Das kommunistische Polen als Auswanderungsland

Anmerkungen

Migrationen sind ein wichtiger Bestandteil polnischer Geschichte des vergangenen Jahrhunderts. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand eine Massenemigration aus den polnischen Gebieten statt. Bis 1914 verließen 3,5 Millionen Auswanderer - Polen, Juden, Ukrainer und Deutsche - ihr Zuhause, um überwiegend nach Nordamerika oder nach Deutschland überzusiedeln. In der Zwischenkriegszeit reisten zwei Millionen Menschen langfristig aus Polen aus; davon kehrte eine Million nicht mehr zurück.1

Der deutsche Angriff auf Polen im September 1939 eröffnete die dramatischste Dekade in der Geschichte der polnischen (und europäischen) Migrationen. In ihrer überwiegenden Mehrheit waren es verschiedene Formen von Zwangs- oder genötigten Migrationen: Deportationen, Aussiedlungen, Zwangsevakuierungen, Flucht vor der Front etc.2 Sie umfassten massive Abwanderungen sowohl in den Westen als auch in den Osten und erreichten in den Jahren 1939-1948 ein noch nie dagewesenes Ausmaß. Auf polnischem Gebiet (in den Grenzen von 1939) waren während des Krieges fünf Millionen Menschen betroffen. Nach dem Krieg und bis 1948 verließen über vier Millionen Menschen das neue polnische Territorium (wie es in Jalta und Potsdam festgelegt wurde) - hauptsächlich Deutsche, die aus den Gebieten östlich der Oder und Neiße (in Polen als Westgebiete bezeichnet) vertrieben wurden. Gleichzeitig immigrierten 3,8 Millionen Menschen nach Polen (Rückmigrationen ehemaliger Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter, hauptsächlich aus Deutschland, Umsiedlungen aus den Ostgebieten, die an die UdSSR abgetreten werden mussten, und Rückkehrer aus anderen Ländern). Außerdem fand eine millionenstarke Bewegung aus Zentralpolen in die Westgebiete statt, die formal als Inlandsmigration galt. Neben den menschlichen Verlusten während des Krieges gestalteten hauptsächlich diese Migrationen die polnische Nachkriegsgesellschaft. Ihre Rolle bei der Zerstörung der vormaligen Gesellschaftsordnung, der zwischenmenschlichen Beziehungen und Verwurzelungen ist kaum zu überschätzen; sie erleichterten den kommunistischen Machthabern die Einführung einer neuen Ordnung erheblich. Als Konsequenz dieser politischen Neuordnung brach nach den größten Bevölkerungsbewegungen die Kontinuität polnischer Migrationen ins Ausland abrupt ab.

Der vorliegende Aufsatz skizziert die Geschichte der Emigration aus Polen in den Jahren 1949-1989. Insbesondere widmet sich der Artikel der Frage der Grenzschließungen und -öffnungen. Darunter fallen die so genannte „Passpolitik“ und ihre Entwicklung in den vier Jahrzehnten, ihre Grundsätze und Instrumente (einschließlich der handelnden Institutionen). Auch um die Sicherung der Grenzanlagen, die als Ergänzung der Passpolitik erforderlich war, wird es im Folgenden gehen. In dieser politisch-sozialen Geschichte der Auswanderung traten mindestens drei Gruppen von Akteuren auf: erstens die kommunistischen Machthaber und ihr politisch-administrativer Apparat, zweitens die tatsächlichen und potenziellen Emigranten (indirekt auch andere mit den Migranten in Verbindung stehende Personen, die so genannte Migrationsnetzwerke bildeten), drittens die Regierungen der Zielländer, die eine mehr oder weniger freundliche Immigrationspolitik betrieben.

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Dieser Aufsatz beschäftigt sich vor allem mit der ersten Gruppe und - in einem viel geringeren Maße - mit der zweiten, da die Sozialgeschichte der Migration einen umfangreicheren Rahmen erfordern würde. Zunächst ist die Frage zu klären, ob die Auswanderung aus der Volksrepublik Polen politisch war; für eine befriedigende Antwort muss der Begriff der politischen Emigration erläutert werden. Auf der einen Seite wurden zwar die Menschenrechte in Polen andauernd verletzt, doch auf der anderen machte die Gruppe derer, die selektiven Verfolgungen ausgesetzt gewesen waren (so die Definition eines Flüchtlings in der hier maßgeblichen UNO-Konvention), zumindest ab 1956 nur einen kleinen Teil der Gesamtheit der Emigranten aus. Die Frage kann aber entschieden positiv beantwortet werden, wenn die politischen Bedingungen, die die Entscheidung zur Auswanderung bewirkten, breiter definiert werden. In den kommunistischen Ländern kam es zu einer Politisierung beinahe aller Lebensbereiche, insbesondere zur beispiellosen Verstaatlichung der Wirtschaft. Auf diese Weise wurden auch jene Bereiche und Auswanderungsgründe politisiert, die sonst als ökonomisch oder schlicht privat gelten würden.

Die Zielländer, die dritte Akteursgruppe, werden in diesem Aufsatz am wenigsten berücksichtigt, da eine gründliche Darstellung ihrer Rolle zusätzliche Untersuchungen in Archiven außerhalb Polens erfordern würde. Im Zeitalter des Kalten Krieges verfolgten die westlichen Staaten eine recht freundliche Immigrationspolitik gegenüber den Auswanderern aus dem Ostblock, darunter auch aus Polen. In einigen Jahren und Ländern betrieben sie sogar eine Politik der aktiven Ermunterung zur Migration. Da die den Eisernen Vorhang überschreitenden Migranten und besonders jene, die sich um Asyl bewarben, ein lebendiger Beweis für die Überlegenheit des Westens waren, da ihre Anzahl meist niedrig war und die Herkunftsländer die Last der Migrationskontrolle übernahmen, konnten die Zielländer bei der Aufnahme der Ankömmlinge aus dem Ostblock liberaler vorgehen als bei Menschen aus anderen Teilen der Welt. So blieb es auch nach der restriktiven Wende in der Immigrationspolitik der westlichen Industrieländer zwischen den 1960er- und 1970er-Jahren, selbst wenn es in den 1980er-Jahren für die Polen immer schwerer wurde, Einreisevisa zum Beispiel für die USA zu erhalten. Mit der fortschreitenden Liberalisierung der Passpolitik in der VR Polen verlagerte sich die Migrationskontrolle auch zunehmend auf die Zielländer. Diese reagierten - meist verspätet - mit verschiedenen Formen von Restriktionen. Der Exodus Ende der 1980er-Jahre fand in einer Übergangszeit statt (im „Fenster der Geschichte“), als die VR Polen bereits die meisten Ausreiserestriktionen aufhob, die Regierungen der Zielländer jedoch noch keine Einschränkungen eingeführt hatten, wie sie für andere Immigrantengruppen galten. Am deutlichsten und folgenreichsten zeigte sich das in der Bundesrepublik. Hier verursachte der Wechsel in der Politik gegenüber den polnischen „Aussiedlern“ seit 1990 einen schlagartigen Rückgang der Migrationswelle - von 250.000 im Jahr 1989 bis hin zu lediglich einigen Tausend in den 1990er-Jahren. Die Regierung der Bundesrepublik wird im Folgenden als Akteur zu berücksichtigen sein, da sie auf die VR Polen vor 1989 erfolgreich Druck ausübte, um den einheimischen Bewohnern der Gebiete, die erst nach 1945 an Polen gefallen waren, die Emigration zu ermöglichen.3

1. Die Schließung Polens

Die großen Umsiedlungen der ersten Nachkriegsjahre überdecken eine wichtige Tatsache: Die historische Kontinuität polnischer Migrationen, die 1939 abbrach, wurde nach dem Krieg nicht erneuert. Die internationalen Migrationsströme, die sich seit dem 19. Jahrhundert gebildet hatten, sind nicht wieder entstanden. Die Zeit, die nach der „schwarzen Dekade“ der gigantischen Zwangsmigrationen folgte, war ihr genaues Gegenteil. Knapp acht Jahre lang herrschten in Polen Ausreiserestriktionen, die genauso einen Präzedenzfall darstellten wie die ihnen vorangegangenen großen Migrationen der Jahre 1939-1948. Die Möglichkeiten der Auswanderung wie auch überhaupt einer Ausreise waren für die Staatsangehörigen „Volkspolens“ kaum noch vorhanden. Im Jahr 1951 betrug die Zahl der Auslandsreisen auf Grundlage eines Passes 9.360, wovon 7.380 Personen in andere kommunistische Länder fuhren und nur 1.980 jenseits des Eisernen Vorhangs. Größtenteils handelte es sich um Geschäftsreisen von Ministerialbeamten oder Mitarbeitern staatlicher Außenhandelsgesellschaften. Die Zahl der erteilten Genehmigungen auf Auswanderung ist unbekannt (die Akten des Büros für Passangelegenheiten aus dieser Zeit sind verschollen), doch sie war sicher nicht mehr als zweistellig. 1954, als die ersten Anzeichen des poststalinistischen Tauwetters zu spüren waren und die Zahl der Ausreisen stieg, erhielten nur 1.681 Personen eine Genehmigung auf eine private, zeitlich begrenzte Ausreise; davon durften 52 Personen in ein kapitalistisches Land reisen. Weitere 52 Personen durften individuell in den Westen emigrieren.4 Statistisch betrachtet, konnte man damals leichter Minister als Emigrant werden - der Ministerrat hatte 40 Mitglieder, und zu jedem dieser Posten gehörten einige Vizeminister.

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Wenn 1954, in einem Land mit einer Bevölkerung von 27 Millionen, weniger als 2.000 Personen das Privileg einer privaten Auslandsreise bekamen, dann waren dies lediglich 0,006 Prozent der Bevölkerung; der Anteil der Auswanderungsbewilligungen entsprach 0,0002 Prozent. Zum Vergleich: In den letzten Jahren der Zwischenkriegszeit betrug in Polen (damals 35 Millionen Einwohner) die Zahl der Arbeitsmigrationen 100.000, und zigtausend weitere Personen reisten aus anderen Gründen ins Ausland - der sehr intensive kleine Grenzverkehr in die Tschechoslowakei und nach Deutschland nicht mitgezählt. Das waren mindestens 0,5 Prozent der Bevölkerung gewesen. Die Schließung der Grenzen war ein Teil des kommunistischen Projekts zur Umstrukturierung Polens, die das Land modernisieren sollte. In einigen Bereichen zeigten sich tatsächlich die ersten Anzeichen dafür, doch was die Mobilität der Bevölkerung anging, so warf sie Polen auf den Stand des frühen Mittelalters zurück.

Die Machthaber der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) entschieden hinter verschlossenen Türen über die Migrationspolitik, in der Überzeugung, dass „aus Gründen der Sicherheit sowie der Notwendigkeit der weitgehenden Einsparungen bei Devisen maximale Einschränkungen in der Vergabe der Auslandspässe nötig sind [...]. Emigration steht im Widerspruch zu den Grundsätzen der staatlichen Politik.“ Im Frühling 1949 veranlasste die Regierung eine Erhöhung der Gebühren für die Vergabe eines einfachen Passes auf 5.000 zł. und eines Emigrantenpasses auf 20.000 zł. - das 43-fache eines damaligen Durchschnittsgehalts.5 Diese drastische Erhöhung der Gebühren war jedoch nicht die einzige Hürde, die potenzielle Emigranten zu überwinden hatten. Wohlhabendere Leute hätten die Emigrantenzahlen durchaus steigern können - gerade sie hatten gute Gründe zur Ausreise. Von den kommunistischen Machthabern konnte man sich jedoch nicht einfach freikaufen. Auswanderung und private Auslandsreisen wurden durch administrative und polizeiliche Methoden eingeschränkt bzw. völlig unmöglich gemacht.

Für die Vergabe von Pässen war das Ministerium für Öffentliche Sicherheit zuständig (Ministerstwo Bezpieczeństwa Publicznego, MBP). Das im Rahmen des MBP ins Leben gerufene Büro für Passangelegenheiten war nicht mit der Vergabe von Pässen beschäftigt, sondern eher mit den Ablehnungen der Anträge. 1954 zum Beispiel wurden als Ergebnis der parteilichen Richtlinien und ihrer praktischen Umsetzung lediglich 4 Prozent der Anträge auf Emigration bewilligt. In ganz Polen gab es nur eine einzige Stelle, bei der man den Antrag auf einen Pass stellen konnte; die dazugehörigen Formulare waren ebenfalls nur in diesem Büro für Passangelegenheiten erhältlich und wurden Interessierten nur auf schriftliche Anfrage hin zugeschickt. Die Korrespondenz mit den Antragstellern ging jedoch nicht schnell vonstatten: In einigen bekannten Fällen wurden Antworten bis zu fünf Jahre lang nicht erteilt. Den einmal gestellten Antrag bearbeitete ein Beamter des Büros und begutachtete diesen (oder begründete seine Ablehnung). Diese Begutachtung überprüften die Vorgesetzten, dann wurde der Antrag von anderen Departements des MBP und des Außenministeriums durchgesehen, und schließlich fällte der Direktor des Büros eine Entscheidung. Danach schickte er die Papiere zur Überprüfung an das Zentralkomitee der Partei. Natürlich war keiner der Beamten an einer übereilten Befürwortung des Antrags interessiert, da das mehrstufige Kontrollsystem sie zur höchsten Strenge veranlasste. Die endgültige Entscheidung wurde auf höchster Ebene der staatsparteilichen Hierarchie getroffen - in einer speziellen vierköpfigen Kommission des Sekretariats des ZK. In diesen Jahren mieden die Menschen um jeden Preis den Kontakt mit dem MBP. Allein das Wort „Sicherheit“ rief ein Schaudern hervor, und die potenziellen Emigranten kamen sich fast wie Verräter vor. Das Ergebnis war nicht nur eine kleine Anzahl herausgegebener Pässe, sondern bereits eine geringe Menge gestellter Anträge, weil diese dem Antragsteller auch erhebliche Schwierigkeiten bringen konnten.6

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Um die Effektivität der restriktiven (Anti-)Emigrationspolitik zu sichern, bauten die Machthaber die Grenzschutzanlagen in einem nie dagewesenen Ausmaß aus. In den ersten Nachkriegsjahren waren die Grenzen nur schwach bewacht worden; die Flucht nach Westen war relativ leicht. Ab 1948 begann ein intensiver Ausbau der Infrastruktur der Grenze und des Militärischen Grenzschutzes (Wojska Ochrony Pogranicza, WOP), der nach dem Vorbild der Sowjetunion und durch sowjetische Offiziere aufgebaut und 1949 dem MBP untergeordnet wurde. Die Strafen für eine illegale Grenzüberschreitung wurden verschärft. Während dafür in der Zwischenkriegszeit bis zu einem Jahr Gefängnis oder eine Geldstrafe gedroht hatte, betrachtete das neue Regime den Grenzübertritt als eine weit schwerere Straftat, auf die ein bis drei Jahre Gefängnis standen.7 Es war wohl kein Zufall, dass dieses Strafmaß den Sanktionen in der UdSSR entsprach, wo für eine illegale Überquerung der Grenze ein bis drei Jahre Arbeitslager drohten.8

Bis 1955 wurden auf der Grenze knapp 1.110 km Stacheldraht und 1.314 Wachttürme errichtet. Die verbotenen Grenzbereiche wurden mit einfachen Geräten ausgestattet, die Eindringlinge erkannten und mit Leuchtraketen einen Alarm beim WOP auslösten, zu dem damals 13.500 Soldaten gehörten. Die am stärksten abgeriegelte Grenze befand sich im Westen: Auf 460 km Länge gab es 470 km Stacheldraht und 316 Wachttürme (durchschnittlich alle 1.450 m). Auch die Ostseeküste wurde von Wachttürmen in diesem Abstand gesichert. Hinter dem Stacheldraht verlief ein 10 m breiter Streifen geeggten Bodens.9 Seit 1952 verlief dieser Kontrollstreifen entlang der gesamten Küste. Die Ostgrenze wurde in ähnlicher Art von den Sowjets befestigt, sicherlich mit einer noch besser ausgebauten Infrastruktur.10 Die Zahl des WOP-Personals wuchs von 18.300 im Jahr 1947 auf 32.300 im Jahr 1953. Jeder festgestellte Fluchtversuch wurde ungeachtet der Kosten geahndet. Im Oktober 1953 zum Beispiel wurde für die Verfolgung zweier Flüchtlinge, die mit einem selbstgebastelten Schlauchboot nach Bornholm zu gelangen versuchten, ein Aufgebot von 116 WOP-Soldaten, acht Flugzeugen (darunter fünf sowjetischen), sechzehn Fischerbooten, einem Hafenpilotboot, vier Autos und zwei Hunden gestellt. Die Flüchtlinge wurden erst durch eine Meeresblockade auf internationalem Gewässer vor Bornholm angehalten. Der Ausbau der Grenzsicherungsanlagen brachte mit der Zeit die erwünschten Effekte; die Chancen auf einen erfolgreichen Fluchtversuch wurden beinahe völlig reduziert. Die Erfolgsquote bei Verfolgungen von Flüchtigen stieg von ca. 50 Prozent im Jahr 1951 auf ca. 85 Prozent 1954. An der Westgrenze fasste man 1954 sogar 97 Prozent derjenigen, deren Fluchtversuch festgestellt wurde.11 Diejenigen, die nach Westen über die Tschechoslowakei zu fliehen versuchten, fielen in die Hände der tschechischen Polizei oder starben an den Stromschlägen des Stacheldrahts an der tschechisch-österreichischen Grenze: In den Jahren 1952-1965 kamen dort 29 Polen um.12

So wurde Polen zu einem riesigen Gefängnis - einem Ort, den man nicht verlassen konnte. Die Bedeutung dieser Schließung des ganzen Landes für den Aufbau der kommunistischen Ordnung lässt sich kaum überschätzen. In den Jahren 1944-1948 hatten die Kommunisten bereits jedwede Anzeichen von Opposition erstickt, doch ihre Macht konnte erst dann total sein, wenn man ihr nicht entfliehen konnte. Mit so gut bewachten Grenzen gab es vor den kommunistischen Machthabern nun kein Entkommen mehr. Um mit den Worten von Albert O. Hirshman zu sprechen: In Polen war weder Raum für „voice“ noch für „exit“ - was blieb, war die Anpassung.13

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Vom Prinzip der geschlossenen Grenzen gab es jedoch wichtige Ausnahmen. Während der 1940er- und 1950er-Jahre fanden Auswanderungen in beträchtlichem Umfang statt, die nicht in die offiziellen Statistiken eingingen. Diese Emigranten waren nämlich Personen, die (zumindest zum Ausreisezeitpunkt) nicht als polnische Staatsbürger angesehen wurden - zum größten Teil Deutsche. Nach Beendigung der großen Umsiedlungen 1948/49 blieb ein nicht zu vernachlässigender Teil der „anerkannten Deutschen“ in den polnischen Westgebieten. Ihre deutsche Nationalität und Staatsbürgerschaft stand außer Frage; es handelte sich jedoch größtenteils um unentbehrliche Arbeitskräfte einiger Unternehmen, Berg- und Landarbeiter sowie Kriegsgefangene. Noch größer war die Gruppe der deutschen Staatsbürger polnischer Abstammung, die früher einer Deportation hatten entgehen wollen und deshalb ihre polnische Nationalität deklarierten. Nach einiger Zeit änderten sie ihre Meinung oder verweigerten die Annahme der polnischen Staatsbürgerschaft. Am beharrlichsten forderten die Ausreise Mitglieder von im Krieg geteilten Familien, die sich oft in einer fatalen materiellen Lage befanden - laut offiziellen Schätzungen betraf dies im Jahr 1950 etwa 90.000 Personen.14 Die ostdeutschen Kommunisten übten wegen dieser Gruppen Druck auf Polen aus und erreichten damit in den Jahren 1950/51 die Ausreise von über 75.000 Personen aus Polen in die DDR und von weiteren 10.000 in den Jahren 1952-1954.15 Eine ähnliche Ausnahme machte man für die Juden. In den Jahren 1949/50 erhielten im Rahmen der so genannten „israelischen Option“ rund 30.000 Personen eine Ausreisebewilligung in den neu gegründeten Staat Israel (mit dem der Sowjetblock anfangs freundschaftliche Beziehungen unterhielt).16 Diese ethnisch definierten Ausnahmen von der Regel der Unmöglichkeit der Ausreise zeigen, dass Volkspolen zu einem nationalen und möglichst homogenen Staat werden sollte. Die Ausreisegenehmigungen für „gefestigte“ Deutschen und Juden bezweckten unter anderem die Beseitigung der bewussten und aktivsten Minderheiten, um so die Assimilation der Übrigen zu erleichtern und die Minderheitenfrage „ein für alle Mal“ zu lösen.

2. Entstalinisierung und Emigration aus dem Polen des „realen Sozialismus“

Die oben besprochenen Ausnahmen betrafen - so schien es zumindest - einen kleinen und eng definierten Teil der Bevölkerung. Es stellte sich jedoch heraus, dass die ethnische Identität anderen Mechanismen folgt, als es die Entscheidungsträger der Partei mit ihren mechanischen Kalkulationen annahmen. Der Wunsch, „Polen von den Deutschen zu säubern“, war während des Krieges entstanden und wurde durch die Vertreibungen nach Kriegsende nicht erfüllt, und er beeinflusste auch viele Jahre später noch die Migrationspolitik. Derweil neigte ein immer größerer Teil der einheimischen Bevölkerung der Westgebiete, darunter bereits auch nach dem Krieg Geborene, zur Auswanderung in die Bundesrepublik und zur deutschen Identität. Der allgemeine Grundsatz der Machthaber, eine Emigration nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zuzulassen, erwies sich als nicht praktikabel. „Mit Ausnahmen regieren“ ist eine wenig effektive Regierungsform, besonders wenn die Zahl der Ausnahmen stetig steigt. Das brachte Verwirrung in die Passpolitik, und in einer Zeit der Destabilisierung führte dies zu einem (zeitlich begrenzten) Kontrollverlust über die Ausreisebewegung. Genau das geschah 1956.

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So wie die Schließung des Landes Teil und Bedingung der Stalinisierung Polens war, so gehörte die stufenweise Lockerung der Restriktionen 1955/56 zum allgemeinen Prozess einer teilweisen Enttotalisierung17 der VR Polen. Die ursprünglichen Gründe für die Entstalinisierung Polens lagen vor allem im Zentrum des sowjetischen Imperiums: der Tod Stalins im März 1953 und das Ringen um seine Nachfolge, die Aufweichung des Terrors und die Massenamnestie, die Wiederaufnahme internationaler Beziehungen auf der Ost-West-Achse und schließlich der 20. Parteitag der KPSU mit der berühmten Rede Chruschtschows. Auf der polnischen Bühne gehörten zu den wichtigsten Ereignissen die Umgestaltung und Reduzierung des Sicherheitsapparates, der personelle Wechsel innerhalb der Partei, die Lockerung des Terrors und die Entwicklung nonkonformistischer gesellschaftlicher Verhaltensweisen bis hin zum offenen Aufstand in Posen 1956. Die Veränderungen in Polen und ihre verschiedenen Auswirkungen auch auf die Ausreisepolitik waren zunächst zum großen Teil Folge des Wandels in der UdSSR, aber nach und nach entwickelten sie ihre eigene, lokale Dynamik. Die folgenden Etappen der „Passpolitik“ sind natürlich im Zusammenhang mit den allgemeinen Trends des Sowjetblocks zu sehen, etwa der beginnenden Normalisierung der Ost-West-Beziehungen, doch zu einem viel größeren Grad waren sie ein Abbild der Veränderungen in der Geschichte der VR Polen selbst.

Schon 1954 kündigte sich ein Wechsel in der Passpolitik an, als sich die Partei, zunächst zögerlich, für erste Ausreiseerleichterungen entschied; praktische Folgen des Tauwetters in diesem Bereich waren ab 1955 zu spüren.18 Die Gesamtzahl der Auslandsreisen schnellte damals nach den Angaben des Innenministeriums auf 33.430 in die Höhe, stieg gegenüber dem Vorjahr also um 50 Prozent. Die Anzahl der in die „Staaten außerhalb des sozialistischen Lagers“ delegierten Dienstreisen erhöhte sich um 100 Prozent, und die Zahl der Auswanderer stieg ab 1956 auf ein Vielfaches.19 Die Zahlen zeugen nicht nur von der neuen, weniger restriktiven Haltung der Machthaber, sondern auch von der veränderten Einstellung derjenigen, die an einer Ausreise interessiert waren. Die Zahl der Menschen, die sich entschied, einen Antrag auf Auswanderung zu stellen, verdreifachte sich. Die Nachricht von der Liberalisierung der Passpolitik, die sich am plötzlichen Anstieg der Genehmigungen zeigte und sich besonders in den an einer Ausreise interessierten Kreisen nationaler Minderheiten per Mundpropaganda verbreitete, veranlasste immer mehr Menschen, sich um eine Ausreise zu bemühen. Die steigende Zahl der Anträge und der immer höher werdende Anteil der Genehmigungen potenzierten sich, so dass die Anzahl der Emigranten in die Höhe schoss. In den Institutionen fand eine simple, aber wahrhaftig revolutionäre Veränderung statt: So wurde die Prozedur bei der Erteilung der Genehmigungen vereinfacht, die Passangelegenheiten wurden dezentralisiert und in die Wojewodschaften verlegt. Mit der Dezentralisierung entstanden nicht nur 14-mal so viele Dienststellen für die Antragsteller; sie öffnete auch Tür und Tor für einen wirksamen Druck von unten, darunter auch durch Korruption.20

Die Jahre 1956-1958 waren die Zeit der intensivsten Auswanderungsbewegungen aus der VR Polen, die sich bis in die späten 1980er-Jahren nicht wiederholen sollten. Ein bedeutender Teil der damaligen Auslandsreisen wurde zu einer Ausreise für immer. Das Innenministerium verzeichnete 1956 rund 177.000 verschiedene Auslandsreisen, davon 30.000 Emigrationen; 1957 kamen auf fast 317.000 Auslandsreisen 148.000 Emigrationen, 1958 auf 256.000 Auslandsreisen 141.000 Emigrationen. Den größten Teil der Auswanderer machten ethnische Deutsche und Juden aus, die dementsprechend in die Bundesrepublik, die DDR oder nach Israel gingen.21

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Sowohl die Aus- als auch die Einwanderung dieser Gruppen in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre wurde als Abschluss der Umsiedlungen betrachtet, die Ende der 1940er-Jahre unterbrochen worden waren. Die Machthaber nahmen an, dass die Welle der Ausreisen zeitlich begrenzt sein würde, doch unterschätzten sie das Emigrationspotenzial. Es stellte sich heraus, dass trotz der Ausreise Tausender, darunter auch der „ganz harten Nationalisten“, die Welle der Emigranten nicht abklang, dass der Prozess der „Familienzusammenführung“ wiederum andere Familien spaltete und sich deshalb noch lange hinziehen konnte. Die Machthaber hatten also berechtigte Gründe zur Wiedereinführung einiger Restriktionen. Das Tauwetter in der Passpolitik war daher kurzlebig. Als das System seine Stabilität wiedererlangt hatte, waren die Entscheidungsträger über die politischen und ökonomischen Folgen der realen Massenauswanderung besorgt und schufen für die Emigration in die beiden Hauptauswanderungsrichtungen neue administrative Einschränkungen, mit denen die Ausreisezahlen effektiv gesenkt werden konnten. Zunächst wurde 1958 die Emigration nach Israel gestoppt und im Jahr darauf diejenige in die Bundesrepublik. Der Anteil der abgelehnten Anträge auf Emigration in die Bundesrepublik sprang von 8 Prozent 1958 auf 33 Prozent im darauffolgenden Jahr und auf 94 Prozent 1961.

Die Jahre 1957-1960 sind für die Geschichte der Auswanderung aus der VR Polen äußerst wichtig, denn damals kristallisierten sich Institutionen und politische Praktiken heraus, die die nächsten Jahrzehnte hindurch im Wesentlichen Bestand haben sollten. Es erfolgte unter anderem eine grundlegende Reorganisation des Büros für Passangelegenheiten im Innenministerium und der entsprechenden Milizämtern in den Wojewodschaften. Im Sejm wurde ein neues Gesetz zu Passangelegenheiten verabschiedet, das besagte, dass „jeder Staatsbürger (mit einigen Einschränkungen) ein Recht auf die Ausstellung eines Passes hat, wenn er die erforderlichen Dokumente einreicht und die entsprechenden Gebühren bezahlt“. Wenn man die spätere Ausreisepolitik betrachtet, so ist die unbeabsichtigte Ironie diese Satzes unschwer zu erkennen; dennoch waren das Abrücken vom Grundsatz, nahezu keine Emigration zu erlauben, und der Übergang zu einer Politik der selektiven Zulassung der Ausreisen sicherlich ehrliche Anliegen. Das Erstarken der Institutionen und Regulationen war ein Teil der allgemeinen Restabilisierung des Regimes nach den Erschütterungen des Jahres 1956; die Einschränkung der Mobilität ins Ausland war sowohl Bedingung als auch Folge dieser Restabilisierung.

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Das Ende der Ausreisewelle während des politischen Tauwetters bedeutete nicht einfach eine Rückkehr zum Prinzip des „Landes ohne Ausweg“ und zu den Praktiken der Jahre 1949-1954. Nach dem „Andrehen der Schraube“ 1958-1960 wurden die Verfahrensweisen in der Erteilung von Ausreisegenehmigungen wieder etwas gelockert. Der Anteil der Ablehnungen war nie mehr so drastisch hoch wie in der früheren Phase, und die Ausreisestatistiken zeigten wieder einen steigenden Trend. Nachdem in den Jahren 1959/60 fast alle Anträge auf Ausreise in die Bundesrepublik abgelehnt wurden, sank der Anteil der Negativbescheide und schwankte einige Jahre lang um 60 bis 70 Prozent. Antragsteller, die in andere kapitalistische Länder emigrieren wollten, hatten weit bessere Aussichten: Bei Ausreisen in die USA pendelte sich der Anteil der Ablehnungen in den 1960er-Jahren um 10 bis 20 Prozent, nach Israel um 20 bis 30 Prozent ein.22

Die Haupttendenzen der Ausreisepolitik und der Emigration, die sich am Anfang der 1960er-Jahre herauskristallisierten, setzten sich bis in die späten 1970er-Jahre fort. Dieser Zeitraum zeichnete sich durch verhältnismäßig geringe Fluktuationen der absoluten Zahlen der Emigrationsgenehmigungen aus - und durch einen eingeschränkten, jedoch relativ stabilen Zuwachs von kurzfristigen Auslandsreisen, besonders innerhalb des Ostblocks. Die Auswanderung wurde in einem Rahmen von 20.000 bis 30.000 Menschen pro Jahr gehalten, mit Ausnahme jener Jahre, in denen die Ausreise in die Bundesrepublik blockiert wurde (besonders 1979, 1974/75). Für den Umfang der Emigration aus der VR Polen war die Politik gegenüber den Ausreiseabsichten in die Bundesrepublik maßgeblich, denn diese war Zielland der Mehrheit aller Antragsteller. Die Schwankungen in den Emigrantenzahlen (siehe Anhang, Tab. 1) waren die Folge einer mehr oder weniger strengen Politik gegenüber den Anträgen der einheimischen Bevölkerung der Westgebiete, die in wachsendem Maße zu einer Ausreise und einer deutschen Identität neigte.23 Sogar die Emigrationswelle, die durch die antijüdische Hetzkampagne des Frühlings 1968 und die fast völlige Aufhebung der Emigrationsrestriktionen in den Jahren 1968/69 für Personen, die eine jüdische Herkunft und Israel als Zielland angaben, verursacht wurde, beeinflusste nicht die Gesamtzahl der Auswanderungen, da gleichzeitig die Schraube für die Emigranten nach Deutschland fester gedreht und 90 Prozent der Anträge abgelehnt wurden.24

Die Auswanderung in die Bundesrepublik war mehrmals Gegenstand von internationalen Verträgen. Die Machthaber der VR Polen wollten einen offenkundigen Zusammenhang zwischen der Emigration (der „humanitären Frage“, wie es in öffentlichen Verlautbarungen hieß) sowie den politischen und wirtschaftlichen Verhandlungen vermeiden - im Gegensatz zur Bundesregierung. Sie stellten diese Verhandlungen vielmehr als einen einseitigen Akt des guten Willens dar. Doch die Verbindung zwischen den Konzessionen, die man den Umsiedlern nach Deutschland gewährte, und den gleichzeitig abgeschlossenen Politik- und Wirtschaftsverträgen lag auf der Hand. Schon die Entscheidung, die Türen für die „Familienzusammenführung“ in den Jahren 1954-1956 immer weiter zu öffnen, hatte offensichtlich mit wirtschaftlichen Verhandlungen zusammengehangen.25 1970 war die Bewilligung der Emigration von zigtausend Personen, die in einem äußerst merkwürdigen Dokument mit dem Titel „Informationen der Regierung der VR Polen“ publik gemacht wurde, Teil des Pakets zur allgemeinen Normalisierung der Beziehungen.26 Einen ähnlichen Charakter hatte die Protokollnotiz, auf die sich Schmidt und Gierek in Helsinki einigten und die eine Ausreisegenehmigung für 120.000 bis 125.000 Personen ankündigte.27 Der Zusammenhang mit den gleichzeitigen Kredit- und Rentenverträgen war offensichtlich. Es scheint darüber hinaus, dass auch hinter der Liberalisierung der Passpolitik in den Jahren 1986-1988 Verhandlungen mit der Bundesrepublik gestanden haben. Anfang 1986 erhielt das Innenministerium die Anweisung, sich darauf vorzubereiten, 20.000 Personen die Emigration in die Bundesrepublik zu genehmigen, die man in Form der Operation „Kolonia“ verwirklichte. Dem muss hinzugefügt werden, dass in den Vorjahren 94.000 Personen registriert waren, die sich vergeblich um eine solche Genehmigung bemüht hatten.28

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Einen noch breiter angelegten Hintergrund für die Liberalisierung der Passpolitik, besonders der kurzfristigen Auslandsreisen, bildeten in den 1970er-Jahren die Entspannungspolitik und der KSZE-Prozess (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). In der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts wurde die Passpolitik immer stärker von der verzweifelten Suche nach Quellen für „harte Währung“ bestimmt, die unter anderem im Ausland arbeitende Polen hereinbrachten.29 Die kurzfristigen Auslandsreisen nahmen in den 1970er-Jahren enorm zu - zunächst dank der Erleichterungen bei Reisen in die DDR und die ČSSR: Die Einführung des kleinen Grenzverkehrs zwischen der DDR und der VR Polen 1972 erhöhte die Zahl der Auslandsreisen von einer Million auf zehn Millionen jährlich. Später, in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre, wuchs auch die Zahl der Reisen in den Westen. Millionen Polen konnten in dieser Zeit Auslandserfahrungen sammeln, die in vielen Fällen die Entscheidung zur Emigration erleichterten. Nach und nach verschwammen auch die Grenzen zwischen einer temporären und einer dauerhaften Ausreise. Immer häufiger verlängerte man den Aufenthalt im Westen - nicht unbedingt mit der Absicht, für immer dort zu bleiben, aber zum Beispiel wegen der dort gefundenen Arbeit.

3. Emigration in den Jahren der „langen Agonie“ der VR Polen (1980-1989)

Die anderthalb Jahre, die mit den Streiks im August 1980 begannen und mit der Ausrufung des Kriegszustands im Dezember 1981 endeten, waren eine Wendezeit für Polen. Für die Migrationsgeschichte spielten vor allem die Destabilisierung des Systems - die, wie 1956, bei den Beamten des Büros für Passangelegenheiten Verwirrung hervorrief - und die Verschärfung der Wirtschaftskrise eine wichtige Rolle. Der Lebensstandard sank; das Gefühl, ständig etwas entbehren zu müssen, wurde immer stärker. Die Devisenkurse schnellten auf dem Schwarzmarkt in die Höhe, und eine wachsende Verunsicherung breitete sich aus (darunter die Angst vor einer sowjetischen Intervention). All das stärkte die Neigung zur Migration, ob zur kurzfristigen oder ständigen. Die Zahl der Reisen in den Westen wuchs 1981 um knapp 80 Prozent auf eine nie dagewesene Höhe von 1.270.000. Die Ausrufung des Kriegszustands im Dezember 1981 hatte die fast völlige Schließung der Grenzen zur Folge. Gleichzeitig entschieden sich rund 120.000 Personen, die sich zu jener Zeit im Westen aufhielten, nicht mehr nach Polen zurückzukehren.30

 

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Nach dem Dezember 1981 hielten die Machthaber die Emigration und die Auslandsmobilität auf einem viel niedrigeren Niveau als in den Vorjahren, während gleichzeitig einige hundert Aktivisten der „Solidarność“ zur Emigration gezwungen wurden. Die Anzahl der Ausreisen in die kapitalistischen Länder fiel 1982 auf rund 189.000. Der Rückgang erwies sich jedoch als kurzlebig. Obwohl die Emigration „für einen ständigen Aufenthalt“ weiterhin eingeschränkt wurde, nahmen die Machthaber der VR Polen anders als in den 1960er-Jahren die Restriktionen bei kurzfristigen Reisen in den Westen nach und nach zurück. Die Inkohärenz zwischen der restriktiven Emigrationspolitik und der relativen Freiheit, einen Pass für kurzfristige Reisen in den Westen zu bekommen, wurde von den Interessierten schnell verstanden, und sie nutzten eine Genehmigung für eine private oder dienstliche Ausreise, um im Westen zu bleiben oder wenigstens den Aufenthalt dort zu verlängern. Nach kurzer Zeit war die Zahl solcher „informellen“ Emigranten höher als die Zahl derjenigen, die formell für einen „ständigen Aufenthalt“ ausgereist und in der Statistik des GUS (Głòwny Urząd Statystyczny - Hauptstatistikamt) verzeichnet waren.31 1983 wurden bereits über 450.000 Ausreisen in den Westen registriert (sowohl kurzfristige Reisen als auch Emigrationen), 1984 waren es 588.000 und 1985 über 1,1 Millionen Ausreisen. Es stellte sich schnell heraus, dass dies nur der Anfang einer hohen Welle an Auslandsreisen war, die bis 1988 auf fast 2,8 Millionen anstieg. Ende 1988 wurden fast alle Ausreiserestriktionen aufgehoben: Pässe wurden allen Personen ausgestellt und mussten dem Büro für Passangelegenheiten nicht mehr zurückgegeben werden, ihre Gültigkeit wurde auf fünf Jahre verlängert, das Formular für eine Passbeantragung wurde verkürzt und vereinfacht. Das restriktive System der Passvergabe, das in der stalinistischen Ära errichtet und in seiner raffinierten Konstruktion in den Jahren 1957-1985 mehrmals aus- und umgebaut worden war, wurde praktisch demontiert, bevor die PVAP im September 1989 das politische Ruder der Opposition übergab. Dass die Emigrationswelle 1989 ihren Höhepunkt erreichte, ist bekannt. Die Zahl der Ausreisen stieg auf 19 Millionen, doch ist schwer zu bestimmen, wie viele Personen tatsächlich im Ausland blieben, da seit dem Ende der VR Polen die Auslandsreisen nicht mehr im Innenministerium  registriert wurden.

Die Computerisierung des Innenministeriums Ende der 1970er-Jahre ermöglichte fortan eine ziemlich genaue Datenerfassung der hohen Emigrationswelle. In den 1980er-Jahren verließen rund 1,3 Millionen Menschen das Land, d.h. rund 3 Prozent der Bevölkerung. In einigen Regionen war die Konzentration der Ausreisen hoch, besonders im Kreis Oppeln in Schlesien, so dass Bevölkerungsanteile von bis zu 20 Prozent schwanden. Dass sich die Auswanderungen in bestimmten Gebieten häuften, hing mit einer ähnlichen Konzentration der Ausreisen in zwei Zielländer zusammen: Fast die Hälfte der „informellen“ und über die Hälfte der formellen Emigranten wanderten in die Bundesrepublik aus, in die USA weitere 10,1 bzw. 9,7 Prozent.

11

Formelle und informelle Emigranten unterschieden sich in Alter und Geschlecht. Bei den legalen dominierten Frauen, da sie durch die Heirat mit einem Ausländer die Möglichkeit zur Ausreise erlangten; bei der informellen Emigration überwogen Männer. 80 Prozent (670.000) der Emigranten waren im arbeitsfähigen Alter, während sie in der polnischen Gesamtbevölkerung 58 Prozent stellten. Die Abwanderung der arbeitsfähigen Bevölkerung betrug 63,7 Prozent der Geburtenrate dieser Gruppe; in den Jahren 1986-1988 überschritt sie diese sogar. Dieses Phänomen steigerte sich in Regionen, in denen die Auswanderung besonders stark war, speziell im Kreis Oppeln. Der Bildungsstand der Emigranten lag über dem polnischen Durchschnitt; besonders der Anteil von Personen mit mittlerer und höherer Bildung war relativ groß (39 Prozent im Vergleich zu 22 Prozent in der Gesamtbevölkerung). In den 1980er-Jahren verließen Polen unter anderem fast 20.000 Ingenieure sowie 8.800 Lehrer und Dozenten.

4. Fazit

Die Emigrationen Ende der 1980er-Jahre sind mit denen in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre vergleichbar. In diesen beiden Zeiträumen haben wir es mit einem starken Anstieg der Auslandsmobilität zu tun, darunter mit einer hohen Welle von ständigen Emigrationen, die vor dem Hintergrund einer tiefen Krise des Systems zu erklären sind. In beiden Fällen sahen die Machthaber in der Lockerung der Passpolitik ein Sicherheitsventil - einen Weg, um die Unzufriedenheit in der Gesellschaft zu verringern und die Beziehungen mit dem Westen (besonders mit der Bundesrepublik) zu verbessern. In den Jahren 1988/89 jedoch verursachte die Liberalisierung der Passpolitik eher eine weitere Destabilisierung des Regimes als seine Rettung. Die „angedrehte Schraube“ wurde in diesem Fall so weit gelockert, dass sie dem Druck nicht mehr standhielt und die heftigen Migrationsbewegungen außer Kontrolle gerieten.

12

Der Vergleich der Abschottung seit Ende der 1940er-Jahre mit der Explosion der Auslandsmobilität in der zweiten Hälfte der 1950er- und Ende der 1980er-Jahre sollte jedoch nicht zu dem Schluss führen, dass die Massenbewegung ins Ausland einfach eine Folge der Erosionen jener Hindernisse war, die die kommunistischen Machthaber am Anfang der VR Polen eingeführt hatten. Für den sozialgeschichtlichen Aspekt der Migration, d.h. für die Einstellungen und das Verhalten der Emigranten selbst, scheint der Schlüsselfaktor das Fiasko der sozialistischen Utopie gewesen zu sein, das wachsende Gefühl der relativ vielen Entbehrungen sowie die Kluft zwischen den Erwartungen der Gesellschaft (darunter dem Verlangen nach Konsumption und nach Freiheit) und den wirtschaftlichen und politischen Realitäten der VR Polen. Das Ausmaß der Emigrationen Ende der 1980er-Jahre war nicht nur deshalb größer als nach 1956, weil die Liberalisierung der Passpolitik breiter war, sondern auch deshalb, weil die Menschen die Hoffnung auf die Reformierung des Systems, die es 1956 noch gab, völlig verloren hatten. Die Kontraste zwischen dem Lebensstandard in Polen und im Westen zeigten sich schärfer, und immer mehr Menschen wussten um diese Kontraste.

Anhang: Tabellen

Tab. 1: Emigration mit gleichzeitiger „Abmeldung wegen eines ständigen Aufenthalts im Ausland“. Daten des GUS (Głòwny Urząd Statystyczny - Hauptstatistikamt) für die Jahre 1945-1989 (in Tausend)32

Jahr Emigranten Jahr Emigranten Jahr Emigranten
1945 1.506,0 1960 28,0 1975 9,6
1946 1.836,0 1961 26,5 1976 26,7
1947 542,7 1962 20,2 1977 28,9
1948 42,7 1963 20,0 1978 29,5
1949 61,4 1964 24,2 1979 34,2
1950 60,9 1965 28,6 1980 22,7
1951 7,8 1966 28,8 1981 23,8
1952 1,6 1967 19,9 1982 32,1
1953 2,8 1968 19,4 1983 26,2
1954 3,8 1969 22,1 1984 17,4
1955 1,9 1970 14,1 1985 20,5
1956 21,8 1971 30,2 1986 29,0
1957 133,4 1972 19,1 1987 36,4
1958 193,3 1973 13,0 1988 36,3
1959 37,0 1974 11,8 1989 26,6

 

Tab. 2: Emigration in die Bundesrepublik, die DDR und nach Israel 1955-195933

  1955 1956 1957 1958 1959
Bundesrepublik 737 14.992 90.317 110.753 10.311
DDR 413 5.623 22.962 8.483 315
Israel 192 9.384 30.331 3.143 3.561

 

Tab. 3: Reisen ins Ausland 1951-198034

Jahr gesamt sozialistische Länder kapitalistische Länder
1951 9.360 7.380 1.980
1952 12.510 9.650 2.860
1953 16.730 13.310 3.420
1954 22.200 18.050 4.150
1955 33.430 27.370 6.060
1956 177.220 146.640 30.580
1957 316.830 138.870 177.960
1958 256.350 91.390 164.960
1959 192.480 126.620 65.860
1960 194.890 131.190 63.700
1961 232.770 169.310 63.460
1962 278.490 209.280 69.210
1963 305.720 233.590 72.130
1964 372.340 289.100 83.240
1965 557.290 454.360 102.930
1966 763.090 649.980 113.110
1967 797.860 683.990 113.870
1968 691.220 585.580 105.640
1969 780.250 653.050 127.200
1970 881.390 760.390 121.000
1971 1.106.520 915.550 190.970
1972 10.620.770 10.394.190 226.580
1973 7.599.150 7.330.890 268.260
1974 8.299.690 8.008.550 291.140
1975 8.165.980 7.836.880 329.100
1976 10.217.700 9.781.210 436.490
1977 11.866.710 11.313.240 553.470
1978 9.974.880 9.398.130 576.750
1979 9.464.020 8.829.570 634.450
1980 6.867.070 6.158.370 708.700

 

 

Tab. 4: Ausreisen aus Polen in die kapitalistischen Länder in den 1980er-Jahren35

 

 

Jahr der Ausreise Ausreise in kapitalistische Länder
    davon ohne Rückkehr
1981 521.355 82.495
1982 188.575 27.498
1983 454.799 46.247
1984 587.911 47.497
1985 1.142.544 61.247
1986 1.364.398 73.746
1987 1.741.548 122.493
1988 2.773.166 266.235
1989 2.318.367 522.470
gesamt 11.092.663 1.249.929

 

Tab. 5: Emigration in kapitalistische Länder in den Jahren 1981-1989. Prozentuale Aufteilung nach Ziellländern36

Zielland „Informelle“ Emigranten Emigranten für „ständigen Aufenthalt“
Bundesrepublik
(mit West-Berlin)
50,8 59,5
USA 10,1 9,7
Österreich 8,0 4,4
Italien 4,1 3,7
Frankreich 3,8 3,5
Griechenland 3,7 1,3
Kanada 2,4 3,9
Schweden 2,4 2,9
Großbritannien 1,8 1,4
Niederlande 0,9 0,8
Dänemark 0,9 0,8
Australien 0,6 1,6
Belgien 0,6 0,5
Norwegen 0,5 0,03
Schweiz 0,5 0,5
andere Länder 8,3 5,3
gesamt 100,0 100,0

(Übersetzung: Agnieszka Wierzcholska)

Anmerkungen:

1 Zur Geschichte der polnischen Emigration siehe auch Andrzej Pilch (Hg.), Emigracja z ziem polskich w czasach nowoytnych i najnowszych (XVIII-XXw.) [Emigration aus den polnischen Gebieten in neuer und neuester Zeit (18.-20. Jh.)], Warschau 1984; gerade das Kapitel zum kommunistischen Polen lässt jedoch einiges zu wünschen übrig. Zu den wichtigsten Migrationsstatistiken aus dieser Zeit siehe Krystyna Iglicka, Poland’s Post-War Dynamic of Migration, London 2001.

2 Dariusz Stola, Forced Migrations in Central European History, in: International Migration Review 26 (1992), S. 324-341.

3 Die Machthaber der VR Polen hegten gegenüber der Auswanderung aus den Westgebieten starken Unwillen, da die dortige Bevölkerung mit ihrem Bekenntnis zu Polen als lebendige Rechtfertigung der Nachkriegsgrenzen diente. Insofern muss der Erfolg der bundesrepublikanischen Diplomatie in dieser Frage umso höher eingeschätzt werden. Es ist erstaunlich, dass sich bislang keine Publikation dieser Erfolgsgeschichte widmet.

4 Dariusz Stola, Zamknięcie Polski. Zniesienie swobody wyjazdu i uszczelnienie granic w latach 40. i 50. [Die Schließung Polens. Die Abschaffung der Ausreisefreiheit und die Schließung der Grenzen in den vierziger und fünfziger Jahren], in: ders./Marcin Zaremba (Hg.), PRL. Trwanie i zmiana [VR Polen. Kontinuität und Wandel], Warszawa 2003, S. 159-186, hier S.164f.

5 Protokół Sekretariatu KC PZPR [Komitet Centralny Polskiej Zjednoczonej Partii Robotniczej - Protokoll des Sekretariats des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, im Folgenden SKC] vom 12.3.1949, Archiwum Akt Nowych [Archiv für Neue Akten], Bereich KC PZPR (im Folgenden AAN, KC) 2205, S. 122; Notiz über den Stand der Kader und die Arbeit mit dem Kader des Außenministeriums (Oktober 1951), AAN, KC 237/XXII-41; Zarządzenie Ministra Spraw Zagranicznych o wprowadzeniu nowych wzorów paszportów [Anordnung des Außenministers über die Einführung neuer Pässe], 1.7.1950, in: Monitor Polski Nr. 79/1950, S. 919.

6 Als detaillierte Beschreibung des Büros für Passangelegenheiten und der Prozeduren siehe Stola, Zamknięcie Polski (Anm. 4), S. 175-179.

7 Gesetz vom 9.7.1936 und Dekret vom 15.9.1948, erläutert in: Wiesław J. Modrakowski, Ucieczki z PRL - kto, jak, dlaczego (aspekty prawno-kryminologiczne ) [Flucht aus der VRP - wer, wie, warum (rechtliche und kriminologische Aspekte)], Warszawa 1992, S. 23ff.

8 Mervyn Matthews, The Passport Society. Controlling Movement in Russia and the USSR, Boulder 1993, S. 24.

9 Schreiben des Ministeriums der Öffentlichen Administration an das WOP in Sachen Anlage des Kontrollgürtels in den Wojewodschaften um Bialystok und Krakau, 30.6.1949 und 22.9.1949, Archiwum Straży Granicznej [Archiv des Grenzschutzes, im Folgenden ASG], Bd. 222/42.

10 Dienstnotiz über die Inspektion zum Stand der Grenzschutzanlagen, 3.11.1953, ASG 1285/183, S. 303f.; Schreiben des Büros für Budget- und Finanzangelegenheiten des MBP, 28.3.1950, ASG 224/3.

11 „Dienstnotiz“ vom 1.12.1952, ASG 1285/183, S. 258; Bericht zur Tätigkeit des Innenministeriums für das Politbüro KC PZPR für den Zeitraum Dezember 1954 - Mai 1955, Centralne Archiwum Ministerstwa Spraw Wewnętrznych [Zentralarchiv des Innenministeriums, im Folgenden CA MSW], MSW I.94, S. 48, S. 65.

12 Daten aus den Materialien des Instituts für Nationales Gedenken (IPN), zitiert in: Uciekinierzy z PRL [Flüchtlinge aus der VR Polen], in: Gazeta Wyborcza, 3.6.2005.

13 Albert O. Hirshman, Exit, Voice, Loyalty. Responses to Decline in Firms, Organizations and States, Cambridge 1970.

14 In den letzten Jahren sind viele wichtige Publikationen erschienen über polnische Deutsche, deutsche Polen in den 1940er- und 1950er-Jahren sowie über Menschen, die zwischen einer polnischen und deutschen Ethnizität standen und deren nationale Identität unklar war. Den besten Beitrag zur deutschen Frage in Polen 1945-1950 leistet die Einleitung von Włodzimierz Borodziej, in: ders./Hans Lemberg (Hg.), Niemcy w Polsce 1945-1950 [Deutsche in Polen 1945-1950], Warszawa 2000 (dt. Ausg.: dies. [Hg.], „Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden...“, Marburg 2000). Eine Übersicht der polnischen Literatur zum Thema Aussiedlungen findet sich in: Włodzimierz Borodziej, Historiografia polska o „wypędzeniu Niemców“ [Polnische Geschichtsschreibung über die „Vertreibung der Deutschen“], in: Polska 1944/45-1989. Studia i materiały [Polen 1944/1945-1989. Untersuchungen und Materialien], Bd. 2, Warszawa 1996, sowie Krzysztof Ruchniewicz, Problematyka wysiedlenia Niemców w Polsce i w Niemczech w przeszłości i teraźniejszości [Die Problematik der Aussiedlung von Deutschen in Polen und Deutschland in Vergangenheit und Gegenwart], in: ders./Bożena Szaynok/Jakub Tyszkiewicz, Studia z historii najnowszej [Untersuchungen zur neuesten Geschichte], Wrocław 1999. Über unklare Ethnizität schreiben u.a. Piotr Madajczyk, Niemcy polscy 1944-1989 [Die Deutschen in Polen 1944-1989], Warszawa 2001; ders., Przyłączenie Śląska Opolskiego do Polski 1945-1948 [Der Anschluss Schlesiens im Kreis Oppeln an Polen 1945-1948], Warszawa 1996; Leszek Belzyt, Między Polską a Niemcami. Weryfikacja narodowościowa i jej następstwa na Warmii, Mazurach i Powiślu w latach 1945-1950 [Zwischen Polen und Deutschland. Nationale Verifikation und ihre Folgen in Ermland, Masuren und Weichselgebiet in den Jahren 1945-1960], Toruń 1999; Beata Ociepka, Niemcy na Dolnym Śląsku w latach 1945-1970 [Die Deutschen in Niederschlesien in den Jahren 1945-1970], Wrocław 1994.

15 Dariusz Stola, O paradoksie masowej emigracji z państwa zamkniętego: wyjazdy do Niemiec w pierwszej połowie lat pięćdziesiątych [Über das Paradox der Massenemigration aus einem geschlossenem Land: Ausreisen nach Deutschland in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre], in: Andrzej Friszke (Hg.), Władza i społeczeństwo w PRL. Studia historyczne [Macht und Gesellschaft in der VRP. Historische Studien], Warszawa 2003. Siehe in deutscher Sprache: Philipp Ther, Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945-1956, Göttingen 1998; Michael G. Esch, „Gesunde Verhältnisse“. Deutsche und polnische Bevölkerungspolitik 1939-1950, Marburg 1998; Bernadetta Nitschke, Vertreibung und Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus Polen 1945-1949, München 2003.

16 Über Juden im Nachkriegspolen und deren Emigration siehe z.B. Natalia Aleksiun, Dokąd dalej? Ruch syjonistyczny w Polsce (1944-1950) [Wohin weiter? - Zionismus in Polen (1944-1950)], Warszawa 2002; August Grabski/Grzegorz Berend, Między emigracją a trwaniem. Syjoniści i komuniści żydowscy w Polsce po Holocauście [Zwischen Emigrieren und Bleiben. Zionisten und jüdische Kommunisten in Polen nach dem Holocaust], Warszawa 2003.

17 Der Neologismus „Enttotalisierung“ ist an Wörter wie „Entnazifizierung“ angelehnt. Der Begriff bezeichnet die Beseitigung oder das Verschwinden von bestimmten Charakteristika des totalitären Regimes. Mit Absicht verwende ich auch die paradoxe Formulierung „teilweise Enttotalisierung“. Die Erbauer totalitärer Systeme hatten totale Ambitionen, aber die Verwirklichung gelang immer nur zum Teil - der Totalitarismus war eher fragmentarisch als total. Das NS-Regime und die kommunistischen Regime waren in verschiedenen Ländern und verschiedenen Momenten ihrer Geschichte mehr oder weniger totalitär. Das betrifft sowohl den Aufbau- als auch den Zerfallsprozess (im Falle des kommunistischen Systems ein sehr langer Prozess). Die Entstalinisierung im Ostblock war ein Prozess der Enttotalisierung. Natürlich wird dieser Begriff jenen Lesern unnötig erscheinen, die Totalitarismustheorien oder den Begriff Totalitarismus an sich in Frage stellen.

18 Siehe dazu: Entscheidungen des Sekretariats des ZK kulturelle, wissenschaftliche und sportliche Kontakte betreffend, Protokolle vom 20. und 27.4.1954 und 13.7.1954, AAN, KC 1659.

19 Informationen über private und dienstliche Auslandsreisen 1955 und 1956, CA MSW, MSW I.192 (92/145), CA MSW 26/1. Die Dokumente des CA MSW wurden dem IPN übergeben.

20 Zu den Mechanismen der Explosion der Auslandsmobilität siehe Dariusz Stola, Międzynarodowa mobilność zarobkowa w PRL [Arbeitsmigration ins Ausland in der VR Polen], in: Ewa Jaźwińska/Marek Okólski (Hg.), Ludzie na huśtawce. Migracje między peryferiami Polski i Zachodu [Auf der Schaukel. Migrationen zwischen polnischen Peripherien und dem Westen], Warszawa 2001, S. 62-100, hier S. 68-72.

21 Migracje Zewnętrzne 1980. Informacja Statystyczna [Auslandsmigration 1980. Statistische Informationen], CA MSW 50/576, S. 14; Mikołaj Latuch, Repatriacja ludności polskiej w latach 1955-1960 na tle zewnętrznych ruchów wędrówkowych [Repatriierung der polnischen Bevölkerung in den Jahren 1955-1960 und Auslandsmigrationen], Warszawa 1994, S. 54.

22 Berichterstattung des Büros für Passangelegenheiten (im Folgenden BPMSW) für das Jahr 1963, CA MSW 26/13; Informacje statystyczne o wyjazdach za granicę [Statistische Informationen zu Ausreisen], BPMSW 1970, CA MSW 1233/18.

23 Die Wechselbeziehung zwischen dem Wunsch, in die Bundesrepublik auszureisen, und der nationalen Identität der altansässigen Bevölkerung der Westgebiete war lange Zeit ein politisches Tabu. Es scheint, dass nicht nur das Bekenntnis zur deutschen Identität über die Ausreise in die Bundesrepublik entschied, sondern auch umgekehrt: Mit dem wachsenden Verlangen nach Emigration konnte die polnische oder regionale (z.B. schlesische) Identität zu einer deutschen werden.

24 Informacje statystyczne o wyjazdach za granicę [Statistische Informationen zu Ausreisen], BPMSW 1970, CA MSW 1233/18. Zur antijüdischen Hetze 1968 und zum Emigrationsdruck siehe Dariusz Stola, Kampania antysyjonistyczna w Polsce 1967-1968 [Antizionistische Kampagne in Polen 1967-1968], Warszawa 2000.

25 Geheime Notiz vom Außenministerium an Bierut und die ranghöchsten Mitglieder der Regierung, 20.11.1954, Kopie in CA MSW 1186/963. Andere Notizen über Verhandlungen mit dem Deutschen Roten Kreuz und Handelsdelegationen 1954-1956 im Archiwum Ministerstwa Spraw Zagranicznych (Archiv des Außenministeriums, im Folgenden AMSZ), zespół 10, t. 169-20, besonders Notizen vom November 1955 über die Verbindung der Wirtschafts- mit den Ausreiseangelegenheiten (S. 20, S. 25). Über die Veränderung in den Beziehungen zwischen der VR Polen und der Bundesrepublik in dieser Zeit siehe Krzysztof Ruchniewicz, Warszawa - Berlin - Bonn. Stosunki polityczne 1949-1958 [Warschau - Berlin - Bonn. Politische Beziehungen 1949-1958], Wrocław 2003, S. 251ff.

26 Dringende Notiz des MSZ vom 9.10.1970, AAN, KC 1744, S. 424-429; Protokoll des Politbüros vom 21.10.1970, AAN, KC 1744, S. 420f.; Informacja Rządu PRL [Information der Regierung der VR Polen] und vertraulicher Kommentar, AAN, KC XIa/694, S. 17-20, publiziert u.a. in: Jerzy Bielski, Emigranci ze Śląska Opolskiego do Republiki Federalnej Niemiec. Realizacja zapisu protokolarnego z Helsinek w województwie opolskim (1975-1979) [Übersiedler aus Oberschlesien in der Bundesrepublik Deutschland. Die Verwirklichung der Protokolle von Helsinki in der Wojewodschaft um Oppeln (1975-1979)], Opole 1986, S. 222f.

27 Zapis Protokolarny [Protokollnotiz], 9.10.1975, und Texte anderer Übereinkünfte vom 9.10.1975, in: AAN, KC XIa/694, S. 23ff. Dort auch Kopien der Briefe der Außenminister der Bundesrepublik und der VR Polen (Genscher vom 9.3.1976 und Olszowski vom 15.3.1976) sowie die Presseerklärung Olszowskis für die polnische Presseagentur PAP vom 9.3.1976 (S. 52, S. 59-62). Siehe auch Bielski, Emigranci (Anm. 26), S. 34-38.

28 Entscheidung des Direktors des Büros für Passangelegenheiten MSW vom 19.2.1986 und entsprechende Aufzeichnungen, CA MSW, MSW 50/190, S. 6-15, S. 19-22.

29 Mehr zu dem Thema bei Stola, Międzynarodowa mobilność (Anm. 20), S. 91f.

30 Zielsetzung und Konzepte der Politik gegenüber polnischen Staatsbürgern, die nach dem 13.12.1981 ihren Aufenthalt verlängert haben..., MSW, August 1983, AAN, KC 2268, S. 104f. Es ist möglich, dass ein großer Teil dieser Gruppe bereits vor der Ausreise einen langfristigen Aufenthalt im Westen plante. Siehe auch: Information zur Ausreise und zum ständigen Aufenthalt im Ausland, Juni 1982, mit Anlage, CA MSW, MSW II 50/496, S. 23ff., und MSW II 50/419, S. 134, S. 175-179.

31 Detaillierte Informationen zu Auslandsreisen der 1980er-Jahre gibt Barbara Sakson, Wpływ „niewidzialnych” migracji zagranicznych lat osiemdziesiątych na struktury demograficzne Polski )[Der Einfluss „unsichtbarer“ Auslandsmigrationen in den achtziger Jahren auf die Demographie in Polen], Warszawa 2002. Sie analysierte die Daten des Systems zur Erfassung der Auslandsmobilität der Bevölkerung (system ewidencji ruchu zagranicznego ludności SERP), in dem alle Reisen in den Westen registriert wurden. Ähnliche Zählungen in: Marek Okólski, Migracje zagraniczne w Polsce w latach 1980-1989. Zarys problematyki badawczej [Auslandsmigrationen in Polen in den Jahren 1980-1989. Skizze einer Forschungsproblematik], in: Studia Demograficzne [Demographische Studien] Nr. 3/1994. Wenn nicht anders gekennzeichnet, sind alle zitierten Daten aus den 1980er- Jahren diesen Publikationen entnommen. Siehe auch: GUS (Główny Urząd Statystyczny - Hauptamt für Statistik), Turystyka i wypoczynek [Tourismus und Erholung], Warszawa 1993.

32 Zahlen des GUS aus: Ewa Jaźwińska/Marek Okólski (Hg.), Causes and Consequences of Migration in Central and Eastern Europe. Podlasie and Śląsk Opolski: Basic Trends in 1975-1994, Warsaw 1996, S. 35. Das GUS sammelte Angaben aus den Bereichen „Anmeldung“ und „Abmeldungen zu ständigem Aufenthalt“, d.h. Daten aus den lokalen Melderegistern. Nicht immer stimmen diese mit den Daten des MSW zur Emigration überein, da nicht alle Emigranten ihrer Pflicht zur „Abmeldung zu ständigem Aufenthalt“ nachkamen und weil Passerteilung und Abmeldung in aufeinanderfolgenden Jahren stattfinden konnten.

33 Zahlen des MSW aus: Latuch, Repatriacja (Anm. 22), S. 54, S. 57. Die Dokumente des MSW enthalten einige Ungenauigkeiten.

34 Daten des Büros für Passangelegenheiten MSW: Migracje zewnętrzne 1980. Informacja Statystyczna [Auslandsmigration 1980. Statistische Informationen], CA MSW 50/576. Enthalten sind kurz- und langfristige sowie private und dienstliche Ausreisen, darunter auch „Emigration zum ständigen Aufenthalt im Ausland“, aber nicht der so genannte kleine Grenzverkehr.

35 Darunter Ausreisen ohne registriertes Datum der Rückkehr. Zahlen des MSW (System SERP) aus: Sakson, Wpływ (Anm. 31). Eingeschlossen sind kurzfristige, private Reisen, Ausreisen wegen Heirat und Ausreisen für einen „ständigen Aufenthalt im Ausland”, registriert im Zeitraum 1.4.1981 bis 31.12.1989. Rückkehrer wurden nur bis Ende 1989 registriert, so dass die Zahlen aus diesem Jahr anders interpretiert werden müssen, da ein großer Teil der Ausgereisten zurückkehren konnte, als das System SERP nicht mehr funktionierte.

36 Zahlen aus dem Register SERP aus Sakson, Wpływ (Anm. 31). Zur „informellen Emigration” zählten als kurzfristig deklarierte, private und dienstliche Reisen in kapitalistische Länder von Personen, die jedoch bis zum 31.12.1989 nicht zurückgekehrt sind.

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