An der Grenze der Nationen

Europa-Konzepte und regionale Selbstverortung im Elsass

Anmerkungen

Nation und Region gehören in der Mentalitätengeschichte des Nationalismus eng zusammen. Die Annahme eines regionalen „Verhandlungsprozesses“ der Nation hat es der Geschichtswissenschaft ermöglicht, die künstliche Dichotomie eines „Nationalismus von oben“ und eines „Nationalismus von unten“ zu überwinden.1 Diese Regionalisierung des Nationalismus war in ihren Konsequenzen weitreichend – nicht allein mit Bezug auf die Geschichte der Nationalstaaten,2 sondern auch aus der Perspektive derjenigen Regionen Europas, die im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts mehrfach die staatliche Zugehörigkeit wechselten und so mit verschiedenen nationalen Identifikationsangeboten konfrontiert waren. Als Analyseterrain „hybrider Identitäten“ sind diese Grenzregionen in den letzten Jahren verstärkt in das Blickfeld der Forschung geraten.3 Die dabei beschriebenen Prozesse, Vermittlungsmodi und Repräsentationen von Nation und Region sowie des Verhältnisses zwischen Mikro- und Makroebene sind vielfältig4 – und gleichzeitig ergänzungsbedürftig. Denn eine weitere Ebene, auf der Zugehörigkeiten seit Beginn des 20. Jahrhunderts verhandelt wurden, ist bislang von der Forschung kaum berücksichtigt worden: Europa.

Am Beispiel des Elsass soll Europa als Erfahrungs- und Identifikationsraum in die Konzeptualisierung dieser Aushandlungsprozesse einbezogen werden. Im Unterschied zu einer unreflektierten und euphorischen Verwendung des Europa-Begriffs, die an die zeitgenössische Idee von der Bedeutung der Grenzregion „für eine friedliche Ausgleichung und gegenseitige Befruchtung großer Völkergruppen“ anschließt,5 soll im vorliegenden Aufsatz kritisch und analytisch nach Kontinuität und Wandel der Europa-Ideen und ihrer Funktionen in der Grenzregion gefragt werden. Der zeitliche Fokus liegt auf den Auseinandersetzungen der 1920er- und 1930er-Jahre als der entscheidenden strukturbildenden Periode regionaler Europa-Konzepte, deren Polyvalenzen in einer längerfristigen Perspektive sichtbar gemacht werden sollen.6

Einleitend stelle ich die Genese und die Inhalte der „Heimatidee“ am Beginn der regionalen Selbstvergewisserung dar und zeige, wie in Frontstellung dazu in den Avantgarde-Kreisen um den Schriftsteller René Schickele um 1900 mit dem Konzept des „geistigen Elsässertums“ ein europäischer Gegenentwurf entwickelt wurde, der ebenfalls von der Region ausging (1.). In den beiden Hauptkapiteln (2./3.) verfolge ich die Politisierung der Heimatidee und deren europäische Semantisierung in den Auseinandersetzungen der elsässischen Autonomiebewegung während der 1920er- bis 1940er-Jahre. Auf dem Höhepunkt der europäischen Anstrengungen und der maßgeblichen Institutionalisierungen wurden hier liberal-demokratische und föderalistische Europa-Positionen verhandelt,7 die zunächst im direkten Kampf um die Heimat- und Minderheitenrechte aufeinander verwiesen, sich dann aber zunehmend sichtbar auf ethnizistischer Grundlage auseinanderentwickelten.8 Die Darstellung revidiert und spezifiziert die auf einem unhistorischen Europa-Begriff basierende legitimatorische Beurteilung, nach Locarno habe die Heimatbewegung ihren provinziellen Rahmen überschritten und „europäische“, im Sinne pazifistischer, Züge gewonnen.9 Abschließend frage ich mit Blick auf die 1950er- bis 1970er-Jahre nach Neuformulierungen von Europa-Konzepten im Spannungsfeld regionaler Selbstverortungen nach dem Zweiten Weltkrieg (4.).

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In der Analyse dieser verschiedenen Stationen führt die Frage nach Europa jeweils ins Zentrum der Konflikte um Zugehörigkeiten und politische Loyalitäten im 20. Jahrhundert. Es wird zu zeigen sein, dass die Europa-Konzepte ein Reservoir von verschiedenen und mitunter widersprüchlichen Ideologemen waren, deren Elemente nicht immer eindeutig zu verorten sind. Die Unterscheidung zwischen „liberalen“ und „antiliberalen“ Konzepten erweist sich in der längerfristigen Perspektive als kontextabhängig und nicht trennscharf.10 Mit Blick auf die 1920er-Jahre ist vielmehr zunächst nach geteilten Semantiken demokratischer und pazifistischer, ethnizistischer und autoritär-gewaltprovozierender Europa-Ideen und ihren Funktionen in den Minderheitendiskussionen zu fragen. Die Perspektive auf gemeinsame Entwicklungen wird verschiedene Spielarten antiliberaler Ideen in Europa-Konzepten zu Tage fördern und ihre Ambivalenzen als Charakteristikum der Zwischenkriegszeit verdeutlichen.11

1. „Notre Alsace“ – Die „engere Heimat“ als „lokale Metapher“ und Präfiguration eines geistigen Europa (1890er- bis 1920er-Jahre)
 

Als zu Beginn der regionalen Selbstverortung der elsässische Maler Carl Spindler seinem Freund Anselm Laugel 1893 vorschlug, eine Art folkloristische Kunstzeitschrift mit dem Titel „Images alsaciennes“ zu gründen, reagierte Laugel, der erst 1891 aus Innerfrankreich zurückgekehrt war, verwundert auf das Attribut „elsässisch“.12 Der Dialog markiert den Moment des Übergangs. Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Elsass nicht selbstverständlich als distinkte Zugehörigkeitskategorie wahrgenommen. Es existierten kulturelle Symbole; aber diese wurden nicht als Identifikationsangebote verstanden. Erst um 1900 entwickelte sich ein klares „elsässisches Bewusstsein“, das sich, wie kein Geringerer als der Schriftsteller Maurice Barrès mit seiner Sensibilität für Nationalismen bemerkte, vor allem darin äußerte, dass nach den eigenen Bedürfnissen gefragt und die eigenen Traditionen gepflegt wurden.13

Nach den politischen Konfrontationen der 1870er-Jahre im Anschluss an den Protest der elsässischen und lothringischen Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung gegen die deutsche Annexion und der boulangistischen Krise griffen in den 1890er-Jahren im Elsass die deutschen Verwaltungsmaßnahmen.14 Sie führten zu einem gewissen wirtschaftlichen Aufschwung und sozialen Reformen; sie boten Raum für die intellektuelle und künstlerische Mobilisierung im Kontext der „Doppelkultur“.15 „Europa“ kam in diese Diskussionen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts hinein, und dann vor allem als Gegenentwurf und Erweiterung eines regional verorteten Elsass.

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Am Beginn dieses Prozesses verblieb die Debatte auf der „nationalen“ Ebene. Eingeleitet durch einen Artikel zur Genese der „elsässischen Mischkultur“ des Straßburger Privatdozenten für Nationalökonomie und Finanzwissenschaften Werner Wittich wurden die deutschen und französischen Anteile in der elsässischen Kultur und Geistesart auseinanderdividiert. Im Rahmen seiner sozio-historischen Argumentation betonte Wittich auf der Grundlage intensiver landschaftlich-volkskundlicher Beschreibungen, dass das im Elsass jeweils herrschende Volk „die fremden oder fremdgewordenen Kulturelemente“ nicht der Gesamtbevölkerung aufzwingen sollte. Aber er kam zu dem Schluss, dass eine Rückbildung des „Mischcharakters“ der elsässischen Kultur nicht ausgeschlossen sei.16

Der Artikel hatte eine wichtige Katalysatorfunktion für die regionale Selbstverortung. Dennoch suchte Wittich vor allem nach den „vermischten“ Kulturbestandteilen der großen nationalen Kulturen in der elsässischen Kultur. In der Diskussion um die „grande patrie“ und die „petite patrie“ wurde er bald von deutlicheren Positionen überholt, die in ihren Extremen, wenn auch mit einer gewissen Zurückhaltung, sogar wie Laugel eine „république indépendante“ unter dem Protektorat Deutschlands und Frankreichs anstrebten.17 Auch Wittich selbst, dem seine Stellungnahme bereits eine Verwarnung durch Staatssekretär von Puttkamer eingebracht hatte und der sich zunehmend mit Pierre Bucher anfreundete, dem Multiplikator eines französischen Elsass, radikalisierte seine Position.18

Die elsässischen und insbesondere die städtischen Eliten entfalteten über religiöse, regionale und auch soziale Grenzen hinweg einen integrativ ausgerichteten Heimatdiskurs.19 Entscheidend dafür waren zwei Institutionen, die das elsässische Bewusstsein trugen und formten: das „Musée alsacien“, das 1907 als eine Art elsässisches Volkskundemuseum gegründet wurde,20 und die „Revue alsacienne illustrée“ („Illustrirte elsässische Rundschau“), die als Nachfolgerin der kurzlebigen „Images alsaciennes“ (1893–1896) seit 1898 zum wichtigsten Medium „regionaler Identitätsstiftung“ avancierte.21 Beide Institutionen wurden von den Netzwerken um Anselm Laugel, Pierre Bucher und die Brüder Frédéric und Léon Dollinger getragen.

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An der „Revue“ lassen sich die Semantisierungen der „Heimatidee“ verfolgen. Die Präsentation der ersten Nummer von 1898 verzichtete auf jede politische Stellungnahme und verortete das Elsass mit dem Verweis auf Sebastian Münsters „Cosmographie“ in einer imaginären Vergangenheit. Das Programm lautete: „Notre Alsace“.22 Die „Revue“ war volks- und heimatkundlich orientiert – mit Wanderungsbeschreibungen, in denen die Schönheiten der elsässischen Landschaft eingefangen wurden, Dialektdichtungen, Beiträgen zur Trachtenkunde sowie einer Abteilung, in der die Biographien bekannter elsässischer Persönlichkeiten erzählt wurden. Kunstbeilagen konstruierten visuell eine elsässische Kultur, die sich als „natürlich“ ausgab. Schon der zweite Jahrgang verlängerte das Anliegen in die Gegenwart – mit einer Chronik, die auf 40 Seiten „alle bemerkenswerten Erscheinungen im Kulturleben des Elsass“ inventarisierte und eine Bibliographie bot.

Dieses Elsass, die „engere Heimat“, war zunächst unpolitisch und konsequent mehrsprachig – elsässisch, deutsch und französisch. Die Heimatidee schuf einen Ausgleich zwischen überlieferten Traditionen, sozioökonomischen Veränderungen und vor allem widersprüchlichen Identifikationsaufforderungen. Mit stark emotional aufgeladenen und überzeitlichen Symbolen kreierte die Zeitschrift eine „lokale Heimatwelt“, die als Identifikationsangebot wahrgenommen wurde und über die sich abstrakte Größen wie die Nation integrieren ließen.23

Wenn die Heimat aber eine „lokale Metapher“ für die Nation ist, für welche Nation stand sie dann im Elsass? Die Tendenz der „Revue“ und die politische Orientierung ihrer Initiatoren weisen nach Frankreich. Seit 1901 wurde die Zeitschrift von Bucher herausgegeben, der sie als Verfechter eines französischen Elsass in einer eindeutigen Richtung positionierte. Ab 1912 ersetzten die „Cahiers alsaciens“ die Chronik und widmeten sich dem Ziel, die französischen Anteile der elsässischen Kultur zu stärken. Vehement hatte sich Bucher in der ersten Ausgabe gegen den Begriff der „Doppelkultur“ ausgesprochen, weil damit die Vorstellung einer Mischung von zwei Kulturen betont werde und nicht die Eigenart der elsässischen Kultur, die in sich stimmig sei – Bucher sagte „homogen“.24 Diese Entwicklung bedeutet jedoch nicht, dass die Zeitschrift sich von Anfang an mit ihrem kulturellen auch einem klaren politischen Programm verschrieben hätte.25 Dagegen spricht neben dem historischen Entwicklungspotenzial der Diskussion um die „Doppelkultur“ im Elsass auch die Funktionalität der Heimatidee und des mit ihr verbundenen Traditionalismus.

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Dieser anti-moderne Traditionalismus wurde bereits von den Zeitgenossen kritisiert und mit einem europäischen Gegenkonzept „bekämpft“, das seinerseits ebenfalls strikt regionalistisch gedacht war. Einspruch erhoben die avantgardistischen Künstlerkreise in Straßburg um René Schickele, Otto Flake und Ernst Stadler, die sich in „Der Stürmer“ der geistigen Renaissance des Elsass im Zeichen der expressionistischen Kulturkritik Friedrich Nietzsches verschrieben hatten. Sie kritisierten den als steril und national-konservativ empfundenen Regionalismus der Kreise um die „Revue“; dagegen setzten sie ihre Idee eines „geistigen Elsässertums“.26

Mit Recht wird das Konzept als Präfiguration der pazifistisch-sozialistischen Europa-Idee in den Schriften Schickeles gelesen.27 Aber dieses „Europa“ war eine ausschließlich ästhetisch konzipierte Zugehörigkeitskategorie und wurde in seinen Anfängen rein als Transzendierung der Region gedacht. Schickeles Plädoyer für eine neue Menschheitsordnung erfolgte im Namen des „Heimatstolzes“ und war ganz im Duktus der Jahrhundertwende gegen eine „Germanisation“ gerichtet, die die „elsässische Eigenart“ nicht respektierte: „In der Kunst werden wir das neue Reich gründen und durch die Kunst, durch die Herrschaft werden wir eine Nation werden, eine Geistesrepublik, hier bei uns, in die alle eintreten werden, in der wir mit allen sein werden, die ein freies, volles Menschentum als höchstes Ideal ersehnen – vor einem 100. Flottenverein und 1000. Kriegerverein.“28

Schickele entpolitisierte den Konflikt um kulturelle Zugehörigkeiten und politische Loyalitäten, indem er dem Elsass eine geistige Mission zusprach und diese aus dessen Sonderrolle ableitete. „Elsässer“ werde für „das Bewußtsein einer Tradition, eine kulturelle Aufgabe stehen“, proklamierte der deutsch-französische Schriftsteller 1902 und wertete das „Nationalbewußtsein“ vitalistisch um: „Nationalbewußtsein ist die bewußte kulturelle Kraft eines Volkes, das Bewußtsein einer Mission für die Menschheit.“29

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Ein deutsch-französischer Grenzgänger:
René Schickele auf der Schiffbrücke Breisach, 1931
(Deutsches Literaturarchiv Marbach, Foto: Wolfgang Hertel)

Schickeles Entwicklung ist exemplarisch. In den folgenden Jahren traten „humanistisch-christliche“ Elemente der Europa-Utopie in den Vordergrund; für den Gegner des Ersten Weltkriegs wurde Europa auch eine politische Notwendigkeit. Das Bild des Elsass als „der symbolische Garten unserer Temperamente“30 blieb mit seinem Zentrum – der deutsch-französischen Aussöhnung – prägend und schlug sich schließlich Mitte der 1920er-Jahre in der Begeisterung für ein „geistiges Locarno“ nieder.31 Gleichwohl brach sich dieser Idealismus an der elsässischen Realität, die wegen der Auseinandersetzung um die Heimatrechte eine harte Herausforderung für die Anhänger von pazifistisch-demokratischen Europa-Konzepten darstellte. „Entweder Europa wird sein. Und dann […] spielt auch das kleine Trauer- und Satyrspiel zwischen Rhein und Vogesen nicht mehr. Oder Europa wird nicht sein. Dann ist das Elsaß nebensächlich wie eine Zündholzschachtel in einem brennenden Haus […]. Aber dazu kommt es nicht.“32 Schickele erteilte der geistigen Vermittlerrolle des Elsass am Ende seiner elsässischen Roman-Trilogie eine resignierte Absage, aber die Verbindung von Elsass und Europa tastete er nicht an.

Schickeles Pessimismus war eine Reaktion auf die Frontstellungen der elsässischen Autonomiebewegung Ende der 1920er-Jahre. Nachdem die Phase vor dem Ersten Weltkrieg durch zahlreiche Konflikte und Affären zu einem gesteigerten Bewusstsein der elsässischen Sonderrolle geführt hatte,33 bedeutete die „Eingliederung“ in den französischen Zentralstaat 1919 einen Schock, in dessen Folge sich die Positionen in der Auseinandersetzung um nationale und regionale Zugehörigkeit im Kontext ambivalenter Europa-Konzepte neu formierten und radikalisierten.

2. „Notre droit“ – „Heimatrechte“, „Volksrechte“ und „europäische Mission“ (1920er-Jahre)
 

In den 1920er-Jahren wurde aus der Heimatidee als einem regionalen Identifikationsangebot ein Kampfbegriff, in dem politische und kulturelle Dimensionen zusammenliefen. In Opposition zur laizistischen Assimilationspolitik des „Cartel des Gauches“34 politisierten sich die Vorstellungen von der „elsässischen Eigenart“ und wurden – aufgenommen im Begriff der „Heimatrechte“ – zur ideologischen Grundlage einer breiten und heterogenen Autonomiebewegung. Im Kampf um die Erhaltung der deutschen Sprache, der sozialen und politischen Einrichtungen aus der Reichslandzeit sowie gegen die Aufkündigung des Konkordats und die Auflösung der Konfessionsschulen bildeten sich politische Fronten und ideologische Konstrukte, die bis nach 1945 einflussreich waren. Die zunächst konfessionell motivierte Protestbewegung unter Führung des Straßburger Bischofs Mgr. Ruch erfolgte zwar nicht unter dem Signum der Autonomie;35 ihre mobilisierende und polarisierende Wirkung aber war beträchtlich. 1924 begann im Elsass ein grundlegender Selbstverständigungsprozess, in dem „Europa“ eine feste Größe war – wenn auch in schillernder Gestalt.

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In den Diskussionen heimatrechtlicher Kreise lag die Funktion des Rekurses auf die „europäische Mission“ des Elsass zunächst in der Vermittlung bzw. Aufhebung des Konflikts zwischen Region und Nation. Diese Vorstellung prägte auch das „geistige Elsässertum“ der Avantgarde-Gruppe um Schickele, nur ging es hier um ein dezidiert modernes, anti-traditionalistisches Koordinatensystem. Das „Europa“, das in den Kontexten der einschlägigen autonomistischen Wochenzeitung „Die Zukunft“ zur Debatte stand, war durch den Bezug auf die Minderheitendiskussionen der Zwischenkriegszeit und die damit verbundenen Ambivalenzen geprägt.36

Die Zeitung kam durch enge Verbindungen altdeutscher Elsässer mit dem Reich und durch Unterstützung von Robert Ernst zustande, dem wohl wichtigsten Verbindungsmann zwischen Autonomisten und Deutschem Reich und späteren Generalreferenten des Chefs der Zivilverwaltung.37 Auf den ersten Blick scheint dies für eine „antiliberale“ Grundhaltung der in der „Zukunft“ vertretenen Europa-Konzepte im Sinne der Wiedergewinnung deutschen Volkstums zu sprechen. Gleichwohl erweist sich die Etikettierung nicht nur methodisch aufgrund des Problems retrospektiver Kategorienbildung als schwierig. Der Begriff verstellt den Blick auf die Mehrdeutigkeiten und den umfassenden Sammlungscharakter, den die Minderheitenfrage in den 1920er-Jahren besaß. Dieser prägte auch die in der „Zukunft“ vertretenen Europa-Konzepte. Gerade weil sie kein klares politisches Programm formulierte, versammelte die Zeitschrift in ihrem Umkreis vielfältige Positionen – katholische, anti-klerikale, sozialistische und pro-deutsche.38 Bekannte elsässische Vorkriegs-Liberale wie Camille Dahlet39 gehörten im Kampf gegen die Assimilation ebenso dazu wie der spätere Propagandist des NS-Regimes Paul Schall.

Das Editorial der ersten Ausgabe der „Zukunft“ vom 9. Mai 1925 zeichnete in programmatischer Weise das Bild einer umfassenden Zerstörung des Elsass, sechs Jahre nach der Rückkehr zu Frankreich: „Unsere Eigenart, eine alte Kultur, sehen wir scharfen Angriffen ausgesetzt. Aus jahrzehntelangem Aufstieg fallen wir zurück in ein veraltetes kleinliches Verwaltungssystem. Von unseren Freiheiten bricht eine um die andere. […] Wir leiden geistige und materielle Not.“ Die französische Assimilationspolitik, so die Argumentation, habe mit der „elsässischen Kultur“ zugleich die „europäische Mission“ des Elsass unterbunden. Getrieben von der grundlegenden Bedeutung der deutsch-französischen Spannungen schrieben sich die elsässischen Heimatrechtler die Rolle der „Friedenswalter und Versöhner zwischen Lateinern und Germanen“ zu, die vom Elsass aus über das Schicksal Europas entscheiden würden.40 „Wir Elsaß-Lothringer haben den Frieden zwischen Deutschland und Frankreich zu verwirklichen. […] Wir sind die, welche die Brücke bauen, von der die anderen schön reden.“41

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Der Weg „ins geeinte Europa“ beginne bei der „elsässischen Eigenart“ und führe, wie es in der „Zukunft“ hieß, über die „Minderheiten“ oder die „Nationalitäten“.42 Dieses gegen den französischen Zentralismus gerichtete „neue europäische Ideal der Menschenwürde“ meinte nichts anderes als „die Achtung vor den naturgegebenen und angestammten Volksrechten“.43 Die Heimatrechte erfüllten sich als Elemente eines föderalistisch organisierten „Nationalitätenstaates“, mit einer deutlichen Stoßrichtung gegen die politische Nation: „Wir verlangen als ein auf hoher Kulturstufe stehendes Volk Gewährung unserer berechtigten eigenen Nationalität innerhalb des mit neuem Geiste zu belebenden, ja eigentlich im Prinzip von der bisherigen überlebten Staatsform erst noch anzuerkennenden Nationalitätenstaates .“44

In Anbetracht der bis heute nicht ideologiefrei und grundlegend erforschten Kontexte ist die Mehrdeutigkeit und überparteiliche Bindekraft der Minderheitendiskussion in ihren Anfängen zu betonen, die nicht in direkter Fortführung des deutschen Volkstumsbegriffs oder als Instrument einer ethnisch orientierten deutschen Volkstumspolitik verstanden werden kann. Der Minderheitenbezug verband zunächst verschiedene ideologische Positionen und Konzepte. „Minderheiten“ waren ein fester Bestandteil des politischen Leitbilds der nationalen Gemeinschaft und dessen antipluralistischer Aufladung in den Zwischenkriegsjahren. In der Vorstellung von der „elsässischen Minderheit“ und der „elsässisch-lothringischen Nationalität“ gingen Konzepte völkischer Autonomie, ethnoregionalistische Ideen und ein ethnisch-partikularer Föderalismus fließend ineinander über.45 Erst nach der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund und dem Inkrafttreten des Locarno-Vertrags am 10. September 1926 wurden im Umkreis der „Zukunft“ die Europa-Konzepte emphatisch im Sinne ethnischer Volkstumsideen akzentuiert.

Unübersehbar war der konservative Grundimpetus dieser Europa-Idee, die in Richtung eines „Europa der Regionen“ wies und deren antiliberale Stoßrichtung sich seit Mitte 1926 deutlich abzeichnete.46 Mit der Gründung des „Europäischen Nationalitätenkongresses“ Ende 1925 war zudem eine an den Interessen des Deutschen Reichs orientierte „europäische Minderheitenlobby“ mit weitreichenden Netzwerken geschaffen worden, die von der völkischen Eigenständigkeit der europäischen Minderheiten ausging.47 Die Signalwirkung der Resolutionen und die im theoretischen Umkreis des Volksgruppenrechts angestoßenen Diskussionen zeitigten internationale Wirkung und benutzten „Europa“ als Deckmantel zur Durchsetzung der deutschen Minderheitenrechte.48

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Die Elsässer galten in völkerrechtlichem Sinn nicht als nationale Minderheit. Trotz anfänglicher Sympathien der Alliierten war das Elsass laut Artikel 51 des Versailler Vertrags Frankreich „wieder eingegliedert“ worden.49 Dagegen opponierten elsässische Regionalisten seit dem Ausbleiben des Plebiszits und der Ablehnung der Minderheitenschutzregeln durch Frankreich.50 Die neutralistischen Proteste von 191851 waren eine Übergangserscheinung geblieben, aber die Idee des Rechts auf Selbstbestimmung wurde zum festen Bestandteil heimatrechtlicher Bestrebungen. Mitte der 1920er-Jahre entstand in den Grenzregionen die für die Geschichte antiliberaler Europa-Konzepte bezeichnende Situation, dass in der Kritik an Locarno und einem als antiliberal-autoritär empfundenen „Europa der Staaten“ politische Konzepte eines „Europa der Regionen“ entwickelt wurden, die sich ihrerseits durch antiliberale Tendenzen auszeichneten.

Als im Juni 1925 der Rat des Völkerbunds in öffentlicher Sitzung die Beschwerde der polnischen Minderheit in Litauen über Behinderung der Gottesdienste, Entzug von Abgeordnetenmandaten, mangelnde Reisefreiheit u.ä. diskutierte, wurde das Argumentationsschema im Elsass direkt übernommen – trotz aller gegebenen Unterschiede. Mit Genuss und in aller Ausführlichkeit wurde Chamberlain in der „Zukunft“ mit seiner Kritik an Litauen zitiert: „Ich finde es ganz unbegreiflich“, soll dieser gesagt haben, „wie in einem Staate, der sich Mitglied des Völkerbunds nennt, das Anrufen des Völkerbunds durch seine Minderheiten als ein Verbrechen des Hochverrats angesehen werden kann.“52 Mit Chamberlain als Kronzeuge für die Bedeutung der Minderheitenfrage galt dieses Europa „von oben“ als „künstlich“,53 wider das Völkerrecht und „uneuropäisch“ – da „die großen Staaten über das Schicksal der kleinen Völker entscheiden, wie über eine Ware, die man dem Meistbietenden gibt“.54

Der Vorwurf mangelnder europäischer Gesinnung traf auch Briand, als dieser im Frühjahr 1926 die Anrufung des Völkerbunds durch das Elsass harsch ablehnte.55 Der unter-elsässische Senator Lazare Weiller hatte in der Kommission für auswärtige Angelegenheiten des französischen Senats am 1. März 1926 im Zusammenhang mit den gleichlautenden Ankündigungen der Autonomisten die Anfrage formuliert, was Frankreich zu tun gedenke, wenn die Elsässer sich dem Völkerbund als Minderheit präsentieren würden. Der Vorstoß wurde abgelehnt; Briand begnügte sich damit, auf Artikel 51 und 52 des Versailler Vertrags zu verweisen. Aber der Vorfall erhitzte die Gemüter und beschäftigte schließlich nicht nur die Pariser und Elsässer Presse, sondern auch ausländische, insbesondere englische Zeitungen.56

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Die Bindekraft der Vorstellung von der „nationalen Minderheit“ zeigt sich ein letztes Mal im Manifest des Heimatbunds, das im Juni 1926 die Forderungen eines sich formierenden parteiübergreifenden Aktionsbündnisses formulierte. Der Text klagte für die Elsässer „als nationaler Minderheit die komplette Autonomie im Rahmen Frankreichs“ ein.57 Diese Selbstständigkeit sollte ihren Ausdruck in einem vom Volk gewählten Repräsentativorgan mit Budgetrecht und Sitz in Straßburg finden sowie einer Exekutivgewalt. Die Kompetenzen der Organe wurden nicht präzisiert. Aber es ist unübersehbar, dass die Konzeption auf eine starke Regionalgewalt hinauslief, die sich in den Rahmen eines schwächeren Bundesstaats einschrieb. Der eingeklagte Bundesstaat stand unter dem Schutz Europas, auch wenn „Europa“ als zentrale Bezugsgröße nur in der Beschwörung des elsässischen Beitrags zu der „zivilisatorischen Gemeinschaft West- und Mitteleuropas“ explizit vorkam.

3. „Unser angestammtes Volkstum, unsere elsässische Nationalität“ – Europa in den Kontexten des „internationalen Föderalismus“ (1920er- bis 1940er-Jahre)
 

Das Manifest des Heimatbunds artikulierte einen Konsens, zu einem Zeitpunkt, als die autonomistischen Kreise sich bereits auseinanderentwickelten.58 Die Fronten zwischen „liberalen“ und „antiliberalen“ Positionen wurden deutlicher: „Europa“ blieb in den auseinanderdriftenden Positionen als fester Bezugspunkt autonomistischer Forderungen zentral. Die laizistischen Teile des Heimatbunds konstituierten sich im Oktober 1926 um den elsässischen Vorkriegsliberalen und Radikalsozialisten Georges Wolf sowie den Schickele-Freund und in der linken Mitte positionierten Liberalen Camille Dahlet als „Elsässische Fortschrittspartei“. Wolf war ein begeisterter Anhänger der demokratischen Europa-Idee. 1925 war er politischer Herausgeber der „République“ geworden, nachdem Dahlet zur „Zukunft“ gegangen war.59 Wolf verstand Europa klar im Geist Locarnos, innerhalb eines universalistischen Koordinatensystems, auf der Grundlage eines „lebendigen, kräftigen und in seiner Urwüchsigkeit“ unbeschädigten Elsass: „Die Antithese deutsch-französisch muß überwunden werden durch die Synthese europäisch-human“, dekretierte Wolf: „Auf diesem Boden muß zuerst europäisch gefühlt und gesprochen werden. Das ist unser Ideal.“60

Im Unterschied dazu waren in anderen Europa-Konzepten nun offenkundig antiliberale Tendenzen im Sinne ethnisch-organizistischer Minderheitenkonzepte erkennbar.61 Die im September 1927 von den „Zukunfts“-Redakteuren Karl Roos, Paul Schall sowie René Hauss gegründete „Autonomistische Landespartei“ (später „Unabhängige Landespartei“) verschrieb sich der Rettung des elsass-lothringischen Volkstums innerhalb eines „Europas“, das eindeutig in die Diskussion um die „Volksgruppenrechte“ gehörte.62 „Europa“ war der entscheidende Rahmen, innerhalb dessen ein so genanntes freies Elsass seinen Ort finden sollte, ein Elsass mit Mediatorenfunktion zwischen Deutschland und Frankreich im Rahmen der Vereinigten Staaten von Europa.63

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Im aufgeheizten autonomistischen Klima war für kulturalistische Europa-Positionen – und seien sie noch so vorsichtig artikuliert – kaum noch Platz. „Europa“ wurde in den Auseinandersetzungen der 1920er-Jahre zu einer Propaganda-Waffe. „Für eine Mehrheit von Elsässern ist der Begriff Europa nichts weiter als eine Vorspiegelung unmöglicher Tatsachen, ein Bluff deutschen Ursprungs, – das hölzerne Pferd gewissermaßen, in dem sich Deutschland in seine Nachbarländer einschmuggelt“, schrieb der junge Normalien und spätere Kulturvermittler Robert Minder 1926 in der Europa-Zeitschrift des Fürsten Rohan. „Unsere Aufgabe lautet, in dem nun einmal gegebenen politischen Rahmen beides abzuwägen. [...] Einfacher gesprochen: Frankreich besser kennenzulernen, Deutschland nicht zu vergessen.“64

Gegen diese „europäische Mission“ stand nun „die Erhaltung des Volkstums“. Vehement zurückgewiesen wurde Minders Sicht auf die „Doppelkultur“ des Elsass Anfang 1927 in der Kulturbeilage der „Zukunft“: „Die Verarmung der nicht französischen Volkstümer in der Bretagne, im vlämischen Norden und anderswo ist ihnen [d.h. den Autonomisten] eine erschütternde Warnung. Wenn man diesen Schutz unseres Volkstums nicht in unsere eigenen Hände legen will, so ist alles Reden über die ‚kulturellen Möglichkeiten‘ Elsaß-Lothringens weiter nichts als Aesthetengeschwätz. Die Erhaltung unseres Volkstums aber ist eine viel ernstere Angelegenheit.“65

Leitend für diese Vorstellungen war das konservative Modell des „internationalen Föderalismus“, das die Elsässer mit anderen Regionalisten teilten.66 Wenn auf der ersten öffentlichen Versammlung der Unabhängigen Landespartei am 25. September 1927 Grußadressen der bretonischen, korsischen und flämischen Autonomisten verlesen wurden,67 verwies das auf die im Rahmen des „Comité des minorités nationales de France“ bestehende Allianz. Das Komitee war am 12. September 1927 im Anschluss an den ersten Kongress der rechtsgerichteten autonomistischen Gruppe „Breiz Atao“ (Bretagne für immer) in Rosporden gegründet worden – in Anwesenheit der Elsässer Paul Schall, der zu den Unterzeichnern gehörte, und Hermann Bickler, der als Konrad Henlein des Elsass bezeichnet werden kann.68 Die elsass-lothringische Autonomiebewegung hatte den regionalen Rahmen überschritten.

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Sowohl in der Bretagne als auch auf Korsika hatten sich nach dem Ersten Weltkrieg regionale Bewegungen und Parteien gebildet, die sich ab Mitte der 1920er-Jahre im Anschluss an das Minderheitenrecht des Völkerbunds organisierten.69 Die elsässische Autonomiebewegung übte dabei eine gewisse Katalysatorfunktion aus; die „elsässischen Kameraden“ provozierten Solidaritätskundgebungen. Mehr noch: In der Bretagne war sich die Führungsriege von „Breiz Atao“, die sich um 1925 eine neue föderalistische Parteilinie gegeben hatte, schnell darüber im Klaren, dass die Situation im Elsass eine grundsätzliche für den Umgang mit „nationalen Minderheiten“ innerhalb Frankreichs sei und die Entwicklung in der Bretagne vorwegnehme.70

Als die „Zukunft“ im November 1927 verboten wurde und eine Verhaftungswelle im Elsass einsetzte, fanden in Vorbereitung des so genannten Komplottprozesses in Colmar auch Hausdurchsuchungen in Quimper und Rennes statt. „Breiz Atao“ berichtete regelmäßig über die Vorgänge im Elsass, und als Olier Mordrel, Gründungsmitglied der Gruppe, selbst als Entlastungszeuge im Mai 1928 nach Colmar reiste, hatte er eine zum Prozess angefertigte Sonderausgabe der Zeitschrift im Gepäck, die in Colmar verteilt wurde.71 Auch Petru Rocca, der Führer der korsischen Separatisten, Mussolini-Anhänger und Mitunterzeichner des Gründungsdokuments des Minderheitenkomitees, war bei dem Prozess anwesend,72 wo neben zwölf weiteren Autonomisten auch Roos, Schall und Hauss angeklagt waren.73

Die Allianz dieser Vertreter der Minderheitenbewegungen verlängerte sich in der späteren Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten. Trotz gegenteiliger Behauptungen ihrer Protagonisten steht außer Zweifel, dass die Ideologie und der praktizierte Führerkult der bretonischen Autonomiebewegung von rassenideologischen und sozialdarwinistischen Elementen geprägt waren.74 Grundlegend für das Europa-Konzept, das diese antiliberal ausgerichteten Minderheitenbewegungen teilten, war die Idee des ethnisch-partikularen Föderalismus – die Neuordnung Europas und dessen völkische Segmentierung, wie sie in der Parteidoktrin von Châteaulin 1928 festgeschrieben wurde: „Nous croyons que l’Europe est destinée à constituer, tôt ou tard une unité économique. […] Mais nous estimons que cette unité ne se constituera pas par la fédération des Etats actuels. […] Il n’y a donc ni témérité ni sacrilège à supposer que la ré-organisation du monde s’accompagnera de sécession et de regroupements, et qu’elle se fera non entre les grands Etats, dont le rôle historique sera terminé, mais entre les nationalités dont ils se composent, rapprochées selon leurs affinités ethniques, linguistiques et culturelles.“75

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Der Vorstand der rechten autonomistischen Gruppe „Breiz Atao“ (Bretagne für immer) zusammen mit den elsässischen und korsischen Delegierten, Kongress von Châteaulin 1928. Von links nach rechts, erste Reihe: Petru Rocca, Maurice Duhamel, Camille Dahlet, Olier Mordrel, Paul Schall. Das Titelblatt der gleichnamigen Zeitschrift „Breiz Atao“ (No. 24, 2.9.1928) zeigt alle drei wichtigen bretonisch-keltischen Symbole: rechts und links die „keltische Swastika“ als Symbol von „Breiz Atao“, im Titel das Hermelin (bretonische Flagge) in Verbindung mit einer stilisierten Triskele (Symbol aus drei offenen Spiralen).
(http://www.regionalismes.info/infos/etudes/gwenn_ha_du/federalisme.htm)

Die im Beisein von Dahlet und Schall diskutierte Europa-Linie setzte auf die Überwindung der Nationalstaaten. Im Blick hatten die bretonischen und elsässischen Autonomisten dabei vor allem die französische Republik und deren Nationsbegriff als eine politisch und historisch gewachsene Willensgemeinschaft. Ihr Gegenkonzept eines föderalistischen und nach völkischen Ordnungselementen organisierten Europa aktualisierte die klassischen Elemente der Volksgruppentheorie mit ihrem „schließenden Ideologieangebot“ und ihrem autoritativen Gehalt.76 Homogenisierende Konzepte von Ethnizität sowie ein Kulturverständnis, das als Differenz- und Exklusionskriterium funktionierte, wurden zur Grundlage des Europa-Konzepts und boten sich an, die Vieldeutigkeit mehrfacher nationaler Identifikationsangebote aufzulösen. Als Ausweg aus der Konfliktsituation der Grenzregion wurden Visionen der Eindeutigkeit und Sicherheit in den 1930er-Jahren als zunehmend attraktiv empfunden.

Die Verbindungen der elsässischen Autonomisten zu Deutschland und zum Nationalsozialismus verstärkten sich in den 1930er-Jahren und führten nach der deutschen Besetzung des Elsass 1940 zu unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit: Schall wurde als einer der wichtigsten Propagandisten des Regimes Kreisleiter von Molsheim und später von Straßburg, Bickler unter anderem Chef des Sicherheitsdiensts im Elsass. Roos, der 1939/40 wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war, wurde von den Nationalsozialisten zum „Blutzeugen des Elsass“ stilisiert. Der Sozialist Dahlet hatte sich von den pro-nazistischen Heimatbündlern der Landespartei spätestens seit 1934 distanziert und sich 1940 aus der Politik zurückgezogen.

 

Propagandaplakat zur Anwerbung von Freiwilligen aus dem Elsass für die Wehrmacht, 1942
(Bundesarchiv, Plak 003-025-060, Grafiker: Eck)

Kurz nach der Besetzung Frankreichs, im Juli 1940, hatten die von der französischen Regierung in Nancy inhaftierten Autonomisten (darunter neben Mourer, Rossé und Stürmel auch Schall, Bickler und Hauss) das „Manifest von Drei Ähren“ unterzeichnet. Es enthielt ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus und bat Hitler um die Eingliederung des Elsass in das Deutsche Reich – zur Rettung des „Volkstums deutscher Art“ und im Namen der deutsch-französischen Verständigung. Die Erklärung wurde nach Berlin gebracht, hatte aber keinen Effekt.77 Sie verdeutlicht das schwierige Verhältnis der Heimatrechtler zum Nationalsozialismus. Mit polarisierten Opfer-Täter-Kategorien als „Agenten Deutschlands“ oder „Geiseln“ des Nationalsozialismus ist die Rolle der Autonomisten nur unzureichend beschrieben. Starke Interessenkonflikte und Formen der Distanznahme bestimmten die Beziehungen zwischen den Autonomisten der verschiedenen Lager und dem Nationalsozialismus;78 dies wäre aber erst in Detailstudien zu untersuchen sowie mit einer längerfristigen Perspektive im Kontext der französischen und europäischen Organisationen und Initiativen zu interpretieren.

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Die Frage nach antiliberalen Europa-Konzepten verweist dabei auf die Möglichkeit und Bedeutung der gedanklichen Verbindungen zwischen dem „Volkstum“, der deutsch-französischen Versöhnung und einem ethnisch organisierten rechts-konservativen Föderalismus in der Diskussion um die Heimatrechte seit den 1920er-Jahren. Sie fokussiert Wahlverwandtschaften und Kontinuitäten von liberalen und antiliberalen Konzepten und betont die Notwendigkeit, diese in gemeinsamen Entwicklungsgeschichten zu untersuchen.

4. „Straßburg in Europa“ – Neue Formen des Regionalismus und neue Europa-Konzepte (1950er- bis 1970er-Jahre)
 

Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die in Misskredit geratene Botschaft des Regionalismus im Elsass nicht mehr auf der Tagesordnung. Ihre Führer waren verurteilt worden, und auch in den transnationalen regionalistischen Verbänden nach 1945 waren die Elsässer im Gegensatz zu den Bretonen und den Südfranzosen nicht federführend. Weder scheinen Vertreter des Elsass an der im April 1949 in Paris stattfindenden Versammlung von regionalpolitischen Vertretern Westeuropas unter der Schirmherrschaft der „Union Fédéraliste Française“ teilgenommen zu haben,79 noch waren sie bei der wenige Monate später erfolgenden Gründung der „Union Fédéraliste des Minorités et Régions Européennes“ prominent, die „die Schaffung eines föderalen Europas“ anstrebte.80

 

Links: Nationalsozialistisches Propagandaplakat mit dem Motto der Germanisierungspolitik, Straßburg 1940 (Bundesarchiv, Plak 003-052-020, Grafiker: A. Späty)
Rechts: Nach der Befreiung und seiner Rückkehr aus dem Exil entwarf „Hansi“ (Künstlername von Jean-Jacques Waltz, 1873–1951) ein Gegenplakat in elsässischem Dialekt. Sein eigenes Buch „Mon Village“ (zuerst 1913) war auf dem Plakat von 1940 als eines der missliebigen, hinausgekehrten Werke erkennbar. (ullstein bild – Photo 12)

Wie in ganz Frankreich wurde auch im Elsass die Nachkriegsgesellschaft von den Problemen der „Épuration“ („Säuberung“) dominiert, nur dass sie hier von der Bevölkerung mit einer zusätzlichen ideologischen Funktion wahrgenommen wurde. Nicht zuletzt weil die für die Säuberungen Verantwortlichen das Erwachen einer neuen Autonomiebewegung befürchteten, widmeten sie sich intensiv dem früheren autonomistischen Milieu.81 „Europa“ galt als deutsche Ideologie und war wie in den 1920er-Jahren als Maskierung deutscher Hegemonialansprüche suspekt. Als 1958 junge Rekruten aus dem nordwestlichen Elsass die Absicht hatten, nicht mit der französischen, sondern mit der europäischen Fahne in der Kreisstadt zu erscheinen, ordnete der Unterpräfekt eine Untersuchung bezüglich möglicher frankreichfeindlicher Hintergründe an.82 Ebenso lassen sich die Proteste akademischer Kreise unter dem Slogan „niemals eine europäische und niemals eine zweisprachige Universität“ verstehen, die 1949 zu Störungen auf dem Internationalen Studentenkongress führten.83 Auch die eigens von den Renseignements généraux (polizeilicher Nachrichtendienst) zu Beginn der 1950er-Jahre vorgenommenen Untersuchungen zu den Stimmungen in der elsässischen Bevölkerung bestätigten diese Skepsis angesichts des deutschen „européanisme exubérant“.84

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Aber Europa kam nach Straßburg. 1949 hatte sich in der Aula der Straßburger Universität der Europarat konstituiert – hunderte europäische Parlamentarier waren dazu angereist. Weitere Versammlungen Anfang der 1950er-Jahre in Straßburg folgten, die als „europäische Laboratorien“ verschiedene Konzepte von Europa diskutierten.85 Das Elsass hatte an dieser experimentellen Phase demokratischer Europa-Konzepte 1949 bis 1957 kaum einen Anteil. Im Bereich der liberalen Europa-Traditionen gab es durchaus Anknüpfungsversuche und Kontinuitäten, die in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreichten. In seinen „Cahiers verts“ forderte Camille Dahlet gegen antieuropäische Stimmen und Stimmungen im Elsass, sich nun endlich der „natürlichen Idee“ Europa zuzuwenden.86 Aber der Sozialist Dahlet war auch nach 1945 eine Ausnahme: Er kandidierte bei den Krisen-Wahlen von 1956 für die Liste „Rassemblement alsacien pour l’union européenne“ und wurde nicht gewählt.87

Seit dem Oradour-Prozess von Bordeaux 1953 war die „elsässische Eigenart“ – wenn auch mit einer gewissen Zurückhaltung – wieder auf die Agenda der Debatten gelangt. Die Tatsache, dass Elsässer und Deutsche gemeinsam vor einem französischen Gericht standen und sich verantworten mussten, weil sie im Juni 1944 als Mitglieder der SS-Panzerdivision „Das Reich“ das Massaker von Oradour-sur-Glane begangen hatten, führte zu vehementen Protesten. Die Verweise auf die Zwangssituation der Elsässer und die Umstände der Annexion resultierten weder in einem veränderten Kriegsverbrechergesetz noch in separaten Verhandlungen oder unterschiedlichen Strafmaßen.88 Der Ausgang des Prozesses – mit einer Todesstrafe und dreizehn Freiheitsstrafen – wurde von den Elsässern als Verrat Frankreichs und pauschaler Kollaborationsvorwurf empfunden.

Die Proteste im Elsass und in Paris unter Führung von Pierre Pflimlin führten schließlich noch 1953 zu einem Amnestiegesetz, aber der Prozess blockierte die Normalisierung der Situation im Elsass und beförderte ein vorübergehendes regionalistisches Engagement mit der Gründung des „Mouvement populaire alsacien“ und im Umkreis der neuen Zeitschrift „La Voix d’Alsace“. Signifikanterweise scheiterte das Zeitschriften-Projekt an Differenzen zwischen prodeutschen und elsässischen Standpunkten. Wie schon so oft in der Vergangenheit wurde gegen die nationalistisch-regionalistische Vermittlung das Konzept „Europa“ gesetzt. Protagonist der liberalen Positionen war wieder Dahlet. Er gründete 1958 eine neue Zeitschrift: „La Voix d’Alsace-Lorraine. Die Europäische Stimme“, die als zweisprachiges Journal mit liberalem Hintergrund regionalistischen Forderungen im Namen eines föderalen Frankreichs bzw. Europas Nachhall verschaffen sollte. In den 1970er-Jahren wurde sie zum Sprachrohr der regionalistischen Bewegung, des „Mouvement régionaliste de l’Alsace-Lorraine“ (MRAL).89

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Die verstärkte Mobilisierung um die regionale Identität im Elsass in den 1970er-Jahren war Bestandteil europäischer Entwicklungen.90 Sie erfolgte nach 1968 im Kontext der Dekolonisierung und der Anti-Atom-Bewegung in einem gänzlich anderen Koordinatensystem als dem der 1920er-Jahre, auch wenn sie die föderalistische Diktion der Zwischenkriegsjahre aufnahm und obwohl in der konservativen Kritik am französischen Nationalstaat die alten Fronten wieder aufzubrechen schienen.91 Es bildete sich eine Art „elsässische Gegenkultur“ heraus. Eine Vielzahl von Theatergruppen und Vereinen wurde gegründet – 1968 etwa der „Cercle René Schickele“.92 Der sich nun auch auf dem linken politischen Spektrum abspielende Regionalismus wurde in den 1970er-Jahren im Elsass zu einer sozialen Bewegung.93 Mit der Gründung des „Parti Fédéraliste Européen d’Alsace-Lorraine“ auf Initiative von Guy Héraud erfolgte 1971 auch der direkte Anschluss an die Volksgruppendiskussion der Zwischenkriegsjahre und an ethno-föderalistische Bewegungen. Dennoch brachte nicht die „regionalistische Revolution“ der 1970er-Jahre die zentralistischen Strukturen des französischen Staats ins Wanken. Dies geschah erst mit den Dezentralisierungsprojekten unter der Regierung Mitterrand.

5. Fazit
 

Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1970er-Jahre produzierten und transportierten die regionalistischen Diskussionen im Elsass Europa-Ideen unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung. Während vor dem Ersten Weltkrieg die Konstruktion einer eigenen elsässischen Kultur innerhalb eines nationalen Koordinatensystems mit einem gegen Deutschland gerichteten Bezug oder als Utopia im Sinne eines geistigen Europas ausbuchstabiert wurde, brachte die Autonomiebewegung mit dem Angriff auf den französischen Zentralstaat eine grundsätzliche Politisierung der Vermittlungsdiskussion, die im Rückgriff auf ethnische Konzepte gegen den Begriff der politischen Nation opponierte. Die Minderheitendiskussionen der Zwischenkriegszeit fungierten dabei als Ausgangspunkt und Katalysator für föderalistische Europa-Konzepte, deren antiliberale Stoßrichtung in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre zunehmend deutlich wurde. In der Auseinandersetzung mit Locarno wurde der Minderheiten-status mit Raumordnungskonzepten verbunden, die völkisch-antiliberale Ordnungssemantiken generierten. Auf der Grundlage des Volkstumsgedankens entwickelte sich hier aus den autonomistischen Konzepten verschiedener Couleur die Doktrin des „internationalen Föderalismus“, die in den 1950er- und insbesondere in den 1970er-Jahren in liberalen und antiliberalen Kontexten mit neuen Konnotationen verhandelt wurde.

Aber auch diese Konzepte gingen zunächst von der gleichsam natürlichen „europäischen Mission“ der Grenzregion aufgrund ihrer „Doppelkultur“ aus. Die Tatsache, dass liberal-demokratische Vorschläge bis in die 1970er-Jahre zumeist von Modellen dominiert wurden, in denen diffuse politische Loyalitäten durch die Etablierung von starren Differenzkriterien vereindeutigt wurden, sollte nicht auf die Anfänge der Europa-Diskussionen zurückprojiziert werden. In der längerfristigen Perspektive hat sich gezeigt, dass die Bedeutung der Zwischenkriegszeit gerade im Ausloten dieser Ambivalenzen am Beginn der gemeinsamen Entwicklung von politischen Europa-Semantiken liegt. Die Spielarten antiliberaler Europa-Ideen waren vielfältig, so dass die Unterscheidung zwischen antiliberalen und liberalen Europa-Konzepten erst mit den Entwicklungen zum Nationalsozialismus greifbarer und eindeutiger wird: Noch in den frühen 1920er-Jahren war „Europa“ im Elsass eine schillernde, in viele Richtungen weisende Unternehmung. Strukturell waren in der Idee von der „europäischen Mission“ und dem Einklagen der Minderheitenrechte beide Richtungen angelegt und möglich.

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Setzt man den Akzent auf die Prozesshaftigkeit der regionalen Selbstverständigung – und nicht auf das unterstellte Ergebnis einer elsässischen Identität –,94 wird die Abhängigkeit der Konzepte von den regionalistischen Diskussionen deutlich. Anders als in den nationalen Zentren, von denen die europäischen Integrationsbemühungen ihren Ausgang nahmen, funktionierte „Europa“ im Elsass, das im 19. und 20. Jahrhundert viermal die politische Zugehörigkeit gewechselt hat, als changierendes Argument zur eigenen Selbstverortung. Diese zwischen Nation, Region und Europa verhandelten Erfahrungs- und Identifikationsräume mögen „marginal“ erscheinen;95 gleichwohl gehören sie ins Zentrum einer zeithistorischen Forschung, die sich für widersprüchliche Dynamiken im Prozess von Nationalisierung und Europäisierung interessiert.

Anmerkungen: 

1 Alon Confino, The Nation as a Local Metaphor. Württemberg, Imperial Germany and National Memory 1871–1918, Chapel Hill 1997, S. 4. Ich danke den Herausgebern und der Herausgeberin des vorliegenden Themenhefts für ihre kritischen Anmerkungen und die Diskussion.

2 Caroline Ford, Creating the Nation in Provincial France. Religion and Political Identity in Brittany, Princeton 1993. Vgl. als Pionierarbeit für Frankreich zuvor Eugen Weber, Peasants into Frenchmen. The Modernization of Rural France, 1870–1914, Stanford 1976. Für Deutschland vgl. Abigail Green, Fatherlands. State Building and Nationhood in Nineteenth Century Germany, Cambridge 2001.

3 Vgl. v.a. European Review of History/Revue européenne d’histoire 15 (2008) H. 3: Municipalism, Regionalism, Nationalism: Hybrid Identity Formations and the Making of Modern Europe. Der Komplexität dieser Vermittlungsprozesse wäre allerdings mit einer Grundentscheidung zu Gunsten relationaler Begriffe Rechnung zu tragen; vgl. Claus Leggewie, Zugehörigkeit und Mitgliedschaft. Die politische Kultur der Weltgemeinschaft, in: Friedrich Jaeger u.a. (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 1: Grundlagen und Schlüsselbegriffe, Stuttgart 2004, S. 316-333.

4 Zur Problematisierung der Analyseebenen vgl. Jacques Revel (Hg.), Jeux d’échelles. La micro-analyse à l’expérience, Paris 1996.

5 Friedrich Wilhelm Foerster, Staatsbürgerliche Erziehung. Prinzipienfragen politischer Ethik und politischer Pädagogik, Leipzig 1914, S. 91. Vgl. z.B. Stefan Fisch, Nation, Heimat und petite patrie im Elsaß unter deutscher Herrschaft (1870/71–1918), in: Marco Bellabarba/Reinhard Stauber (Hg.), Identità territoriali e cultura politica nella prima età moderna/Territoriale Identität und politische Kultur in der Frühen Neuzeit, Bologna 1998, S. 359-373.

6 Undine Ruge, Die Erfindung des „Europa der Regionen“. Kritische Ideengeschichte eines konservativen Konzepts, Frankfurt a.M. 2003.

7 Zu den ethnisch-organizistischen Grundlagen des integralföderalistischen Denkens vgl. ebd., S. 62ff.

8 Mark Mazower, Minorities and the League of Nations in Interwar Europe, in: Daedalus 126 (1997) H. 2, S. 47-63.

9 Karl-Heinz Rothenberger, Die elsaß-lothringische Heimat- und Autonomiebewegung zwischen den beiden Weltkriegen, Frankfurt a.M. 1975, S. 103. Rothenbergers Buch, das zu diesem Thema nach wie vor die breiteste Materialbasis liefert, entstand in Zusammenarbeit mit Paul Schall, Robert Ernst, Marcel Stürmel u.a.; es enthält in der Tat einige problematische Beurteilungen und Fragestellungen. Einige Forscher benutzen es nicht (etwa Philip C. Bankwitz, Alsatian Autonomist Leaders, 1919–1947, Lawrence 1978). Gerade weil die Entwicklung auf den Nationalsozialismus zulief, sollten künftige, in einer längeren Dauer angelegte Studien nach Kontinuität und Wandel von Netzwerken und Ideen sowie deren nationalen und europäischen Kontexten fragen. Letzteres fehlt auch in der Arbeit von Christopher J. Fischer, Alsace to the Alsatians? Visions and Divisions of Alsatian Regionalism, 1870–1939, New York 2010.

10 Vgl. Vanessa Conze, Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920–1970), Oldenburg 2005.

11 Vgl. für eine Synthese: Lutz Raphael, Imperiale Gewalt und mobilisierte Nation. Europa 1914–1945, München 2011, S. 104ff.

12 Nach Alfred Wahl/Jean-Claude Richez, La vie quotidienne en Alsace entre France et Allemagne 1850–1950, Paris 1994, S. 236.

13 Maurice Barrès, La conscience alsacienne, Straßburg 1904, S. 4.

14 Für einen Überblick vgl. Fernand L’Huillier, L’Alsace dans le Reichsland (1871–1918), in: Philippe Dollinger (Hg.), Histoire de l’Alsace de 1900 à nos jours, Toulouse 1970, S. 433-468.

15 Stefan Fisch, Das Elsaß im deutschen Kaiserreich (1870/71–1918), in: Michael Erbe (Hg.), Das Elsaß. Historische Landschaft im Wandel der Zeiten, Stuttgart 2002, S. 123-146.

16 Werner Wittich, Deutsche und französische Kultur im Elsaß, Straßburg 1900, S. 85. Ursprünglich eine Artikelserie in: Illustrirte elsässische Rundschau/Revue alsacienne illustrée 2 (1900), S. 71-92, S. 113-140, S. 177-216.

17 Tanja Baensch, „Un petit Berlin“? Die Neugründung der Straßburger Gemäldesammlung durch Wilhelm von Bode im zeitgenössischen Kontext. Ein Beitrag zur Museumspolitik im deutschen Kaiserreich, Göttingen 2007, S. 426.

18 Werner Wittich, Kultur und Nationalbewußtsein im Elsaß , Straßburg 1909. Zu Bucher vgl. die belletristische Biographie von Gisèle Loth, Un rêve de France. Pierre Bucher, une passion française au cœur de l’Alsace allemande, 1869–1921, Straßburg 2000.

19 James Wilkinson, The Use of Popular Culture by Rival Elites. The Case of Alsace, 1890–1914, in: History of European Ideas 11 (1989), S. 605-618.

20 Baensch, „Un petit Berlin“? (Anm. 17), S. 406ff.

21 Jean-Claude Richez, L’Alsace revue et inventée, la Revue alsacienne illustrée 1898–1914, in: Saisons d’Alsace 119 (1993), S. 83-93.

22 „Etwas Besseres als im ersten Band unserer Zeitschrift die begeisterten Passagen zu zitieren, die Sebastian Münster in seiner Cosmographie unserem Elsass widmet, konnten wir gar nicht tun.“ (Meine Übersetzung aus dem Französischen, A.K.)

23 Vgl. Confino, Nation (Anm. 1). Confino arbeitet die Heimat-Idee als Repräsentation („Metapher“) der Nation heraus und geht damit einen Schritt weiter als Celia Applegate, die auf der Vermittlungsfunktion bestanden hat: Celia Applegate, A Nation of Provincials. The German Idea of Heimat, Berkeley 1990.

24 Pierre Bucher, A nos lecteurs, in: Cahiers alsaciens 1 (1912), S. 1ff., hier S. 3.

25 So Simone Orzechowski, La question d’Alsace-Lorraine vue par la Revue Alsacienne Illustrée (1898–1914). L’art, paravent de la lutte contre la germanisation, in: Michel Grunewald (Hg.), Le problème de l’Alsace-Lorraine vu par les périodiques (1871–1914), Bern 1998, S. 413-431.

26 Adrien Finck, René Schickele und das „geistige Elsässertum“, in: ders./Maryse Staiber (Hg.), Elsässer, Europäer, Pazifist. Studien zur René Schickele, Kehl 1984, S. 15-35. Zum „Stürmer“ vgl. Ernst Stadler, Dichtungen, Schriften, Briefe, hg. von Klaus Hurlebusch und Karl Ludwig Schneider, München 1983, S. 279f.

27 Adrien Finck, Europa im Leben und Werk René Schickeles, in: ders./Alexander Ritter/Maryse Staiber (Hg.), René Schickele aus neuer Sicht. Beiträge zur deutsch-französischen Kultur, New York 1991, S. 7-24; Christiane Kohser-Spohn, „Hier Allemand, aujourd’hui citoyen français, je m’en contrefous“. René Schickelé (1883–1940), alsacien, européen, pacifiste, in: Themenportal Europäische Geschichte (2009), online unter URL: http://www.europa.clio-online.de/2009/Article=366

28 René Schickele, Die rotweiße Zukunft, in: Der Stürmer, 15.9.1902 (Hervorhebungen im Original).

29 Ebd.

30 Ders., Jungelsässisches Programm , in: Das neue Magazin für Literatur, Kunst und soziales Leben 73 (1904), S. 687-691, hier S. 690.

31 Finck, Europa (Anm. 27), S. 15.

32 René Schickele, Der Wolf in der Hürde [1931], in: ders., Werke in drei Bänden, Bd. 1, Köln 1959, S. 641-1011, hier S. 1010.

33 Vgl. dazu auch die Diskussion um die neue Verfassung: Jean-Marie Mayeur, Autonomie et politique en Alsace. La constitution de 1911, Paris 1970.

34 Daniela Neri-Ultsch, Sozialisten und Radicaux – eine schwierige Allianz. Linksbündnisse in der Dritten französischen Republik 1919–1938, München 2005, S. 109ff.

35 Vgl. generell zum konfessionellen Autonomismus: Thies Schulze, Bischof in einem fremden Land. Der Straßburger Bischof Charles Ruch zwischen Katholizismus und Nationalismus, 1919–1931, in: Francia 37 (2010), S. 167-194.

36 Vgl. Ulrike von Hirschhausen, From Minority Protection to Border Revisionism. The European Nationality Congress 1925–1945, in: Martin Conway/Kiran Patel (Hg.), Europeanization in the Twentieth Century, Basingstoke 2010, S. 87-109.

37 Robert Ernst, Rechenschaftsbericht eines Elsässers, Berlin 1954 (Schriften gegen Diffamierung und Vorurteile Bd. 5).

38 Im Frühling 1926 hatte die Zeitschrift 28.000 Abonnenten; siehe François G. Dreyfus, La vie politique en Alsace, 1919–1936, Paris 1969, S. 94.

39 Eric Kurlander, The Price of Exclusion. Ethnicity, National Identity, and the Decline of German Liberalism, 1898–1933, Oxford 2006.

40 P.S. [d.i. Paul Schall], Assimilierung, in: Die Zukunft, 16.5.1925.

41 Locarno und Elsaß-Lothringen, in: Die Zukunft, 24.10.1925.

42 S. [d.i. Paul Schall], Unsere Autonomie und der europäische Gedanke, in: Die Zukunft, 24.7.1926.

43 Ro [d.i. Karl Roos], Staatssouveränität, Menschenwürde und Minderheitenrecht, in: Die Zukunft, 17.4.1926.

44 Nationalstaat oder Nationalitätenstaat, in: Die Zukunft, 6.3.1926 (Hervorhebungen im Original).

45 Samuel Salzborn, Ethnisierung der Politik. Theorie und Geschichte des Volksgruppenrechts in Europa, Frankfurt a.M. 2005, S. 150ff.

46 Mit Bezug auf Ruge, „Europa der Regionen“ (Anm. 6).

47 Sabine Bamberger-Stemmann, Der Europäische Nationalitätenkongreß 1925 bis 1938. Nationale Minderheiten zwischen Lobbyistentum und Großmachtinteressen, Marburg 2000, S. 389.

48 Salzborn, Ethnisierung der Politik (Anm. 45), S. 69.

49 Vgl. André Tardieu, La paix. Préface de Georges Clemenceau, Paris 1921, S. 264ff.

50 Martin Scheuermann, Minderheitenschutz contra Konfliktverhütung? Die Minderheitenpolitik des Völkerbundes in den zwanziger Jahren, Marburg 2000, S. 22ff.

51 Dreyfus, La vie politique en Alsace (Anm. 38), S. 32f.

52 P.S. [d.i. Paul Schall], Das Recht der Minderheiten, in: Die Zukunft, 11.7.1925.

53 Die deutsch-französische Verständigung und wir, in: Die Zukunft, 18.9.1926.

54 Hat die Locarnopolitik eine Zukunft?, in: Die Zukunft, 25.6.1927.

55 Ro, Staatssouveränität (Anm. 43).

56 Für das Presse-Echo vgl. die Zeitungsausschnittssammlungen im Archiv des Wissenschaftlichen Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich (Universitätsbibliothek Frankfurt a.M.), z.B.: Elsaß-Lothringen auf dem Wege nach Genf?, in: Hamburger Nachrichten, 14.4.1926.

57 Manifest des Elsaß-Lothringischen Heimatbundes, 7.6.1926, abgedruckt in: Rothenberger, Heimat- und Autonomiebewegung (Anm. 9), S. 253-256.

58 Vgl. die Spaltung der großen Elsässischen Volkspartei in der Auseinandersetzung um die Zeichnung des Manifests: Christian Baechler, Le parti catholique alsacien, 1890–1939. Du Reichsland à la République jacobine, Paris 1982, S. 367.

59 Kurlander, The Price of Exclusion (Anm. 39), S. 316ff.

60 Georges Wolf, Das elsässische Problem. Grundzüge einer elsässischen Politik im Zeitalter des Pakts von Locarno, Straßburg 1926, S. 112.

61 Vgl. Ruge, „Europa der Regionen“ (Anm. 6), S. 62ff.

62 Salzborn, Ethnisierung der Politik (Anm. 45).

63 Vgl. Baechler, Le parti catholique alsacien (Anm. 58), S. 389f.; Rothenberger, Heimat- und Autonomiebewegung (Anm. 9), S. 134f.

64 Robert Minder, Elsaß und Europa, in: Europäische Revue 2 (1926) H. 9, S. 194ff., hier S. 196. Zu Minders Wahrnehmung der Autonomiebewegung vgl. Anne Kwaschik, Auf der Suche nach der deutschen Mentalität. Der Kulturhistoriker und Essayist Robert Minder, Göttingen 2008, S. 64ff.

65 Emil Pink, Deutsche Zeitschriftenschau, in: Die Brücke, 1.1.1927.

66 Vgl. zu den ethnisch-organizistischen Grundlagen des integralföderalistischen Denkens: Ruge, „Europa der Regionen“ (Anm. 6), S. 62ff.

67 Rothenberger, Heimat- und Autonomiebewegung (Anm. 9), S. 133f.

68 Bankwitz, Alsatian Autonomist Leaders (Anm. 9), S. 121.

69 François Pomponi, Le régionalisme en Corse dans l’entre-deux-guerre, 1919–1939, in: Christian Gras/Georges Livet (Hg.), Régions et régionalisme en France du XVIIIe siècle à nos jours, Paris 1977, S. 393-415.

70 Vgl. Alain Déniel, Le Mouvement breton (1919–1945), Paris 1976, S. 75; Dirk Gerdes, Regionalismus als soziale Bewegung. Westeuropa, Frankreich, Korsika. Vom Vergleich zur Kontextanalyse, Frankfurt a.M. 1985, S. 114ff.

71 Olier Mordrel, Breiz atao ou histoire et actualité du nationalisme breton, Paris 1973, S. 135f.

72 Pomponi, Le régionalisme en Corse (Anm. 69), S. 409.

73 Zum Ablauf, den einzelnen Strafen u.ä. vgl. die Rekonstruktion bei Rothenberger, Heimat- und Autonomiebewegung (Anm. 9), S. 157ff.

74 Michel Denis, Mouvement breton et fascisme. Signification de l’échec du second emsav, in: Gras/Livet, Régions et régionalisme (Anm. 69), S. 489-506.

75 Déclaration de Châteaulin, adopté le 18 août 1929 [sic, fälschlich statt 1928], par le congrès du Parti autonomiste bréton, in: Déniel, Le Mouvement bréton (Anm. 70), S. 343-348, hier S. 348. „Wir glauben, dass Europa dazu bestimmt ist, früher oder später eine ökonomische Einheit zu bilden. […] Aber wir vermuten, dass diese Einheit nicht als ein Bündnis der gegenwärtigen Staaten gebildet wird. [...] Es ist also weder tollkühn noch frevlerisch anzunehmen, dass die Neuordnung der Welt von Sezession und Umstrukturierungen begleitet sein wird und sich nicht zwischen den großen Staaten abspielen wird, deren historische Rolle beendet sein wird, sondern zwischen den Nationalitäten, aus denen sie bestehen und die sich entsprechend ihrer ethnischen, sprachlichen und kulturellen Verwandtschaft zusammenfinden.“

76 Salzborn, Ethnisierung der Politik (Anm. 45), S. 116.

77 Bankwitz, Alsatian Autonomist Leaders (Anm. 9), S. 67ff.; Lothar Kettenacker, Nationalsozialistische Volkstumspolitik im Elsaß, Stuttgart 1973, S. 115ff.

78 Eine Standardquelle dafür sind die Berichte der elsässischen Akteure selbst; vgl. Ernst, Rechenschaftsbericht (Anm. 37), S. 20f. Aber auch hier wären Quellenrecherchen nötig. Ernst schrieb seine Erinnerungen schließlich nach 10 Jahren Inhaftierung und in Erwartung seines Prozesses als „Kriegsverbrecher“.

79 Gerdes, Regionalismus (Anm. 70), S. 83ff.

80 Povl Skadegård, Föderalistische Union europäischer Volksgruppen (F.U.E.V.). Geschichte, Struktur, Ergebnisse, in: Franz Hieronymus Riedl (Hg.), Humanitas ethnica. Menschenwürde, Recht und Gemeinschaft. Festschrift für Theodor Veiter, Wien 1967, S. 81-87, hier S. 83. Vgl. auch Salzborn, Ethnisierung der Politik (Anm. 45), S. 193ff.

81 Christiane Kohser-Spohn, L’Épuration de 1945 en Alsace, un vecteur de la réconciliation entre la France et l’Allemagne?, in: Bernard Ludwig/Andreas Linsenmann (Hg.), Frontières et réconciliation. L’Allemagne et ses voisins depuis 1945, Brüssel 2011, S. 179-197.

82 Ebd., S. 191.

83 Camille Dahlet, Les Cahiers verts/Die Grünen Hefte, Nr. 2: Straßburg in Europa, Juni 1950, S. 19ff. (= Cahiers alsaciens/Elsässische Hefte), Archiv des Wissenschaftlichen Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich, Universitätsbibliothek Frankfurt a.M. Die Hefte erschienen unregelmäßig von 1945 bis 1952 und nahmen zu zeitpolitischen Themen Stellung.

84 Corine Defrance, La dimension régionale dans le rapprochement franco-allemand: l’Alsace face à l’Allemagne de l’immédiat après-guerre au début des années 1970, in: Yves Denéchère/Marie-Bénédicte Vincent (Hg.), Vivre et construire l’Europe à l’échelle territoriale de 1945 à nos jours, Brüssel 2010, S. 145-157, hier S. 150.

85 Wolf D. Gruner, Europa in den Debatten der Versammlungen des Europarates. Anmerkungen zu einem interessanten Forschungsfeld, in: Heiner Timmermann (Hg.), Impulse für Europa. Politische Bildung und Wissenschaft an der Saar, Berlin 1996, S. 69-95, hier S. 72.

86 Siehe Anm. 83.

87 Art. „Camille Dahlet“, in: Gaston Monnerville u.a. (Hg.) Dictionnaire des parlementaires français. Notice biographiques sur les ministres, députés et sénateurs français de 1889 à 1940, Bd. 4, Paris 1966, S. 1204f.

88 Claudia Moisel, Frankreich und die deutschen Kriegsverbrecher. Politik und Praxis der Strafverfolgung nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2004, S. 148ff.; Jean-Laurent Vonau, Le procès de Bordeaux. Les Malgré-Nous et le drame d’Oradour, Straßburg 2003.

89 Vgl. die präzise Dokumentation in der unveröffentlichten Magisterarbeit von Gundula Schmidt, Regionalismus im Elsaß, Tübingen 1989.

90 Ruge, „Europa der Regionen“ (Anm. 6), S. 173ff.

91 Bankwitz, Alsatian Autonomist Leaders (Anm. 9), S. 124ff.

92 Christiane Kohser-Spohn, Der Traum vom gemeinsamen Europa. Autonomiebewegungen und Regionalismus im Elsaß, 1870–1970, in: Philipp Ther/Holm Sundhaussen (Hg.), Regionale Bewegungen und Regionalismen in europäischen Zwischenräumen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Marburg 2003, S. 89-111, hier S. 108-111.

93 Claus Leggewie, Propheten ohne Macht. Die neuen sozialen Bewegungen in Frankreich zwischen Resignation und Fremdbestimmung, in: Karl-Werner Brand (Hg.), Neue soziale Bewegungen in Westeuropa und den USA. Ein internationaler Vergleich, Frankfurt a.M. 1985, S. 83-139.

94 Samuel Goodfellow, From Germany to France? Interwar Alsation National Identity, in: French History 7 (1997), S. 450-471.

95 Vgl. dazu Rob Shields, Places on the Margin. Alternative Geographies of Modernity, London 1992.

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