2/2009: Fordismus

Aufsätze | Articles

Der Aufsatz leistet anhand des deutschen Beispiels einen Beitrag zur historischen Analyse von Ordnungsmodellen des 20. Jahrhunderts. Dem Schlagwort „Fordismus“ sollen mit Blick auf den Produktionsbereich schärfere Konturen gegeben werden. Zugleich wird der Akzent jedoch darauf gelegt, den Fordismus als Herrschaftstechnik in einem breiteren Sinne zu verstehen. Zunächst geht es um die Anfänge von Taylorismus und Fordismus sowie die Auswirkungen auf die Zusammensetzung der betroffenen Belegschaften, sodann um die Verbindungen des Fordismus mit unterschiedlichen politischen Systemen. Fordistische Elemente finden sich sowohl in demokratischen als auch in diktatorischen Kontexten. Diskutiert wird deshalb, wie fordistische, auf Rationalisierung und Effizienzsteigerung ausgerichtete Arbeitszusammenhänge die Macht- und Herrschaftsverhältnisse beeinflussten und welche Widerstandsformen sich entwickelten. Ein Ausblick richtet sich auf den so genannten Postfordismus, die „neuen Produktionskonzepte“ und die Frage nach der Zukunft des Fordismus.
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By referring to the German example, this article contributes towards the history of models of order during the twentieth century. It brings the catchword ‘Fordism’ into focus by drawing readers’ attention to the production line, revealing the impact of Fordism and Taylorism and their concepts of rationalisation and efficiency in the area of factory work. After explaining how Fordism and Taylorism arose, the authors consider changes on the shop floor and their implementation in the various political systems. Fordist elements occur in both democratic and dictatorial contexts. They explain how Fordist working patterns, designed along rationalistic lines to increase efficiency, influence the entrepreneurs’ power structures in relation to employment on the assembly line and the workers’ means of resistance. The article closes with an outline of Postfordism and ‘new concepts of production’.

Henry Ford gilt als ein Symbol der Moderne – er gab einer kapitalistischen Wirtschaftsform, dem Fordismus, den Namen. Fords Prominenz ist nicht zuletzt auf zwei Bücher zurückzuführen, die nach dem Ersten Weltkrieg unter seinem Namen erschienen und breit rezipiert wurden: „Der internationale Jude“ sowie „Mein Leben und Werk“. Beide Bücher verdanken sich Fords politischem Ehrgeiz und wurden als Vorschläge zur Gesellschaftsreform diskutiert. Ein Kernelement des Ford’schen Programms war massiver Antisemitismus: Erst eine auf der Betriebsgemeinschaft aufgebaute Gesellschaft ohne Händler, Bankiers und Intellektuelle – die mit Juden gleichgesetzt wurden – könne gerecht sein. Die Rezeption dieser Gesellschaftsvision in deutschsprachigen Zeitschriften der 1920er-Jahre legt die breite Akzeptanz von Antisemitismus und autoritären Strukturen offen. Während Ford seinen Antisemitismus nie verbarg, wird er auch in der seit 1945 geführten Diskussion über Fordismus nur als „Autokönig“ gesehen.
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Henry Ford is a symbol of modernity. His name became synonymous with a capitalist economic system called ‘Fordism’. Ford’s fame results not least from two books published in his name after the First World War, The international Jew and My Life and Work. Both books were widely acclaimed and, since they reflect Ford’s political ambitions, they were understood in terms of a social reform programme. A central element of this programme was a strong antisemitism. Ford claimed that a fair and just society depended upon the duplication of the unanimous unity of the company and the elimination of merchants, bankers, and intellectuals (who were simply seen as Jews). The attention given to this social vision in German journals in the 1920s shows how a large part of the population was ready to accept antisemitism and authoritarian structures. While Ford never concealed his antisemitism, he has consistently been perceived as the ‘flivver king’. Even debates on Fordism since 1945 have completely disregarded his antisemitism.

Der Wohnungs- und Städtebau der Zwischenkriegszeit bildet ein Paradebeispiel für die Intentionen und Grenzen der frühen Rationalisierungsdiskurse als einem Kernelement des Fordismus. Der Erste Weltkrieg verhalf der Bewegung sowohl in Deutschland wie in Frankreich zum Durchbruch. Während in Frankreich die private Schwerindustrie trotz staatlicher Rahmensetzungen den Takt angab, wurden in Deutschland die ersten Pilotprojekte der Rationalisierung nach 1918 von sozialistischen „Bauhütten“ und den Kommunen realisiert. Die aus Amerika kommenden Konzepte von Ford, Taylor und Gilbreth wirkten als Katalysatoren auf die in Europa entwickelten Ideen. In der Weltwirtschaftskrise zeigte sich, dass die Rationalisierung im Bauwesen die steigenden Zinsbelastungen am Kapitalmarkt nicht ausgleichen konnte. Der Aufsatz vertritt die These, dass ungeachtet nationaler Varianten in Europa insgesamt die „endogenen“ Konzepte und Triebkräfte (wie Erster Weltkrieg, Wohnungsreform und Sozialpolitik) eine deutlich wichtigere Rolle spielten, als es das Schlagwort vom „Fordismus“ anzeigt.
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During the interwar period, housing policy and urbanism became a testing ground for concepts of rationalisation as a key element of ‘Fordism’. In Germany, as in France, the movement emerged following the First World War. In France, private heavy industry led the way, while the state was confined to setting the legal framework and coordinating commissions of experts. By contrast, in Germany, socialist building cooperatives and municipal administrations instigated the first and most important projects during the Weimar Republic. The concepts of Ford, Taylor and Gilbreth stimulated the ideas that had already been developed in Europe. In the World Economic Crisis the rise of costs for capital revealed the limited effects of strategies to rationalise the building sector. The article suggests that, despite different national pathways, ‘endogenous’ European driving forces and motives (such as the First World War, housing reform and social policy) had a far greater influence on the movement for rationalisation than is indicated by the ‘Fordism’ label.

Dieser Artikel zeichnet aus wirtschaftshistorischer Perspektive nach, unter welchen Bedingungen sich das Produktionsmodell des Toyotismus in Japan herausgebildet hat. Gezeigt wird, dass der Toyotismus ursprünglich aus einer Hybridisierung des Ford-Systems hervorgegangen ist: Er beruht auf einer Mischung aus japanischen Innovationen, fordistischen bzw. tayloristischen Elementen und heterodoxen Managementlehren aus den USA. Es wird erklärt, was sich hinter den toyotistischen Managementkonzepten kanban, Just-in-time, kaizen etc. verbirgt und wie diese bei Toyota seit den 1950er-Jahren zur Anwendung gelangten. Für die Zeit ab 1980 wird analysiert, wie sich der frühere Wissenstransfer umkehrte: Nun waren es Amerikaner, die von Japan zu lernen versuchten und dortige Konzepte unter dem Schlagwort „Lean Production“ übernahmen. Ob der Toyotismus damit ein internationales Referenzmodell der Produktions- und Arbeitsorganisation darstellt, ist allerdings noch offen.
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This article traces the conditions under which the production model of Toyotism evolved in Japan. By applying methods from the field of economic history, it shows that Toyotism originally emerged from a hybridisation of the Ford system, and is based on a mixture of Japanese innovations, Fordistic or Tayloristic elements and heterodox management theories from the United States. It explains what is meant by kanban, just in time, kaizen etc. and how these management concepts were used by Toyota from the 1950s onwards. It also analyses how, after 1980, the direction of knowledge transfer was reversed. From this moment onwards, it was the Americans who tried to learn from Japan and who adopted concepts in line with the motto ‘lean production’. However, it is still not clear whether this means that Toyotism can be considered to be a new international reference model for production and work organisation.

Debatte | Debate

Quellen | Sources

  • Rolf Sachsse

    Der 3000. Volkswagen für Luxemburg

    Zur visuellen Inszenierung von Produktionsjubiläen in der bundesdeutschen Nachkriegsindustrie

  • Christian Kleinschmidt

    Lernprozesse mit Hindernissen

    Berichte über deutsche Unternehmerreisen in die USA und nach Japan 1945–1970

Besprechungen | Reviews

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