karlsruher Urteil stillschweigend. Einige unter ihnen plädierten sogar ausdrücklich für einen pragmatischen Umgang mit der Entscheidung. Das galt etwa für Günther Beitzke, der sich als Mitglied der Familienrechtskommission der Evangelischen Kirche Deutschlands und als Sachverständiger im Bundestagsausschuss für Rechtswesen zugunsten des väterlichen Stichentscheids eingesetzt hatte. Zwar kritisierte der Göttinger Jurist im November 1959 einzelne Argumentationsschritte der Karlsruher Richter. Deutlich wies er jedoch die Position seines Bonner Kollegen Friedrich Wilhelm Bosch zurück, der die Gesetzeskraft des Urteils vom Juli 1959 bezweifelt hatte. Statt einer solchen Fundamentalopposition sollten sich die Familienrechtler nun darauf konzentrieren, „ein Aushilfs-Entscheidungsrecht des Vormundschaftsgerichts in engen Grenzen“ zu halten - ein Argument übrigens, in dem er sich mit liberalen Familienrechtlern einig war und das Scheffler selber bereits auf dem Deutschen Juristentag im September 1950 formuliert hatte.20 In der von der „Arbeitsgemeinschaft für öffentliche und freie Wohlfahrtspflege“ herausgegebenen Zeitschrift „Soziale Arbeit“ notierte die Rechtsanwältin und Kritikerin der patriarchalischen Elemente im Gleichberechtigungsgesetz Emmy Engel-Hansen im Dezember 1959 ebenso lakonisch wie zufrieden, es sei in Zukunft „müßig“, sich weiterhin mit den „Verfechter[n] des Stichentscheides“ auseinanderzusetzen. Denn das Urteil der Karlsruher Richter besitze „Gesetzeskraft“ und binde die Gerichte.21 Die Karawane der Rechtsexperten, welche die Frage der väterlichen Autorität von der Verabschiedung des Grundgesetzes bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts immer wieder diskutiert hatte, zog weiter. Wenige Monate nach der Verkündung des Urteils war nur noch strittig, ob es auch für die Zeit der „Scheinherrschaft des Paragraphen 1629“, nämlich die Zeit vor dem 29. Juli 1959, Geltung beanspruchen könne.22

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Auf Zustimmung stießen Scheffler und ihre Richterkollegen zudem bei jenen katholischen Laien, die in der Familien- und Jugendarbeit tätig waren und sich vor dem Hintergrund ihrer praktischen Erfahrungen immer offener vom katholischen Klerus distanzierten, der die theologische Begründung für den Letztentscheid des Vaters geliefert hatte. Der Chefredakteur der „Zeitschrift für Caritasarbeit und Caritaswissenschaft“, Karl Borgmann, kritisierte jene „katholische[n] Juristen und Schriftsteller“, die argumentiert hatten, das Urteil verstoße „gegen die Lehre der katholischen Kirche“. Deren Haltung sei nach der Karlsruher Entscheidung nicht nur realitätsblind, sondern verstelle auch den Blick auf die „Vorteile“, die „durch den Wegfall des Stichentscheides gegeben“ seien. Seinen Gegnern hielt Borgmann vor, das „Prinzip der väterlichen Autorität blind“ anzuwenden. Zweifellos nehme der „gute Vater an den Sorgen seiner Frau Anteil“; es sei aber eine „auch durch lange Tradition nicht mehr zu heiligende ‚Barbarei‘ [...], wenn nun der Vater bei Meinungsverschiedenheiten [...] das absolute Entscheidungsrecht haben soll“. Er sei überzeugt, dass sich das Urteil des Verfassungsgerichts „nicht nur nachteilig auswirken“ werde. Die „gegenwärtigen Polemiken“ glichen „ohnehin nur müden Nachhutgefechten“.23

3. Demokratisierung im Schatten der Gewalt

Richtet man den Blick weniger auf die sozial- und arbeitsrechtliche Säule der patriarchalischen Geschlechterordnung, sondern auf die Frage nach der Verteilung von Macht und Herrschaft im Verhältnis der Geschlechter, so wird deutlich, dass auch die Ära Adenauer eine Zeit der geschlechterpolitischen Experimente und Neuanfänge war. So sehr der Kanzler die Politik der frühen Bundesrepublik prägte - in der leidenschaftlichen Diskussion über die Frage der väterlichen Autorität entfaltete sich eine geschlechterpolitische Dynamik, die sich auch in der Zeit der Kanzler-Demokratie und der Erdrutschsiege der Christdemokraten nicht mehr steuern ließ. Die Suche nach neuen Formen der Vaterschaft war nicht nur ein Thema, das die bundesdeutsche Öffentlichkeit zwischen den frühen 1950er- und späten 1960er-Jahren umtrieb; sie war zugleich ein Ort, an dem sich diese Gesellschaft darüber verständigte, wie das Verhältnis von Autorität und Demokratie zu bestimmen sei. In der Rede über den „demokratischen Vater“ experimentierten die Westdeutschen mit einem Lebensgefühl, das es ihnen erlaubte, die Bundesrepublik nicht nur als Schicksal, sondern als Chance zu begreifen.

Erst vor diesem Hintergrund werden die epochale Bedeutung der Karlsruher Entscheidung und die breite öffentliche Zustimmung für das Urteil verständlich: Es gehört in den Kontext der unwahrscheinlichen Renaissance einer demokratischen Kultur in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft im Anschluss an die Katastrophe des Nationalsozialismus und des genozidalen Vernichtungskriegs. Wie etwa Volker Berghahn betont hat, haben wir inzwischen zwar eine Vorstellung davon gewonnen, wie die Deutschen in den Nationalsozialismus hineingewachsen sind, wissen aber nur wenig darüber, wie es ihnen gelang, aus dieser Geschichte von Gewalt, Terror und Massenmord wieder herauszukommen.24 Neben der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik darf nicht in Vergessenheit geraten, wie schwach das demokratische Bewusstsein in der jungen Bundesrepublik war. Bereits die Demoskopie bestätigte, wie skeptisch die westdeutsche Öffentlichkeit der Idee der Demokratie gegenüberstand. Auf die Frage „Welcher große Deutsche hat Ihrer Ansicht nach am meisten für Deutschland geleistet?“ antworteten noch 1950 zehn Prozent der Bundesbürger mit Adolf Hitler; weitere vierzehn Prozent entschieden sich für Kaiser und Könige, fünfunddreißig Prozent für Otto von Bismarck, während nur sechs Prozent der Befragten „demokratische und liberale Politiker“ nannten.25

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Besonders Remigranten stach ins Auge, wie fremd den Deutschen die Idee der Demokratie als Lebensform zunächst war. Julius Posener, der 1945 als Offizier der britischen Political-Intelligence-Abteilung Eindrücke im besetzten Deutschland sammelte, warnte davor, zu große Hoffnungen in das Programm der „Reeducation“ zu setzen. Die „große Mehrheit“ der Bevölkerung stehe unter einem „moralischen“ Schock, der „sie veranlaßt zu rufen: ‚Es war alles falsch, alles falsch!!!!!!‘“, notierte der 1904 in Berlin geborene und 1935 emigrierte jüdische Architekturhistoriker. Die allermeisten Deutschen griffen nach jedem „hingehaltenen neuen Wort [...] wie nach einem neuen Mäntelchen, das die Blöße bedecken soll, die nach dem Herunterreißen des braunen Hemdes sichtbar wurde“. Das neue Schlagwort der „Demokratie“ sei vorerst „inhaltsleer“: Infolge des moralischen Schocks sei den Deutschen noch ganz „dumm im Kopf, und da sie sich umsehen, finden sie nichts als ein Wort und schreiben es als neuen Titel über die alten, noch halb geglaubten Inhalte“.26

Viele Stichwortgeber der intellektuellen Nachkriegsdebatten formulierten ihre existenzielle Sorge um die demokratische Zukunft des Gemeinwesens im Kontext der von ihnen diagnostizierten Krise der Geschlechterordnung. Dabei stellten sie die Erfahrung des Nationalsozialismus in einen größeren historischen Zusammenhang. Das gilt etwa für den Psychoanalytiker und Therapeuten Felix Schottlaender, der einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, als er 1947 den Beitrag „Freiheit“ in dem Sammelband „Zur Klärung der Begriffe“ übernahm, einem Schlüsselwerk für die politische Ideengeschichte der unmittelbaren Nachkriegszeit.27 Zur Voraussetzung für die „Entstehung des Terrors in Deutschland“ erklärte der Freud-Schüler und erste Herausgeber der Zeitschrift „Psyche“ die „reaktionäre und freiheitsfeindliche Einstellung der kirchlichen Gewalten“ und das Fehlen „einer starken politischen Oberschicht“. Als eigentliche Ursache für den Erfolg des Nationalsozialismus galt ihm die zur „Selbstaufgabe gewachsene Angst“ vor der Freiheit. Diese Angst sei typisch für eine „patriarchal bestimmte Nation“ und führe zu einem „Abbau der nüchternen Vernunft“. Wenn die Angst vor der Freiheit „in Gestalt einer politischen Panik ein ganzes Volk“ befalle, spüle sie „die mühselig geschaffenen Errungenschaften“ des demokratischen Rechtsstaats hinweg. Daher setze die Demokratie den Bruch mit dem patriarchalen Prinzip voraus: Sie bedeute die „Bereitschaft zur Selbsthilfe in einem reifgewordenen Volke, das dem Glauben an die väterliche Häuptlingsallmacht entwachsen ist und sich auf seine ihm innewohnende Fähigkeit verläßt, auch große Schwierigkeiten und Gefahren aus eigener Kraft zu meistern“.28

Die Frage, ob und wie Autorität und Demokratie zu vereinen seien, spielte in der politischen Kultur der frühen Bundesrepublik eine wichtige Rolle, und der „Vater“ avancierte in dieser Debatte zu einem zentralen Symbol. Es erscheint zunächst naheliegend, die damalige Autoritätsobsession als Hinweis auf ein Demokratisierungsdefizit zu verstehen, das erst im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre, sprich durch „1968“, überwunden wurde. Einer solchen Lesart der politischen Kultur der frühen Bundesrepublik entgeht jedoch, dass sich das Verständnis dessen, was Autorität sei und wie diese sich begründe, zwischen den frühen 1950er- und den späten 1960er-Jahren verschob. Hatte sich Autorität um 1950 noch häufig an einem Modell von Befehl und Gehorsam orientiert und durch den Verweis auf Tradition legitimiert, betonten seit Mitte der 1950er-Jahre immer mehr Zeitgenossen, dass eine demokratische Gesellschaft ein neues Verständnis von Autorität voraussetze, das sich in einem Vertrauensverhältnis zwischen sozial Gleichen legitimiere. Das „Evangelische Soziallexikon“, das 1963 in einer grundlegend neubearbeiteten Auflage erschien, warnte davor, Autorität mit Macht zu verwechseln. „Autorität lebt von dem Vertrauen, das ihr entgegengebracht werden kann.“ Dieses Vertrauen solle „nicht blind geschenkt werden“, sondern setze die „kritische Wachsamkeit“ voraus, auf die „echte Autorität angewiesen“ sei. Daher sei eine solche Form der Autorität mit dem „Gedanken der Partnerschaft“ durchaus vereinbar: „Partnerschaft ist echte Voraussetzung jeder Autorität, nicht etwa nur deren (dialektische) Ergänzung.“29 Partnerschaft wiederum sei nur auf dem „Boden einer freien Gesellschaft möglich“. Sie gründe in der „Gleichheit“ und „Mündigkeit der Partner“ und sei daher mit einer „patriarchalisch-autoritären Ordnung“ unvereinbar.30

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Den Zusammenhang zwischen der Demokratisierung der Gesellschaft und der Suche nach neuen Form der väterlichen Autorität griffen Kritiker des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957 auf. Aus ihrer Sicht war ein patriarchalisches Entscheidungsrecht des Mannes mit der Idee der Demokratie unvereinbar. Noch vor der letzten Lesung des Gesetzes notierte beispielsweise die Karlsruher CDU-Stadträtin Elisabeth Kamm in der „Zeit“, zusammen mit vielen Frauen sei sie „restlos enttäuscht“, dass der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages sich im Dezember 1956 mit 15 gegen 13 Stimmen für den Stichentscheid des Vaters ausgesprochen hatte. Für „völlig unrichtig und unbewiesen“ hielt Kamm das Argument, „wer gegen den Stichentscheid sei, zeige sich sozialistisch angesteckt, denn er wolle die Entscheidungen aus dem Eigenbereich von Ehe und Familie in das staatliche Kollektiv verlagern“. „Auf solche Weise könnte man ja den Spieß umdrehen und sagen, der Stichentscheid stelle eine Diktatur im kleinen dar“. „Entweder wir sind gleichberechtigt, dann aber überall, oder wir sind es nicht - laut Stichentscheid“, schloss Kamm: „Dann muß man das aber auch in aller Ehrlichkeit zugeben. Und hier wäre dann als ‚dritte Instanz‘ das Bundesverfassungsgericht anzurufen.“31 In ihrem viel beachteten Gesetzeskommentar empörte sich die im Laienkatholizismus aktive Düsseldorfer Landesverwaltungsgerichtsrätin Hildegard Krüger darüber, dass in einer Zeit, in der „die Welt [sich] demokratisier[e]“ und „sogar die Tyrannen“ meinten, sich „der demokratischen Fassade“ bedienen zu müssen, der Bundestag glaube, „den patriarchalischen Vater als gesetzliches Leitbild entgegen der Norm der Verfassung schaffen zu müssen“.32

Deutlicher wurde Krüger in ihrer Kritik an dem Jesuitenpater Albert Ziegler, der sein Verständnis des Mannes als eines „naturhafte[n] Träger[s] des Entscheidungsrechtes in Ehe und Familie“ damit begründet hatte, dass „Befehlen [...] eine naturhafte Sonderbefähigung des Mannes“ sei, „Gehorchen eine ebensolche der Frau“.33 „Die Diktatoren des Westens und des Ostens“, antwortete Krüger, würden Zieglers Rede von Befehl und Gehorsam zweifellos „befriedigt aufgreifen“. Patriarchalische Strukturen - und zwar vor allem „von Männern für Männer gegründete Gesellschaften“ - seien „auf Befehl, aber eben deshalb auch [...] auf Gehorsam aufgebaut“. Statt an diese Tradition anzuknüpfen, sei die Öffentlichkeit besser beraten, sich daran zu erinnern, dass es „keine von Frauen für Frauen geschaffene Gesellschaft oder Gemeinschaft“ gebe, die „derart organisiert“ sei: „In allen primär weiblichen Gesellschaften“ überwiege „bei weitem das demokratische Element“. Umso dringlicher sei es, die „Ehe auch rechtlich als das anzusehen, was sie in jeder Hinsicht sein soll: die Gemeinschaft, in der Mann und Frau gleichgewichtig und gleichberechtigt sind“.34 Eine weitere Kritikerin der Bundesregierung argumentierte, der „Kernpunkt der Demokratie“ bestehe darin, Meinungsverschiedenheiten beizulegen. Deshalb sei die Haltung des Gesetzgebers bedauerlich: Die Familie könne schwerlich zur Schule der Demokratie werden, solange der Bundestag hierarchische Beziehungen zwischen den Eltern rechtlich festschreibe.35

Bereits zu Beginn der 1950er-Jahre schickten sich selbst katholische Familienexperten an zu argumentieren, dass das Leitbild des patriarchalisch-autoritären Vaters und ein militärisch-soldatisches Verständnis von Männlichkeit der Idee der Demokratie widersprächen. In den Augen dieser Experten war der Versuch, neue Formen väterlicher Autorität zu begründen, eine der zentralen Herausforderungen in einer Gesellschaft, die sich mit dem doppelten Erbe des Nationalsozialismus und des Militarismus auseinandersetzen musste. Auch wenn diese Lesarten des „Dritten Reiches“ heute verkürzt und fragwürdig erscheinen mögen, verdeutlichen sie doch, wie intensiv und ernsthaft die damalige Öffentlichkeit die Frage nach den Ursachen von Gewaltherrschaft und Völkermord diskutierte.36 Der bereits erwähnte Karl Borgmann etwa glaubte 1952 beobachten zu können, dass das Familienbild vieler Christen „noch allzusehr vergangenen Staatsformen zugewendet ist, in denen der Bürger von oben regiert wurde und fast zur politischen Untätigkeit verurteilt war“. Damit Kinder von kleinauf lernten, „die Freiheit [zu] erfahren und [zu] gebrauchen“, dürfe die Familie sich keinesfalls am Ideal der „absoluten Monarchie“ oder gar der „Diktatur“ orientieren. Wer einer patriarchalisch-autoritären Erziehung das Wort rede, habe nicht verstanden, dass die für die Verbrechen des Nationalsozialismus Verantwortlichen meist aus „‚geordneten‘“ Verhältnissen und nicht von den Rändern der Gesellschaft stammten. Väter, die „autoritär [...] und mit handgreiflichen Mittel“ erzögen, seien die Geburtshelfer der nationalsozialistischen Diktatur gewesen. Wer Kinder „immer wieder ungerecht“ behandle, müsse damit rechnen, dass diese „als Erwachsene selbst zu Unterdrückern“ würden, warnte Borgmann.37 Dass Demokratie „in der Familie“ beginne, betonte auch der „Männer-Seelsorger“, eine Zeitschrift, die ihre Leserschaft vor allem im katholischen Klerus fand. Keinesfalls dürfe der Vater „nach einseitigem Führerprinzip selbstherrlich entscheiden“. Stattdessen solle gerade auch in „der modernen Familie [...] etwas zu spüren sein vom Geist der guten Demokratie“.38

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Die neuen Formen der familialen Männlichkeit fanden bald auch Eingang in die Beratungsliteratur über Fragen der Kindererziehung, die sich zunehmend direkt an Väter richtete. Sicherlich bieten diese Texte keine statistisch gesicherten Hinweise darauf, wie oft Väter tatsächlich den Kinderwagen schoben, die Windeln wechselten oder ihre Kinder herzten. Doch angesichts ihrer meist hohen Auflage und der Tatsache, dass sie sich als Ware am Geschmack des Publikums orientieren mussten, lassen sich die Ratgeber als zuverlässige Seismographen der Sehnsüchte nach einer „idealen Familie“ begreifen, d.h. als eine spezifische Form der imaginären Familienwirklichkeit, die kaum weniger „real“ ist als der tatsächliche Alltag der Familie.39 Der bekannteste dieser Texte ist vermutlich Ernst Heimerans „Der Vater und sein erstes Kind“. Diese, laut Untertitel, „fröhliche[n] Betrachtungen und wohlmeinende[n] Ratschläge“ erschienen zwar schon 1938, wurden aber erst nach 1945 zu einem Erfolgstitel, der 1958 bereits seine 22. Auflage erlebte. Heimeran ermunterte werdende Väter, ihre Frauen bei den Arztbesuchen während der Schwangerschaft zu begleiten, ihnen „bei der Geburt bei[zu]stehen“ und bereits bei der Säuglingspflege eine aktive Rolle zu übernehmen.40 Bei Heimeran figurierte der Vater als ein tolpatschiges, aber lernfähiges Mitglied der Familie, der die Säuglingspflege als Teil seiner Identität begriff: „Das, was der Vater vordem in Gedanken weit von sich gewiesen hatte, nämlich sein Kind zu wickeln, das bereitet ihm jetzt eine tiefe Befriedigung.“41

Der Verkaufserfolg von Heimerans „fröhlichen Betrachtungen“ fiel in eine Zeit, in der pädiatrische, heilpädagogische und psychiatrische Experten ihre fürsorgliche Aufmerksamkeit zunehmend auch dem Vater angedeihen ließen und „Zärtlichkeit“ zum Schlagwort der (populär)wissenschaftlichen Erziehungstheorie wurde.42 Ungefähr 1952 boten die Bibliotheken der „Amerikahäuser“ der interessierten bundesrepublikanischen Öffentlichkeit jeweils mehrere Exemplare von Benjamin Spocks „Dein Kind - dein Glück“ an. Beim amerikanischen Kinderarzt und Bestsellerautor lasen die Deutschen, man könne zugleich „ein zärtlicher Vater“ und „ein ganzer Mann“ sein. „Wir wissen“, mahnte Spock, „daß ein enges, freundschaftliches Verhältnis zum Vater für die gesamte geistige und charakterliche Entwicklung des Kindes von entscheidender Bedeutung ist.“ Väter sollten daher bereits zum Säugling eine intensive Bindung aufbauen. Wie sehr solche Ratschläge Teil einer transnationalen Zirkulation von Ideen waren, lässt sich etwa an Oscar-Louis Forel zeigen. Der französische Familienexperte berief sich in seinem 1955 erschienenen Ratgeber auf die vom „Gesundheitsdepartment von Springfield, Illinois, USA veröffentlichten ‚Briefe an die Eltern‘“. Wie Heimeran und Spock warnte auch Forel Väter, „der Mutter [...] das Monopol der Zärtlichkeit“ zu überlassen: „Glauben Sie nicht, daß es unter Ihrer Würde ist, Ihrem Kind Zuneigung zu zeigen.“ Väter sollten sich darum bemühen, ihrem Kind von der Geburt an „ein Freund“ zu sein. Väter, die glaubten, sich auf die Rolle des Familienernährers beschränken zu können, mahnte Forel, „Ihrem Kleinen das“ zu ersparen, „worunter Sie zu leiden hatten. Wenn Ihr Vater ein unnahbarer Schaffer war [...], wenn Sie warten mußten, bis Sie erwachsen waren, um ihn zu schätzen und zu lieben, so haben Sie das beste Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte.“43

Wenige Jahre später fanden solche Vorstellungen auch Eingang in die katholische Ratgeberliteratur. Die Broschüre „Ohne Vater geht es nicht“, die katholische Männer in den Bistümern Münster und Essen 1961 während der Fastenerziehungswoche erhielten, ermahnte diese nicht nur, weniger Zeit bei der Arbeit, in der Kneipe oder im Fußballstadion zu verbringen. Darüber hinaus erhielten die Leser den Rat, bereits die Geburt des Kindes mitzuerleben, um eine „innige Beziehung“ zum Kleinkind zu entwickeln. Väter sollten auf „abendliche Strafgerichte“ verzichten: Wer glaube, mit Strafen und Schlägen erziehen zu können, werde „bald das Vertrauen seines Kindes verlieren“.44

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Kurz darauf, im Mai 1961, lobte die Zeitschrift „Zwischen Dom und Zechen“ das Buch „Gute Väter - frohe Kinder“ als „eine schöne Sammlung von Skizzen über die Vaterwelt“.45 Im Mittelpunkt des Buches stand eine Fotoreportage über einen „Männer Säuglingspflege-Kurs“, den der Samariterverein Zürich-Hard veranstaltete. Es sei wichtig, kommentierte der Herausgeber des Buches, dass die Väter lernten, wie sie „an einem freien Samstag oder Sonntag den Haushalt ohne größere Katastrophen durchbringen“ können, „wenn die Frau ihre Besuchspflichten bei den Verwandten erfüllen will“. Viele Bilder beeindrucken freilich mehr als gekonnte Inszenierung von bürgerlicher Respektabilität denn als Ikonographien sanfter Väterlichkeit. Manche Fotografien wecken zudem Zweifel, inwieweit selbst fortschrittliche katholische Männer bereit waren, sich im Familienalltag an der Sorge um die Säuglinge zu beteiligen: Zwei der vier Männer etwa, die das Wechseln einer Windel übten, hatten sich einen Mundschutz angelegt.46

'Männer Säuglingspflege-Kurs', aus: Lukaschek, Gute Väter - frohe Kinder
„Männer Säuglingspflege-Kurs“
(aus: Lukaschek, Gute Väter - frohe Kinder [Anm. 46], S. 32)
 

Einige Familienexperten stellten ausdrücklich einen Zusammenhang zwischen einer aktiven Rolle des Vaters bei der Säuglingspflege und Kindererziehung sowie der Demokratisierung der Gesellschaft her. In der Zeitschrift „Ruf ins Volk. Monatsschrift für Volksgesundung und Jugendschutz“ warb Walter Becker 1963 dafür, den Vater in die Sorge um die Säuglinge und Kleinkinder stärker einzubeziehen: „Es wäre früher unvorstellbar gewesen, daß Väter an Säuglingskursen teilnahmen“; heute hätten dagegen „immer mehr [...] junge Väter, die einmal ihre Frau vertreten mußten, für solche Kurse Interesse“. Statt den Gesichtspunkt eines „kämpferischen Führertums“ zu betonen, solle der Vater - ähnlich wie die Mutter - „beim Kleinkind Gefühle der Geborgenheit, der Sicherheit und Wärme“ erwecken. Mit dieser neuen Zärtlichkeit gehe ein verändertes Verständnis von Autorität einher. An die Stelle des „autoritäre[n] Prinzip[s] der Großvaterzeit, gekennzeichnet durch die Anrede ‚Herr Vater‘“, sei ein „demokratischere[s] Ordnungsprinzip“ getreten, bei dem „der Gedanke der familiären Gemeinschaft und Partnerschaft [...] im Vordergrund“ stehe. Die väterliche Autorität habe „nichts mit Macht und Gewalt zu tun“ und stütze sich daher nicht mehr auf „das Befehlen-Gehorchen“, sondern auf „das tief gegründete Vertrauen des Kindes zur Autoritätsperson“. In Zeiten dieser familienzentrierten Männlichkeit fände es daher „niemand mehr komisch oder unwürdig, wenn der Vater den Kinderwagen schiebt, für die Kinder oder mit ihnen einkauft, am Wochenende die Kinder auf den Spielplatz begleitet, sich für Kinderernährung interessiert“.47

Die Vorstellung, dass eine demokratische Gesellschaft auch ein neues Verständnis der väterlichen Autorität erfordere, fand in der Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts ein Echo - wenn auch, wie es der Textgattung angemessen war, eher leise. „In dem durch Beseitigung des Letztentscheidungsrechts des Mannes frei gewordenen Raum“, führten die Karlsruher Richter aus, sollten „die Ehegatten und Eltern gemeinsam in gleicher Freiheit und Verantwortung das Schicksal der Familie, insbesondere die Erziehung der Kinder gestalten“. Gegen jene, die argumentierten, der Artikel 6 Grundgesetz beziehe sich spezifisch auf die „christlich-abendländische“ (sprich: patriarchalische) Ehe und Familie, betonten Erna Scheffler und ihre Kollegen, dass es die Verfassung offenlasse, „wie die Entscheidung in der Familie sich bilde. Dies entspricht auch allein der einem weltanschaulich nicht einheitlichen Staat wie der Bundesrepublik“ gestellten Aufgabe, „das Recht so zu normieren, daß es den Bürgern die Freiheit läßt, bei der Gestaltung des Ehe- und Familienlebens ihren religiösen und weltanschaulichen Verpflichtungen [...] nachzuleben“. In diesen Prozess der „Willensbildung“, der von „Familie zu Familie“ verschieden sei, dürfe der Gesetzgeber nicht durch die Vorschrift eingreifen, dass im Konfliktfall der Vater das letzte Wort habe.48

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Deutlicher formulierte Helmut Ridder die epochale Bedeutung der Entscheidung für die politische Kultur der frühen Bundesrepublik. In seinem Plädoyer vor dem Verfassungsgericht räumte er ein, dass „die Sache, um die es hier konkret geht, praktisch gar nicht so ungeheuer wichtig ist“. Die Frage des „Gebietens und Sich-Fügens“ werde in den meisten Ehen „auch in Zukunft nicht gestellt werden“. „Wenn wir in einem Zustand romantischer Verschweizerung lebten“, seien „die Schildbürgerstreiche des Gesetzgebers“ nicht der Rede wert. Umso schärfer aber warnte Ridder vor der „mit ihrer Methodik ansteckenden Perversion unseres Verfassungsrechts“. Falls der „gegenwärtige Versuch einer freiheitlichen Verfassung“ scheitere, könne nach den Erfahrungen „der jüngsten deutschen Geschichte nur noch eine unfreiheitliche nachrücken“. „Die Treue zur Verfassung, die innere Verfassungsloyalität“, schloss der Gießener Professor für Öffentliches Recht, sei „daher das erste der politischen Gebote der Stunde“.49 Seine Gegner, die glaubten, das Leitbild des christlichen Abendlandes verlange die patriarchalische Familie, belehrte Ridder darüber, dass dem Kanonischen Recht die Rechtsfigur des väterlichen Stichentscheides fremd sei. Gerade der Blick auf Schweden, wo anders als in der Bundesrepublik das Prinzip der christlichen Staatskirche gelte, zeige, dass eine emanzipatorische Geschlechterpolitik durchaus mit der „‚christlich-abendländischen‘ Tradition“ zu vereinbaren sei. Nur noch Spott kannte er für jene „Deutschen, die sich aufgrund einer Reihe von eigentümlichen nationalen Charaktermerkmalen früher als die Ordnungsmacht des christlichen Universums oder als die Hüter des Rechts der Welt, später als das ‚Reich‘ in der völkerrechtlichen Großraumordnung usw. empfunden haben und nun teilweise der fixen Idee verfallen sind, die Retter des christlichen Abendlandes zu sein“.50

4. Autorität in der liberalen Republik

Zu einem Fürsprecher eines neuen Verständnisses von Autorität, das nicht mehr auf einem Automatismus von Befehl und Gehorsam basiere, machte sich wenige Monate nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch Dolf Sternberger. Der einflussreiche Philosoph und Publizist, der mehr als jeder andere Intellektuelle in der frühen Bundesrepublik der Idee der bürgerlichen Gesellschaft neues Leben einhauchte, bezweifelte in seinem Vortrag „Autorität, Freiheit und Befehlsgewalt“, dass Autorität an sich „eine konservative Vorstellung“ sei. Diese Überzeugung beruhe auf einem Missverständnis, und so lange das „nicht aufgeklärt“ sei, „wird uns die liberale Republik nicht zum Vaterlande werden“.51 Unter Verweis auf Hannah Arendt und Carl J. Friedrich argumentierte Sternberger, Autorität dürfe nicht mit „Befehlsgewalt“ verwechselt werden; sie sei „nicht einmal notwendig mit Entscheidungsbefugnis verknüpft“. Im Gegensatz zu diesem Herrschaftsverhältnis wirke Autorität „nicht durch Zwang“, sondern werde „freiwillig angenommen und eingeräumt“. Sie sei auctoritas und nicht potestas.52

Aus Sternbergers Sicht war ein solches Verständnis von Autorität zugleich die Voraussetzung für die Existenz der Bundesrepublik als eines „demokratischen und liberalen Gemeinwesens“ und verhielt sich komplementär zur Idee der Freiheit. Diese brauche „Autorität, nämlich die Autorität allderjenigen Einrichtungen und Kräfte, welche die Demokratie gewährleisten“, vor allem die Autorität der „freiheitlichen Staatsverfassung“. Umgekehrt gelte aber auch, dass Autorität Freiheit voraussetze, nämlich „die Freiheit derer, die sie aus freien Stücken anerkennen -, da sie sonst dem Verderb anheimfällt, zur Zwangsordnung und Gewaltherrschaft entartet“.53 Vor diesem Hintergrund kann es kaum überraschen, dass Sternberger die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts begrüßte. Das Urteil habe zwar den „Sturz der väterlichen Autorität in der Familienordnung“ vollendet und dazu beigetragen, die „Bindung von Autorität an die Vaterrolle“ aufzulösen. Doch habe das Gericht damit nicht die Möglichkeit der Autorität als solcher verworfen. Vielmehr lege das Urteil „einen Weg zu neuer Autorität frei“, einer Autorität, „die vielleicht schwerer zu erringen sein mag als die überlieferte, die aber doch gefordert ist und sich auch bilden“ könne.54

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Es griffe zu kurz, die Debatte über die Krise väterlicher Autorität, auf die sich Sternberger hier bezog, allein als Ausdruck der Sorge über eine in Bewegung geratene Ordnung der Geschlechter zu deuten. Vielmehr stellt die Suche nach neuen Formen der Vaterschaft einen besonders aufschlussreichen Aspekt der kulturellen und intellektuellen Demokratisierung Westdeutschlands in den 1950er- und den frühen 1960er-Jahren dar. Das Leitbild der „demokratischen Familie“ gehört in jenen Zusammenhang, den man mit Kaspar Maase als den Aufstieg der „kulturellen Demokratie“ bezeichnen kann. Zu denken ist hier auch an ähnliche Phänomene: Die Haltung gegenüber der vor- und außerehelichen Sexualität liberalisierte sich ebenso wie die Einstellung gegenüber berufstätigen und alleinerziehenden Müttern. Der Traum der neuen Väterlichkeit war Teil der Vision einer egalitäreren Geschlechterordnung, in der Frauen und Männer Familie und Beruf miteinander vereinbaren können sollten.55

Und doch war die Rede über die „demokratische Vaterschaft“ mehr - nämlich ein zentraler Ort, an dem sich die junge Bundesrepublik darüber verständigte, wie das Verhältnis von Autorität und Demokratie zu bestimmen sei. Aus der hohlen Phrase der „Demokratie“, die, wie Julius Posener geklagt hatte, dazu diente, die moralischen Abgründe der unmittelbaren Nachkriegsjahre zu verdecken, wurde in den 1950er-Jahren ein mit Inhalt und Leben gefüllter Leitbegriff der politischen Sprache. Die Suche nach neuen Formen der väterlichen Autorität trug entscheidend dazu bei, dass die Bundesbürger sich zugleich intellektuell und emotional vom Nationalsozialismus und Militarismus und dem damit verbundenen Männlichkeitsideal des heroischen Arbeitersoldatentums verabschiedeten, dass sie den Weg in eine demokratische Gesellschaft fanden und es ihnen gelang, sich in ihrer „liberalen Republik“ einzurichten (um noch einmal mit Sternberger zu sprechen). Ob Erna Scheffler Sternbergers Text zur Kenntnis genommen hat, wissen wir leider nicht. Vermutlich hätte sie ihn mit dem gleichen Lächeln gelesen, mit dem sie am 29. Juli 1959 das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den väterlichen Stichentscheid verkündete.

Anmerkungen:

1 Vater und Mutter sollen gemeinsam entscheiden, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.7.1959, S. 1.- Der vorliegende Text ist im Anschluss an einen Forschungsaufenthalt an der University of Chicago entstanden. Der Alexander von Humboldt-Stiftung danke ich für Unterstützung, Michael Geyer, John W. Boyer, Dorothee Brantz, Sean Forner und Devin Pendas für die Gastfreundschaft und die anregenden Gespräche.

2 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 10, Tübingen 1960, S. 59.

3 Ebd., S. 74, S. 75.

4 Ebd., S. 84. Zum Verhältnis von elterlicher Gewalt und Vormundschaftsgericht siehe Wolfram Müller-Freienfels, Ehe und Recht, Tübingen 1962, S. 105f.

5 Paul Wilhelm Wenger, Vaterlose Gesellschaft, in: Rheinischer Merkur, 7.8.1959, S. 1f.; siehe auch Otto Gritschneder, Verfrühter Suffragettenjubel. Übersehenes im Gleichberechtigungsurteil, in: ebd., 14.8.1959, S. 2.

6 Zum Folgenden vor allem Robert G. Moeller, Geschützte Mütter. Frauen und Familien in der westdeutschen Nachkriegspolitik, Frankfurt a.M. 1997; Elizabeth Heineman, What Difference does a Husband Make? Women Standing Alone and the Changing Meaning of Marital Status in Germany, 1933-1961, Berkeley 1999; Klaus-Jörg Ruhl, Verordnete Unterordnung. Berufstätige Frauen zwischen Wirtschaftswachstum und konservativer Ideologie, München 1994; zum katholischen Leitbild der Familie in den 1920er-Jahren siehe Rebecca Heinemann, Familie zwischen Tradition und Emanzipation. Katholische und sozialdemokratische Familienkonzeptionen in der Weimarer Republik, München 2004.

7 Moeller, Geschützte Mütter (Anm. 6), S. 337.

8 Erna Scheffler, Referat auf dem 38. Deutschen Juristentag, in: Gleichberechtigung als Verfassungsauftrag. Eine Dokumentation zur Entstehung des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957, bearb. von Gabriele Müller-List, Düsseldorf 1996, S. 128-134; Kritik einer Bundesrichterin am Gleichberechtigungsgesetz, in: Die Neue Zeitung, 30.1.1953.

9 Scheffler an Lüders, Bundesarchiv Koblenz, NL Marie-Elisabeth Lüders 151/226; zit. nach: Gleichberechtigung als Verfassungsauftrag (Anm. 8), Dok. Nr. 70, S. 497.

10 Gespräch mit Wolfram Müller-Freienfels (Freiburg, 26.1.2005), dem ich hiermit für seine Bereitschaft danke, mir über die Hintergründe des Urteils Auskunft zu geben. Siehe auch ders., Equality of Husband and Wife in Family Law, in: International and Comparative Law Quarterly 8 (1959), S. 249-267; sowie ders., Ehe und Recht (Anm. 4), bes. S. 103-106. Der Hinweis auf den Auftrag des Juristinnenbundes findet sich in Gleichberechtigung als Verfassungsauftrag (Anm. 8), S. 496.

11 Dass hierin eine empfindliche Einschränkung einer emanzipatorischen Geschlechterpolitik lag, war Frauenrechtlerinnen wie Erna Scheffler dabei durchaus bewusst; siehe Erna Scheffler, Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im Wandel der Rechtsordnung seit 1918, Frankfurt a.M. 1970, bes. S. 29ff. Zeitgenössische Kritik an Vätern, die auf ihren Beruf verzichteten und ihr Glück in der Rolle des Hausmannes suchten, dokumentiert Lu Seegers, Fragen Sie Frau Irene. Die Rundfunk- und Familienzeitschrift Hör zu als Ratgeberin in den fünfziger Jahren, in: WerkstattGeschichte 21 (1998), S. 87-103, hier S. 98f.

12 Marie-Elisabeth Lüders, Fürchte Dich nicht. Persönliches und Politisches aus mehr als achtzig Jahren 1878-1962, Opladen 1963, S. 56, S. 188f. Als „Durchbruch“ interpretiert das Urteil Gerhard E. Gründler, Die sonnige Rechtslage, in: Christa Rotzoll (Hg.), Emanzipation und Ehe. Zehn Antworten auf eine heikle Frage, München o.J. [1969], S. 67-81, hier S. 70. Die „große Signalwirkung“ des Urteils betont Sabine Berghahn, 50 Jahre Gleichberechtigungsgebot. Erfolge und Enttäuschungen bei der Gleichstellung der Geschlechter, in: Max Kaase/Günther Schmid (Hg.), Eine lernende Demokratie. 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1999, S. 315-355, hier S. 317.

13 Siegfried Boschan, Europäisches Familienrecht. Ein Handbuch, 3. Aufl. Berlin 1963; Art. 213 zit. nach Alan MacDonald, The French Law of Marriage and Matrimonial Rights, in: International and Comparative Law Quarterly 1 (1952), S. 313-324, hier S. 323; siehe auch Kristen Stromberg Childers, Fathers, Families, and the State in France, 1914-1945, Ithaca 2003, S. 14-17, sowie Bernard Schnapper, Autorité domestique et partis politiques de Napoleon à de Gaulle, in: ders., Voies nouvelles en histoire du droit. La Justice, la famille, la répression pénale, Paris 1991, S. 555-596. Zu den skandinavischen Ehe- und Familienrechtsreformen der 1920er-Jahre siehe Paola Ronfani, Family Law in Europe, in: David I. Kertzer/Marzio Barbagli (Hg.), The History of the European Family, Bd. 3: Family Life in the Twentieth Century, New Haven 2003, S. 113-151, hier S. 120.

14 Boschan, Europäisches Familienrecht (Anm. 13), S. 317, S. 324; Müller-Freienfels, Ehe und Recht (Anm. 4), S. 103; allgemein: Maria Mesner, Die „Neugestaltung des Ehe- und Familienrechts“. Re-Definitionspotentiale im Geschlechterverhältnis der Aufbau-Zeit, in: zeitgeschichte 24 (1997), S. 186-210.

15 Max von Brück, Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Die geplante Reform des Familienrechts, in: Die Gegenwart 7 (1952), S. 553-557, Zitat S. 556.

16 Pflicht zur Verständigung, in: Frankfurter Rundschau, 30.7.1959, S. 3.

17 Heddy Neumeister, Der integrierte Vater, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.7.1959, S. 1.

18 I.E. [d.i. Ilse Elsner, laut Impressum verantwortlich für „Sozialpolitik“], Das letzte Wort, in: Die Welt, 30.7.1959, S. 3; Das Machtwort des Vaters... und die perfekte Gleichberechtigung - Urteil des BVG, in: Die Zeit, 7.8.1959, S. 4; Fritz Richert, Gleichberechtigte Mütter, in: Deutsche Zeitung mit Wirtschaftszeitung, 30.7.1959, S. 1.

19 Annemarie Endres, Vater und Mutter entscheiden gemeinsam, in: Süddeutsche Zeitung, 1.8.1959, Beilage „Eine Seite für die Frau“; siehe auch: Kein Stichentscheid des Vaters mehr, in: ebd., 30.7.1959, S. 3.

20 Günther Beitzke, Die elterliche Gewalt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in: Juristische Rundschau 1959, S. 401-405, Zitat S. 405; Scheffler, Referat (Anm. 8), S. 133.

21 Emmy Engel-Hansen, Gleichberechtigung und Stichentscheid des Vaters, in: Soziale Arbeit 8 (1959), S. 529-532, Zitat S. 531; für Engel-Hansens Kritik am Gleichberechtigungsgesetz vgl. dies., Gleichberechtigungsgesetz und Praxis, in: ebd. 7 (1958), S. 289-294.

22 Julius Schwoerer, Zur Frage der Wirksamkeit von Alleinvertretungsakten des Vaters in der Zeit der Scheinherrschaft des Paragraphen 1629, Abs. 1 BGB n.F., in: Der Wirtschaftstreuhänder 13 (1960), S. 1419-1423; Heinrich Götz, Rückwirkung des BVG-Urteils zum Alleinvertretungsrecht des Vaters?, in: Neue juristische Wochenschrift 13 (1960), S. 1324f. Nach einem „ephemeren Aufwallen“ sei das Thema des ‚Stichentscheids‘ seit 1960 „aus dem Schrifttum“ verschwunden, konstatierte rückblickend Helmut Ridder, Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Ein Plädoyer, in: Karl Dietrich Bracher u.a. (Hg.), Die moderne Demokratie und ihr Recht. Festschrift Gerhard Leibholz, Bd. 2, Tübingen 1966, S. 219-236, hier S. 222.

23 Karl Borgmann, Der ‚Stichentscheid’ des Vaters ist aufgehoben, in: Caritas. Zeitschrift für Caritasarbeit und Caritaswissenschaft 60 (1959), S. 262-266; siehe auch ders., Vater oder Pascha?, in: Ernst Schnydrig/Ernst Walter Roetheli (Hg.), Lebendige Kirche, lebendige Welt, Freiburg 1962, S. 177-200. Schon 1952 hatte sich Borgmann für die weitgehende Gleichberechtigung von Mann und Frau in Ehe und Familie ausgesprochen (ders., Recht und Liebe in Ehe und Familie, in: Frau und Mutter 35 [1952] H. 4, S. 6f.) und gehörte im Januar 1953 neben Walter Dirks, Hildegard Krüger u.a. zu einer Gruppe katholischer Publizisten, die sich gegen die deutschen Bischöfe wandte. Letztere hatten erklärt: „Wer grundsätzlich die Verantwortung des Mannes und Vaters als Haupt der Ehefrau und der Familie leugnet, stellt sich in Gegensatz zum Evangelium und zur Lehre der Kirche“; zit. nach: Gleichberechtigung als Verfassungsauftrag (Anm. 8), S. 298. Knapp zu Borgmann: Lukas Rölli-Allkemper, Familie im Wiederaufbau. Katholizismus und bürgerliches Familienideal in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1965, Paderborn 2000, S. 554, S. 559.

24 Volker Berghahn, Recasting Bourgeois Germany, in: Hanna Schissler (Hg.), The Miracle Years. A Cultural History of West Germany, 1949-1968, Princeton 2001, S. 326-340, hier S. 326; siehe auch Konrad H. Jarausch/Michael Geyer, Shattered Past. Reconstructing German Histories, Princeton 2003, bes. S. 13, sowie Hans-Peter Schwarz, Die ausgebliebene Katastrophe. Eine Problemskizze zur Geschichte der Bundesrepublik, in: Hermann Rudolph (Hg.), Den Staat denken: Theodor Eschenburg zum Fünfundachtzigsten, Berlin 1990, S. 151-174.

25 Dirk van Laak, Der widerspenstigen Deutschen Zähmung. Zur politischen Kultur einer unpolitischen Gesellschaft, in: Eckart Conze/Gabriele Metzler (Hg.), 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland. Daten und Diskussionen, Stuttgart 1999, S. 297-359, hier S. 332.

26 Julius Posener, In Deutschland 1945 bis 1946. Kommentierte Ausgabe mit einem Nachwort von Alan Posener, Berlin 2001, S. 55.

27 Felix Schottlaender, Freiheit, in: Herbert Burgmüller (Hg.), Zur Klärung der Begriffe. Beiträge zur Neuordnung der Werte, München 1947, S. 103-116.

28 Ders., Zwang und Freiheit. Ein Versuch über die Entstehung des Terrors in Deutschland, Stuttgart 1946, Zitate S. 32, S. 34, S. 43. „Wo die Frau abhängig und unterjocht ist, wo sie in törichter Bewunderung vor ihrem überlegenen Gebieter versinkt“, schloss Schottlaender (ebd., S. 43), „fehlt der wichtigste Schutz gegen das falsche Heldentum und das ewige Gerede vom Krieg, fehlt die wichtigste Schutzwehr gegen den Terror.“

29 Cornelius Adalbert von Heyl, Art. „Autorität“, in: Friedrich Karrenberg (Hg.), Evangelisches Soziallexikon, 4. Aufl. Stuttgart 1963, Sp. 129ff. (Hervorhebung im Original).

30 Heinz-Dietrich Wendland, Art. „Partnerschaft, in evangelischer Sicht“, in: ebd., Sp. 960f. Diesen Eintrag sowie jene über „Autorität“ und „Demokratie“ sucht man in der ersten Auflage des „Evangelischen Soziallexikons“ (Stuttgart 1954) vergeblich. Wendland selbst hatte in seiner Besprechung der ersten Auflage moniert, das Lexikon setze sich nicht hinreichend mit Fragen der Demokratie auseinander (Rezension in: Zeitwende 26 [1955], S. 563f.).

31 Elisabeth Kamm, Sind Männer so geschaffen? Der Stichentscheid und die Gleichberechtigung - Das Bundesgesetz steht wieder zur Debatte, in: Die Zeit, 14.3.1957, S. 21f. (Hervorhebung im Original). Für den Hinweis auf Kamms Text danke ich Svenja Goltermann.

32 Hildegard Krüger/Ernst Breetzke/Kuno Nowack, Gleichberechtigungsgesetz, München 1958; zit. nach: Gleichberechtigung. Die Zukunft der Notare, in: Spiegel, 9.7.1958, S. 22-26, hier S. 26.

33 Albert Ziegler, Das natürliche Entscheidungsrecht des Mannes in Ehe und Familie, Heidelberg 1958, S. 269.

34 Hildegard Krüger, Von Natur zum Gehorchen verurteilt? Gegen eine allzu männliche Begründung des männlichen Entscheidungsrechtes, in: Frankfurter Hefte 14 (1959), S. 497-505, Zitate S. 502, S. 505.

35 Luise Berthold an Hertha Ilk (FDP), in: Informationen für die Frau 1957, Nr. 2, S. 6f.; zit. nach: Moeller, Geschützte Mütter (Anm. 6), S. 317.

36 Die inzwischen breit angewachsene Forschung zur Politik der Erinnerung in den 1950er-Jahren scheint mir die Bedeutung dieser Themen in den öffentlichen Kontroversen über die unmittelbare Vorgeschichte der Bundesrepublik zu unterschätzen; siehe etwa Robert G. Moeller, War Stories. The Search for a Usable Past in the Federal Republic of Germany, Berkeley 2001; Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996.

37 Karl Borgmann, Völker werden aus Kinderstuben. Um die rechte Ordnung in der Familie, in: Frau und Mutter 35 (1952) H. 1, S. 4f. Die Zeitschrift „für die katholische Frau in Familie und Beruf“ erreichte monatlich mehr als eine halbe Million Abonnenten.

38 Rudolf Sailer, Demokratie beginnt in der Familie, in: Der Männer-Seelsorger 2 (1952) H. 1, S. 23-29, hier S. 26.

39 John Gillis hat argumentiert, dass diese „ideale Familie“, die sich aus Mythen, Ritualen und Bildern zusammensetzt, weitaus stabiler sei als die „fragmentarische und vorübergehende [...] reale Familie“ (Mythos Familie. Auf der Suche nach einer eigenen Lebensform, Weinheim 1997, S. 11).

40 Ernst Heimeran, Der Vater und sein erstes Kind, Tb.-Ausg. München 1992, Zitat S. 50.

41 Ebd., S. 68.

42 Der Kaufbeurener Kinderarzt Wilhelm von Haller etwa warnte 1955 davor, „in der Zärtlichkeit etwas Unmännliches bzw. Unpassendes zu sehen“. Siehe ders., Die Bedeutung des kindlichen Zärtlichkeitsbedürfnisses für die Entwicklung des Gemüts, in: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 4 (1955), S. 247-250, hier S. 248ff.; Georg Gerster, Säuglinge brauchen Liebe. Eine Stunde mit Prof. Dr. René A. Spitz, in: Kristall. Illustrierte für Unterhaltung und neues Wissen 12 (1957), 2. Vierteljahr, Nr. 9, S. 446-449.

43 Oscar Forel, Einklang der Geschlechter. Sexuelle Fragen in unserer Zeit, Zürich 1955, S. 219f.

44 Hansmartin Lochner/Robert Svoboda (Hg.), Ohne Vater geht es nicht, Hamm 1961, S. 4. „Gewiß“, fuhr der Ratgeber fort, „Strafen müssen sein, aber Schläge sind nur bei wirklich schwerwiegenden Übeltaten angebracht.“

45 Der wiederkehrende Vater, in: Zwischen Dom und Zechen. Beilage zum „Mann in der Zeit“, Mai 1961, Nr. 5.

46 Karl P. Lukaschek (Hg.), Gute Väter - frohe Kinder, Münster 1961, S. 32-35, Zitat S. 32.

47 Walter Becker, Das neue Bild des Vaters, in: Ruf ins Volk 15 (1963), S. 27f.

48 Entscheidungen (Anm. 2), S. 84f.

49 Ridder, Männer und Frauen (Anm. 22), S. 236.

50 Ebd., S. 233, S. 229 (Zitat, Hervorhebung im Original).

51 Dolf Sternberger, Autorität, Freiheit und Befehlsgewalt, Tübingen 1959, S. 4f. (Hervorhebung im Original).

52 Ebd., S. 12, S. 14.

53 Ebd., S. 23.

54 Ebd., S. 20.

55 Hierzu besonders: Kaspar Maase, Establishing Cultural Democracy. Youth, “Americanization”, and the Irresistible Rise of Popular Culture, in: Schissler, Miracle Years (Anm. 24), S. 428-450; Maria Höhn, GIs and Fräuleins. The German-American Encounter in 1950s West Germany, Chapel Hill, NC 2002, bes. S. 12; Christine von Oertzen, Teilzeitarbeit und die Lust am Zuverdienen. Geschlechterpolitik und gesellschaftlicher Wandel in Westdeutschland 1948-1969, Göttingen 1999; Carola Sachse, Der Hausarbeitstag. Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in Ost und West 1939-1994, Göttingen 2002, bes. S. 30; Sybille Buske, Fräulein Mutter und ihr Bastard. Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900-1970, Göttingen 2004. Eine frühe, ebenso brillante wie anregende Deutung der 1950er-Jahre als einer dynamischen Zeit bietet Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik. 1949-1957, Stuttgart 1981, S. 375-464.

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