„Eine Bombe im Taschenbuchformat“?

Die „Grenzen des Wachstums“ und die öffentliche Resonanz

Anmerkungen

Dennis Meadows/Donella Meadows/Erich Zahn/Peter Milling, Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1972.
 

 

Wer es wieder oder erstmals zur Hand nimmt, dem fällt sofort auf, wie flott sich das handliche Buch mit seinen 180 Seiten und weit über 50 Abbildungen und Tabellen lesen lässt. Kurz und bündig formuliert das Team um Dennis Meadows bereits in der Einführung seine Grundaussage: Rasches Handeln sei erforderlich, denn wenn „die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht“ (S. 17). Dieser Schlussfolgerung lagen etwa 18 Monate Forschung und ein computergestütztes Weltmodell zugrunde, mit dessen Hilfe Ursachen und Folgen exponentiellen Wachstums anhand der genannten fünf makroökonomischen Basistrends und ihrer Wechselwirkungen berechnet werden sollten.

Die anschauliche Präsentation setzt sich fort, denn mit eingängigen und allgemeinverständlich formulierten Beispielen führen die Autoren die mathematischen Grundbedingungen exponentiellen Wachstums plastisch vor Augen - etwa mit jener persischen Sage, der zufolge ein Diener „seinem König ein kunstvolles Schachbrett schenkte und als Lohn dafür nur ein einziges Getreidekorn für das erste Feld und für jedes folgende Feld die doppelte Kornzahl wie für das vorhergehende demütig erbat, also für das zweite Feld zwei Körner, für das dritte vier, für das vierte acht Körner. Das entspricht einer exponentiellen Zunahme mit einer Wachstumsrate von einhundert Prozent; auf das zehnte Feld entfallen 512 Körner, aber auf das 21. über eine Million Körner. Es gibt gar nicht so viel Getreidekörner auf der Erde, wie für das 64. Feld bezahlt werden müßten. Exponentielles Wachstum ist trügerisch, weil schon bei relativ geringen Wachstumsraten in kurzer Zeit astronomische Zahlen erreicht werden.“ (S. 19) Das alles leuchtet unmittelbar ein, und weitere Beispiele schlossen sich an, die rasch zum Allgemeinwissen gehörten.
 

 

Freilich wurde es in den Kapiteln II bis V dann komplizierter und für den interessierten Laien nicht mehr in allen Details nachvollziehbar, wie die Gesamtdarstellung des Weltmodells dokumentiert. Hier entfalteten die Forscher nämlich systematisch, aber stark vereinfacht die Grundlagen ihrer Ergebnisse und legten die variierenden Wechselwirkungen zwischen den fünf Bezugsgrößen Bevölkerung, Industrie, Nahrungsmittel, Rohstoffe und Umweltverschmutzung in rückgekoppelten Regelkreisen offen. Mit Hilfe eingespeister Daten und unterschiedlicher Grundannahmen berechneten sie diverse Verläufe des Weltmodells bis zum Jahr 2100 und diagnostizierten schließlich, dass das Systemverhalten eindeutig dazu tendiere, „die Wachstumsgrenzen zu überschreiten und dann zusammenzubrechen“. Ein Wachstumsstopp werde „mit Sicherheit noch vor dem Jahr 2100“ eintreten (S. 111f.). Dennoch verstanden sie die Studie nicht als düsteres Weltuntergangsszenario, sondern vielmehr als eine Warnung - mit freiwilligen Wachstumsbeschränkungen seien noch eine Umkehr und ein weltweites Gleichgewicht zu erreichen.

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Hervorgegangen war die Studie aus dem Projekt „The Predicament of Mankind“, das der 1968 begründete Club of Rome konzipierte, da seine Mitglieder die Menschheit an einem Wendepunkt angelangt sahen - hatten doch technischer Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum alle bis dahin gekannten Grenzen überschritten. Der Club übertrug das Vorhaben schließlich an eine 17-köpfige Forschergruppe am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), die auf ein ursprünglich für andere Zwecke entwickeltes kybernetisches Modell Jay W. Forresters zurückgriff und damit die dynamischen Wechselwirkungen zwischen den fünf Basiselementen berechnete. Die VolkswagenStiftung, bei welcher der Club of Rome eine Förderung beantragt hatte, zweifelte Mitte 1970 zwar an der Realisierbarkeit und stellte das Projekt zunächst zurück, bewilligte aber dennoch 200.000 DM, um es zu präzisieren, und stockte den Betrag Ende des Jahres auf nahezu eine Million DM auf.1

 
 
Gesamtdarstellung des Weltmodells als eines dynamischen Flussdiagramms (S. 88f.)
 

Die Studie erschien 1972 nahezu zeitgleich in zahlreichen Sprachen und verkaufte sich weltweit über zehn Millionen Mal.2 Dennis Meadows und der Club of Rome waren schlagartig in aller Munde; ein Jahr später adelte sie der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels als moralisches Weltgewissen. Die Resonanz auf das Bändchen war gewaltig und überaus kontrovers - davon zeugt nicht nur das „ZEIT“-Zitat im Titel dieses Beitrags.3 Nahezu alle Medien rezensierten und diskutierten das Buch ausführlich.4 Namhafte Kritiker wie der erst kurz zuvor mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnete amerikanische Ökonom Paul A. Samuelson bemängelten nicht nur die schmale Datenbasis und fehlerhafte ökonomische Hypothesen, sondern sie bemühten fortschrittsoptimistisch zugleich die Geschichte als Argument: Hatte sich nicht auch der englische Sozialökonom Thomas Robert Malthus mit seiner düsteren Krisendiagnose an der Wiege der industriellen Ära geirrt? Hatte er nicht fälschlicherweise prognostiziert, dass das rasante Bevölkerungswachstum in die als „malthusianische Falle“ berühmt gewordene Katastrophe münden müsse, da es unmöglich sei, so viele Menschen zu ernähren? Und hatte nicht die noch andauernde industrielle Revolution dazu geführt, den Nahrungsspielraum in ungekannte Dimensionen auszuweiten?5 Freilich kam keiner der Kritiker an der Erkenntnis vorbei, die das Exekutiv-Komitee des Club of Rome in einer das Buch beschließenden kritischen Würdigung festhielt: Es seien unbedingt „neue Denkgewohnheiten zu entwickeln, die zu einer grundsätzlichen Änderung menschlichen Verhaltens und damit auch der Gesamtstruktur der gegenwärtigen Gesellschaft führen. [...] Zum erstenmal ist es lebensnotwendig, nach dem Preis unbeschränkten materiellen Wachstums zu fragen und Alternativen zu suchen, die dieses Wachsen nicht endlos fortsetzen.“ (S. 170)

Der Band „Die Grenzen des Wachstums“ fügt sich in die seit den späten 1960er-Jahren zu beobachtende intensive öffentliche Debatte über das Bevölkerungswachstum ein. Die Studie war Teil jener transnationalen Planungs- und Steuerungsutopien, die mittels elektronischer Datenverarbeitung Zukunftsentwürfe generierten und deren Risikopotenziale öffentlichkeitswirksam aufbereiteten.6 Der Aufschwung des Themas Umweltschutz flankierte und verstärkte diese Prozesse. Als wichtige Etappen dürfen etwa in den USA die Diskussion um Rachel Carsons „Silent Spring“ (1962) oder in der umweltpolitisch hinterherhinkenden Bundesrepublik die Aktivitäten innerhalb der sozialliberalen Koalition von Innenminister Hans-Dietrich Genscher gelten.7 Hierher gehören aber auch umweltbewegte Non-Governmental Organizations, die große UN-Umweltkonferenz in Stockholm sowie der erste „Tag der Umwelt“ 1972. Alle diese Elemente waren Bestandteile jenes fundamentalen Wahrnehmungswandels, der heute in der umweltgeschichtlichen Forschung als „1970er-Diagnose“ diskutiert und in aller Regel eng mit den „Grenzen des Wachstums“ verknüpft wird.8 Für den Erfolg des Büchleins mag auch ein Symbol eine Rolle gespielt haben, das unübersehbar auf dem Cover der deutschen Ausgabe prangte: Der zwischen zwei Eierschalenhälften platzierte Globus erinnerte nicht von ungefähr an den begrenzten, verletzlichen und schützenswerten „blauen Planeten“ - ein Bild, das die damaligen Leser spätestens nach der Mondlandung abrufen konnten. (Die englische Ausgabe setzte mit einem gefesselten Globus auf dem Cover einen etwas anders gelagerten Akzent.)

Es gibt nur wenige Bücher, die die Welt bewegen. Dieses gehört zweifelsfrei dazu, schärfte es doch das Bewusstsein für die Endlichkeit natürlicher Ressourcen und trug dazu bei, Ökologie als Argument ernster zu nehmen als zuvor. Aber auch wenn der Buchtitel zu einem geflügelten Wort aufstieg, zündete die „Bombe im Taschenbuchformat“ letztlich nicht - dass „Die Grenzen des Wachstums“ die Welt nachhaltig verändert hätten, bezweifelt angesichts der erneuten Wachstumseuphorie seit den 1990er-Jahren nicht nur Dennis Meadows.9 Weder die folgenden Berichte des Club of Rome noch die beiden unter seiner Federführung überarbeiteten Nachfolgebände erreichten auch nur annähernd die überwältigende Breitenwirkung des Erstlings. Während der 1992 publizierte zweite Band „Beyond the limits“ immerhin noch im gleichen Jahr auf Deutsch herauskam und binnen eines Jahres sieben Auflagen mit einer Gesamtzahl von 67.000 erlebte, verzichtete die Deutsche Verlagsanstalt darauf, das 2004 erschienene Werk „Limits to Growth. The 30-Year Update“ ins Deutsche zu übersetzen.10

Anmerkungen: 

1 Vgl. Helga Nowotny, Vergangene Zukunft: Ein Blick zurück auf die „Grenzen des Wachstums“, in: Michael Globig (Red.), Impulse geben - Wissen stiften. 40 Jahre VolkswagenStiftung, Göttingen 2002, S. 655-694; Jürgen Streich, 30 Jahre Club of Rome. Anspruch, Kritik, Zukunft, Basel 1997, S. 47-50.

2 Die Angaben über verkaufte Exemplare variieren erheblich, hier nach: Franz-Josef Brüggemeier, Tschernobyl, 26. April 1986. Die ökologische Herausforderung, München 1998, S. 215. Patrick Kupper, „Weltuntergangs-Vision aus dem Computer“. Zur Geschichte der Studie „Die Grenzen des Wachstums“ von 1972, in: Frank Uekötter/Jens Hohensee (Hg.), Wird Kassandra heiser? Die Geschichte falscher Ökoalarme, Stuttgart 2004, S. 98-111, hier S. 105, spricht von zwölf Millionen, Nowotny, Vergangene Zukunft (Anm. 1), S. 663, von neun Millionen. Die Gesamtauflage der deutschen Übersetzung bei der Deutschen Verlagsanstalt (DVA) lässt sich „aufgrund diverser Systemumstellungen“ nicht mehr ermitteln. Die bisher letzte und 17. Auflage erschien 2000 (E-Mail-Auskunft der DVA an den Verfasser vom 6.6.2006).

3 Thomas von Randow, So geht die Welt zugrunde. Eine Bombe im Taschenbuchformat: Siebzehn Wissenschaftler sagen den Wachstumstod der Zivilisation voraus, in: ZEIT, 17.3.1972, S. 64f.

4 Einige deutschsprachige Pressereaktionen mögen genügen: Weltuntergangs-Vision aus dem Computer, in: Spiegel, 15.5.1972, S. 126-129; Michael Jungblut, Ist Wachstum des Teufels? Der Weltuntergang findet nicht statt: Die Computer des MIT waren falsch programmiert, in: ZEIT, 18.8.1972, S. 22; Gt, Die Grenzen des Wachstums. Eine warnende Studie des Massachusetts Institute of Technology, in: Neue Zürcher Zeitung, 21.5.1972, S. 17f.

5 Paul A. Samuelson, in: Willem L. Oltmans (Hg.), „Die Grenzen des Wachstums“. Pro und contra. Interviews über die Zukunft, Reinbek bei Hamburg 1974, S. 40-43. Der Band versammelt Stellungnahmen von Befürwortern wie Gegnern der Studie.

6 Vgl. dazu etwa Alexander Schmidt-Gernig, Ansichten einer zukünftigen „Weltgesellschaft“. Westliche Zukunftsforschung der 60er und 70er Jahre als Beispiel einer transnationalen Expertenöffentlichkeit, in: Hartmut Kaelble/Martin Kirsch/Alexander Schmidt-Gernig (Hg.), Transnationale Öffentlichkeiten und Identitäten im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2002, S. 393-421.

7 Karl Ditt, Die Anfänge der Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland während der 1960er und frühen 1970er Jahre, in: Matthias Frese/Julia Paulus/Karl Teppe (Hg.), Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik, 2. Aufl. Paderborn 2005, S. 305-347.

8 Genannt seien hier: Patrick Kupper, Die „1970er Diagnose“. Grundsätzliche Überlegungen zu einem Wendepunkt der Umweltgeschichte, in: Archiv für Sozialgeschichte 43 (2003), S. 325-348, sowie die Beiträge von Frank Uekötter, Kai Hünemörder und Patrick Kupper, in: Franz-Josef Brüggemeier/Jens Ivo Engels (Hg.), Natur- und Umweltschutz nach 1945. Konzepte, Konflikte, Kompetenzen, Frankfurt a.M. 2005.

9 „Wir haben 30 Jahre verloren“. Interview mit Dennis Meadows, in: ZEIT, 31.12.2003, S. 20; „Wir sind jenseits der Limits“. Dennis Meadows beharrt auf den Grenzen des Wachstums, in: Süddeutsche Zeitung, 15.4.2006, S. 24.

10 Donella Meadows/Dennis Meadows/Jørgen Randers, Die neuen Grenzen des Wachstums. Die Lage der Menschheit: Bedrohung und Zukunftschancen, Stuttgart 1992; Donella Meadows/Jørgen Randers/Dennis Meadows, Limits to Growth. The 30-Year Update, Vermont 2004; E-Mail-Auskunft der DVA an den Verfasser vom 6.6.2006. Die deutsche Übersetzung ist inzwischen beim Hirzel-Verlag erschienen: Grenzen des Wachstums. Das 30-Jahre-Update. Signal zum Kurswechsel, Stuttgart 2006.

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