„Nicht gelehrter sollen die Besucher eine Ausstellung verlassen, sondern gewitzter“

Historiker zwischen Theorie und Praxis

Anmerkungen

Historische Ausstellungen und Museen gelten als typische Arbeitsfelder für Historiker.1 In der Tat ist eine geschichtswissenschaftliche Grundausbildung eine gute Voraussetzung, doch reicht sie aus, um eine gute historische Ausstellung zu entwickeln? Was macht überhaupt eine gute Ausstellung aus? Hier kommt neben der wissenschaftlichen Arbeit die praktische Umsetzung ins Spiel - ein Aspekt, der bei der Beurteilung von Ausstellungen oft vergessen wird. Dabei geht es nicht um die Entscheidung zwischen Oberflächlichkeit und Tiefgang, zwischen Inszenierung und Originalobjekten oder zwischen Eventkultur und Bildungsangebot. Vielmehr geht es darum, sich der sprachlichen Unschärfen sowie der Vermischung von Begriffen wie Geschichte, Museum, Ausstellung, Erinnerung, Gedächtnis auf der einen und Event, Erlebnis, Management, Unterhaltung auf der anderen Seite bewusst zu werden. Erst dann nämlich steht die Qualität einer Ausstellung zur Debatte, nicht die Güte der wissenschaftlichen Leistung. Anders ausgedrückt: Eine Ausstellung zu realisieren erfordert mehr als die wissenschaftliche Basis der Fachdisziplin, in unserem Fall der Geschichtswissenschaft. Hier geht es darum, (aktuelle) Bezugspunkte für die Besucher zu schaffen, ein Konzept zu entwickeln, das Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes (be)greifbar macht. Es ist der dreidimensionale Raum, in dem sich das Konzept bewähren muss, in dem Geschichte gestaltet werden will.2 Dazu gehören auch und vor allem die Objekte - die im Geschichtsstudium nicht oder nur am Rande behandelt werden. Hinzu kommt die praktische Durchführung des Vorhabens, die Planung und Organisation von Arbeitsabläufen, die Vermittlung sowie die Finanzierung. Und spätestens hier sieht sich der Historiker vor Aufgaben gestellt, auf die ihn sein Studium in den seltensten Fällen vorbereitet hat.

Aber nicht nur das klassische Berufsbild des Kustoden als eines wissenschaftlichen Beamten einer musealen Sammlung hat sich grundlegend geändert, sondern auch die Institution des Museums selbst hat einen starken Wandel durchlaufen. Längst sind die Museen Teil einer Kulturindustrie geworden, längst müssen sie sich der Konkurrenz anderer Freizeiteinrichtungen stellen und wirtschaftlich handeln, um bestehen zu können. Wer das bestreitet, denkt unrealistisch; wer das bedauert, erkennt nicht die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Dazu gehören vielfältige, neue Berufschancen - auch für Historiker.3 Freilich gilt es, die geschichtswissenschaftliche Kernkompetenz mit anderen Disziplinen zu verbinden, wie dem Kulturmanagement, der Museums-pädagogik, der Öffentlichkeitsarbeit oder der Museologie.

Das Ziel dieses Diskussionsbeitrags ist es, die Vielfalt der Anforderungen und ihren engen Zusammenhang aufzuzeigen, um den Blick zu schärfen bei der Frage, was eine gute historische Ausstellung ausmacht.

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1. Konzeption

Die Ausstellungskonzeption im Kontext (Grafik: Kristiane Janeke)

Am Anfang steht die Konzeption. Was selbstverständlich klingt, gehört noch lange nicht zur Arbeitspraxis in allen Museen. Mit dem Begriff der Konzeption verbinde ich zweierlei: Zunächst geht es um die Erarbeitung einer inhaltlichen Begründung des Themas. Dabei erfolgt die Arbeit zunächst auf der Grundlage vorhandener wissenschaftlicher Literatur, verlangt also nicht primär eine eigene Forschungsleistung. Vielmehr geht es darum, die Ergebnisse der Forschung zu nutzen und sie für die Umsetzung in einer Ausstellung zu bündeln. Zum Teil ergeben sich dabei weiterführende, von der bisherigen Forschung noch nicht gestellte Fragen, d.h. die Ausstellungsarbeit kann Impulsgeber für die Forschung sein. Dies ist jedoch nicht das primäre Ziel bei der Konzeption und Umsetzung einer Ausstellung, die andere Ziele verfolgt als eine wissenschaftliche Studie. In jedem Fall ist ein ebenso sicherer wie freier Umgang mit den Werkzeugen der Geschichtswissenschaft die Voraussetzung dafür, ein Thema zu finden, das Interesse weckt und Anknüpfungspunkte für potenzielle Besucher bietet.
 

Modell der Ausstellung „Der Weltkrieg 1914-1918. Ereignis und Erinnerung“,
Deutsches Historisches Museum 2004
(Foto: Kristiane Janeke)

Zum anderen gehört zur Konzeption ein erster Leitfaden für die Umsetzung des Themas in das Medium Ausstellung. Dies erfordert die Kenntnis und richtige Einschätzung der Institution des Museums. Eine museale Auseinandersetzung mit Geschichte kann nämlich nur dann erfolgreich sein, wenn über den wissenschaftlichen Rahmen hinaus die Chancen und Risiken des Mediums reflektiert und in die Arbeit einbezogen werden. Gemeint ist damit zunächst der Stellenwert der Einrichtung in der Kulturlandschaft der jeweiligen Stadt oder Region sowie der Diskurs, an den eine (zeit)historische Ausstellung anknüpft. Daneben spielen der Raum und die Dreidimensionalität bei den konzeptionellen Überlegungen eine Rolle. Warum soll das Thema in eine Ausstellung umgesetzt werden - und nicht in ein Buch, einen Film, ein Theaterstück etc.? Von hier ist es nur ein Schritt zu den Objekten. Sind sie der Ausgangspunkt für das gesamte Vorhaben oder sollen sie das Thema lediglich „illustrieren“? Ein dritter Aspekt kommt immer wieder - und gerade bei historischen Ausstellungen - zu kurz: die Vermittlung. Dabei geht es um eine breite Palette verschiedener Instrumente der Kommunikation, angefangen von der Öffentlichkeitsarbeit über klassische Führungen und Vorträge sowie museumspädagogische Angebote für einzelne Zielgruppen bis hin zum Merchandising, also der kommerziellen Vermittlung des Projekts.

Wem diese Überlegungen, zumal zu Beginn der Arbeit, unpassend oder gar überflüssig erscheinen, dem sei ein Blick in die Geschichte des Museums und des Ausstellungswesens empfohlen. Wie ein roter Faden zieht sich der Gedanke von Museen als „Orten des Staunens“ durch diese Geschichte. Ging es den stolzen Besitzern der fürstlichen Kunst- und Wunderkammern darum, ihre Gäste zu beeindrucken, so wies Karl Friedrich Schinkel in der Debatte über das Alte Museum in Berlin ausdrücklich darauf hin, dass das Museum zuerst erfreuen, dann belehren solle. Gottfried Wilhelm Leibniz entwickelte 1675 eine geradezu modern anmutende Fantasie, als er Vorschläge zur Vermittlung einer Flugausstellung machte.4 In der Auseinandersetzung über die Funktion von Museen um 1900 waren es gerade die historischen Museen mit ihren dreidimensionalen Objekten, denen ein höherer Freizeit- und Unterhaltungswert zugesprochen wurde als den Kunstmuseen, den Orten der Belehrung und stillen Kontemplation.5 In den 1980er- und 1990er-Jahren schließlich waren es Experimente der Architektur und Gestaltung, die den Freizeitwert historischer Museen und Ausstellungen erhöhen sollten. Diese Tendenz ist wieder rückläufig; derzeit erregen (zeit)historische Ausstellungen primär über ihre Themen Aufmerksamkeit - sie können Meinungsmacher einer gesellschaftlichen Debatte sein. Eine wichtige Funktion von Ausstellungen und Museen bleibt es indes, die Besucher zu erstaunen: „Staunen heißt ja, sich irritieren lassen. Und so könnte das Museum der Zukunft (der Zukunft!) aussehen: eine Innovationsmaschine, die immer wieder neue Kontexte für alte Dinge arrangiert.“6

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2. Gestaltung

Der nächste Schritt ist die gestalterische Umsetzung der Konzeption. Gestaltung sei hier verstanden als Oberbegriff für den räumlichen Aspekt der Ausstellungs- und Museumstätigkeit. Er umfasst zum einen den Umgang mit dem Objekt, zum anderen aber auch den Bereich der sinnlichen Wahrnehmung - wie den Einsatz von Medien und Licht, die haptische Erfahrung und Anordnung der Exponate im Raum insgesamt. Es ist dieser Bereich, an dem sich die Geister scheiden: Verfechtern eines vergnügungsorientierten „Disneylands“ stehen, zugespitzt formuliert, Befürworter eines „begehbaren Lesebuches“ gegenüber. Im Zentrum steht dabei das Original: Handelt es sich um ein historisches Zeugnis? Wenn ja, wofür? Spricht es für sich, oder muss es in einen Kontext gebettet und durch Texte erläutert werden? Darf es durch eine Kopie, eine Replik, ein Faksimile, einen Nachbau oder gar eine computeranimierte Simulation ersetzt werden?

Den räumlichen und damit auch sinnlichen Aspekt hat Gottfried Korff im Blick, wenn er die Objekte, das „Ding“ im Museum, „anstößig“ nennt.7 Damit rückt die Dreidimensionalität als Grundlage jeder Ausstellungs- und Museumstätigkeit wieder in den Mittelpunkt. Diese ermöglicht ein anderes Sehen, bringt neue und überraschende Erkenntnismöglichkeiten mit sich, die sich von der Lektüre eines Buches oder dem Anschauen eines Films unterscheiden. Indem sich der Besucher den Objekten räumlich gegenübersieht und sich zwischen ihnen bewegen kann, ist das Museum, viel stärker noch als das Kino, eine „Institution der sinnlich ästhetischen Wahrnehmung“.8 Gerade für Historiker, die Quellen meist nicht als Objekte und potenzielle Exponate betrachten, mag der Schluss aus diesen Überlegungen überraschend sein: Das Museum hat es nicht mit Visualisierung zu tun, es ist eo ipso visuell.9 Folgt man dieser Ansicht, dann verliert auch der umstrittene Begriff der Inszenierung seinen Schrecken - Inszenierung kann dann als konstitutives, in unterschiedlichen Ausprägungen stets vorhandenes Element jeder Ausstellung verstanden werden. „Was Museen als Exponieranstalten (in Form von Ausstellungen und Dauerpräsentation) visuell darbieten, ist [...] mehr als das Zeigen von Vorhandenem. Es sind konstruierte Merkwelten, die mit oder ohne intellektuelle Absicht zu(m) Ansehen gebracht werden; im besten Fall sind es durchkomponierte Bilderwelten.“10

Was bedeutet das für die Realisierung einer (zeit)historischen Ausstellung? Eine goldene Regel für die Gestaltung gibt es nicht; was für die Darstellung des „Wirtschaftswunders“ die richtige Präsentation sein mag, kann für die nationalsozialistischen Verbrechen der ganz falsche Weg sein. Freilich gibt es Erfahrungswerte und aufschlussreiche Ergebnisse der Besucherforschung. Sie können helfen, die anstehenden Aufgaben zu lösen: die Auswahl der Objekte, die Wahl einer Präsentationsform, die Entscheidung für die Struktur, Länge und Sprache der Texte sowie die Planung des Einsatzes von Medien. Dabei sollte sich der Kurator nicht scheuen, sich frühzeitig von einem professionellen Ausstellungsgestalter beraten zu lassen, Gestaltung also von vornherein einzubeziehen und nicht erst nachträglich hinzuzufügen.

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3. Durchführung

Während die Gestaltung historischer Ausstellungen immer wieder Anlass zu kontroversen Debatten ist, sind die praktischen Aufgaben bei ihrer Realisierung höchstens Grund zur Klage. Kaum aber wird darüber unter Historikern fachlich diskutiert. Mehr noch: Fragen der Umsetzung werden als Ärgernis empfunden, Begriffe wie Management, Finanzierung oder Marketing sind mit einem negativen Klang belegt und tauchen im Falle der Realisierung einer „ernsthaften“ historischen Ausstellung kaum auf. Dies ist ebenso unverständlich wie bedauerlich, da dieser Bereich neben dem wissenschaftlichen und konzeptionellen Teil ebenfalls zu den Kernaufgaben des Ausstellungsmachers gehört. Es genügt nicht, dass er weiß, was er inhaltlich vorhat, er muss auch wissen, wie er seinem Vorhaben zum Erfolg verhilft.

Da ist zunächst das Geld. Die Kosten müssen ermittelt und die Finanzierungswege geplant werden. Dabei ist die Recherche von Affinitäten zu potenziellen Sponsoren ebenso wichtig wie die Kenntnis und Einhaltung der öffentlichen Zuwendungsrichtlinien. Beginnt die Arbeit an einem Projekt ohne eine gesicherte Finanzierung - wie es immer häufiger vorkommt -, ist Einfallsreichtum und Überzeugungskraft für die Rekrutierung von Personal erforderlich. In jedem Fall ist eine solide Planung und Organisation sowie ein permanentes Controlling unerlässlich. Daran eng gebunden ist das strategische Marketing für eine mittel- und langfristige Entwicklung der Institution. Wer sind die Konkurrenten? Mit wem lassen sich Projekte gemeinsam realisieren? Welche Zielgruppen werden angesprochen? Wie stellt sich die Einrichtung nach außen dar? Wo liegen die eigenen Stärken und Schwächen, und wie ist mit ihnen umzugehen?

Zur praktischen Umsetzung der konzeptionellen Überlegungen im Bereich der Ausstellungsvermittlung und -kommunikation, zu dem auch die Museums-pädagogik gehört, müssen Führungen konzipiert und die Guides geschult werden. Es ist über den Einsatz von Filmen, Hörstationen oder Computern zu entscheiden. Sofern gewollt, sollten kindgerechte Angebote entwickelt und produziert werden. Schulen und Lehrer müssen angesprochen, Materialien zur Vorbereitung des Unterrichts und zum Besuch der Ausstellung abgesprochen werden. Soll es einen Katalog, einen bebilderten Ausstellungsführer oder ein Faltblatt geben? Ein Internetauftritt ist in den meisten Fällen unverzichtbar. In der Art der Vermittlung liegt eine große Chance des Museums, das mit seinen vielfältigen Möglichkeiten deutlich mehr Menschen erreichen kann als eine wissenschaftliche Abhandlung.

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Unabhängig von Umfang, Ausstattung und Ressourcen setzt die professionelle Organisation einer Ausstellung eine klare Definition von Zielen voraus. Diese greifen die in der Konzeption und Gestaltung formulierten Absichten auf und bringen sie mit den strukturellen und formalen Vorgaben in Einklang. Zur Erreichung dieser Ziele stehen die klassischen Steuerungsinstrumente des (Kultur-)Managements zur Verfügung. Sie basieren weitgehend auf den betriebswirtschaftlichen Modulen des Projektmanagements, sind jedoch bereits in vielen Fällen den speziellen Bedürfnissen kultureller Projekte angepasst.

4. Krieg und Verbrechen im Museum - ein Sonderfall?

Gelten die vorangegangenen Überlegungen auch für die Darstellung von Krieg und Verbrechen? Wie kontrovers diese Frage ist, hat im Februar 2007 eine Tagung im Deutschen Hygiene-Museum Dresden gezeigt.11 Der Anlass war die Ausstellung „Tödliche Medizin“ des United States Holocaust Memorial Museum, die die medizinischen Verbrechen der Nationalsozialisten zum Thema hat. Das wissenschaftliche Konzept wurde offen debattiert, kaum in Frage gestellt und nur in einigen Fällen mit einem vergleichbaren Entwurf durch deutsche Kuratoren kontrastiert. Sehr viel leidenschaftlicher entwickelte sich die Debatte zur Gestaltung; sie offenbarte die grundlegend unterschiedliche Herangehensweise der amerikanischen und deutschen Ausstellungsmacher. Während für die amerikanischen Kollegen, losgelöst von inhaltlichen Fragen, museale Aspekte der Besucherfreundlichkeit und Wegführung durch die Ausstellung, die Lesbarkeit der Texte oder ein vielfältiges Hands-on-Angebot (also Möglichkeiten der interaktiven Betätigung in der Ausstellung) im Vordergrund standen, so vermuteten die deutschen Museumsmitarbeiter hinter diesen Fragen inhaltliche Aussagen und leiteten daraus ein Plädoyer gegen jede Form einer gestalterischen Akzentuierung ab.

Diese gegensätzlichen Positionen lassen sich auf die allgemeinere Frage der Dokumentation von Kriegen in Museen und Ausstellungen übertragen. Der museale Umgang mit Kriegsereignissen und -erfahrungen ist in angelsächsischen Museen, aber auch in Frankreich und Belgien ein ganz anderer als in Deutschland. Wieder anders ist die Ausstellungspraxis in vormals sowjetischen, heute russischen und vielen osteuropäischen Museen. Die Gründe dafür können hier nicht näher erläutert werden - sie liegen im Verlauf der Geschichte, dem historischen Hintergrund als Opfer oder Täter, aber auch in einer unterschiedlichen Ausstellungskultur.

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Wie schwer der Umgang mit diesem Thema gerade in Deutschland fällt, zeigt das Projekt des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden, wo seit Jahren intensiv um die Darstellbarkeit von Krieg im Museum gerungen wird. Vorbilder stellen das Wehrgeschichtliche Museum in Rastatt und das Bayerische Armeemuseum in Ingolstadt dar. Eine Ausnahme bei der Darstellung von Krieg im Museum ist das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst mit seiner einmaligen bi-nationalen Trägerschaft der ehemaligen Kriegsgegner. Die Besonderheit liegt hier weniger in der Gestaltung als in der gemeinsamen Sicht auf den Krieg, seine Ursachen und Folgen.

Für alle Museen, deren Thema der Krieg ist, stellen sich jedoch dieselben Fragen: Wie viel Distanz ist nötig, wie viel möglich? Darf eine Ausstellung „Betroffenheit“ hervorrufen? Wie reagiert sie auf die persönlichen Erfahrungen und Emotionen, die die Besucher mitbringen? Wie verhalten sich Authentizität und Rekonstruktion zueinander? Können sich wissenschaftliche Kompetenz und Emotionalität sinnvoll ergänzen, oder schließen sie sich aus? Wie schwierig die Beantwortung dieser Fragen ist, belegt die Tatsache, dass es übergreifende, vom Einzelbeispiel losgelöste Positionsbestimmungen in der deutschsprachigen Literatur bisher kaum gibt.12 Die folgenden Gesichtspunkte können vielleicht vertiefende Studien anregen.

Krieg und Kriegserfahrung als solche sind grundsätzlich nicht darstellbar. Vermittelbar sind, auch im Museum, immer nur Bilder vom Krieg. Eine weitere, nicht hintergehbare Grundlage für die Museumsarbeit liefert der Ort. Er präformiert in gewisser Weise das Verhältnis von Inhalt und Gestaltung. Während eine Gedenkstätte - verstanden als ein Ort des Gedenkens und der Trauer, der Aufklärung und Bildung, gebunden an historische Ereignisse, die an eben diesem Ort stattgefunden haben - eine zurückhaltende Gestaltung nahelegt, um die Wirkung des Ortes selbst nicht zu beschränken, die historischen Relikte nicht zu überformen und den Besucher nicht zu überwältigen, lässt ein historischer Ort, der nicht zwingend ein Ort des Gedenkens sein muss, mehr Freiheiten. Auf ein neutrales, vielleicht eigens errichtetes Museum an historisch nicht vorgeprägtem Ort wiederum trifft dies in noch größerem Maße zu. Was in einer Gedenkstätte undenkbar ist, etwa nachgestellte Szenen vom Kriegsalltag im Schützengraben oder naturgetreue Nachbildungen handelnder Personen, mag hier erlaubt und in bestimmten Fällen sogar nötig sein.

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Weitere Entscheidungen müssen sich an der Frage orientieren, welcher Krieg dargestellt wird. Hier steht die Zeitgeschichte vor einer größeren Herausforderung als zum Beispiel die Geschichte der Frühen Neuzeit. So kann der Dreißigjährige Krieg anders dargestellt werden als der Zweite Weltkrieg, weil der zeitliche Abstand zum Ereignis größer und die Betroffenheit noch lebender Generationen geringer ist. Die Beteiligung von Zeitzeugen an zeitgeschichtlichen Ausstellungen bietet andererseits eine Vielzahl musealer Möglichkeiten - bis hin zur Einbeziehung der Perspektive des früheren Gegners.

In einem nächsten Schritt entscheidet die Konzeption über die Art der Ausstellung und die Wahl der Mittel. Je nach Definition des Museums als Kriegs- oder Antikriegsmuseum, als militärhistorisches oder Militärmuseum, als Studiensammlung, historisches Museum oder Ort der Erinnerung ergeben sich andere Schwerpunkte. In jedem Fall setzt eine seriöse Ausstellungsarbeit eine Orientierung an der Militärgeschichte voraus. Dazu gehört eine umfassende Einbettung in den historischen Rahmen, der die Politik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte ebenso umfasst wie die Mentalitäts- und Alltagsgeschichte des Krieges, die Berücksichtigung der Zivilbevölkerung sowie die Einbeziehung von Individualschicksalen. Vom nationalen Bezugsrahmen hängt ab, wie die einzelnen Bereiche gewichtet sind, etwa die Darstellung militärischer Operationen, oder wie bestimmte Themen, beispielsweise Helden und Opfer des Krieges, akzentuiert und problematisiert werden. Schließlich entscheidet die Konzeption darüber, ob die Ausstellung einem chronologischen Rundgang folgt oder aber thematisch gegliedert wird.

Zur weiteren Konkretisierung gehört die Auswahl der Objekte. Was in großen Mengen vorhanden ist - Uniformen, Waffen, Orden - sagt zunächst wenig über den Krieg aus. Hier hängt es von der Konzeption wie der Gestaltung ab, diese Objekte zum Sprechen zu bringen. So kann die Präsentation großer Mengen eine Aussage über den Massencharakter des Krieges beinhalten und die Kombination von Waffen mit Fotos, Zeitzeugenberichten oder medizinischem Gerät eine Vorstellung von dem Leiden vermitteln, das sie verursachen. Erstrebenswert ist die Einbeziehung möglichst vieler Objekte und Objektgattungen, macht dies doch das Wesen des Mediums Museum aus. Dabei ist die Gestaltung von entscheidender Bedeutung. Sie setzt die konzeptionelle Idee um, die bestimmt, ob eher Distanz geschaffen oder Bezüge zu gegenwärtigem Kriegsgeschehen oder persönlichen Erfahrungen hergestellt werden. Eine Kombination aus beidem ermöglicht etwa die Einziehung einer neutralen Fakten-Ebene oder die Hervorhebung von Leitobjekten (wie Kinderschuhe aus Auschwitz oder Bodenfunde auf ehemaligen Schlachtfeldern), die, im Gesamtkontext gesehen, auch Emotionalität hervorrufen dürfen.

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Bei all diesen Überlegungen ist der Unterschied von Dauer- und Wechselausstellung von großer Bedeutung. Im Falle einer zeitlich befristeten, an Jahrestagen oder einer aktuellen Debatte orientierten Ausstellung ist eine ungleich stärkere Polarisierung möglich (wie im Falle der Wehrmachtsausstellung), als es für eine Dauerausstellung möglich und sinnvoll ist.

Ohne Zweifel ist in Ausstellungen zu Krieg und Massenverbrechen ein besonders aufmerksamer und kritischer Einsatz der Mittel erforderlich. Doch mehr noch als in anderen Museen sind die Vermittlungsformen in einem Museum, das den Krieg zum Thema hat, auch eine Chance, Bezüge zu aktuellen Kriegsschauplätzen herzustellen sowie militärische Einsätze und den Umgang mit Verwundung und Tod zu thematisieren. Dies setzt freilich eine zielgruppenspezifische Konzeption für Kinder, Jugendliche, Gäste aus dem Ausland, ehemalige Kriegsteilnehmer, andere Zeitzeugen oder Armeeangehörige voraus. Inwieweit das gelingt, hängt entscheidend auch von der Frage ab, wie Krieg als Teil der menschlichen Geschichte und der Einsatz von Militär in der Gegenwart bewertet wird und welche Einstellung eine Gesellschaft zur Armee und ihren Soldaten hat.

5. Was ist eine gute historische Ausstellung?

Es obliegt dem Kurator im besten Sinne des Wortes, sich um ein schlüssiges Konzept zu „kümmern“, also „Sorge dafür zu tragen“, dass das Thema angemessen umgesetzt wird. Dass es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was angemessen ist, heißt nicht, dass die eine Art der Umsetzung gut und wissenschaftlich kompetent ist, die andere Art dagegen schlecht und von Inkompetenz geprägt. Zu streiten ist eher um unterschiedliche Nuancierungen innerhalb des wissenschaftlichen und praktischen Spektrums der Möglichkeiten.

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Die Kernaufgabe des Kulturmanagements ist es, Kultur zu ermöglichen. Kulturmanagement bedeutet nicht, wissenschaftliche Standards preiszugeben, aus einem Museum einen Freizeitpark zu machen oder die Besucherzahlen um jeden Preis zu steigern. Besucherzahlen sind wichtig, aber nur als ein Erfolgsindikator von mehreren. Vielmehr geht es darum, alle Mittel und Wege zu kennen, die für die Umsetzung eines überzeugenden wissenschaftlichen Konzepts in eine Ausstellung zur Verfügung stehen, sie für den Einzelfall zu prüfen und zu nutzen. In Zeiten einer immer geringer werdenden öffentlichen Förderung kultureller Projekte, zu denen auch zeitgeschichtliche Ausstellungen gehören, ist dies oft eine Voraussetzung für die Realisierung.

Sieht man bei der Frage, wann eine Ausstellung gut ist, von Kriterien des persönlichen Geschmacks ab, kommt man nur dann zu einem begründeten Urteil, wenn man alle Arbeitsbereiche einbezieht, die zur Realisierung einer Ausstellung erforderlich sind. Ich möchte dafür den Begriff der „konzeptionellen Gestaltung“ vorschlagen. Er verbindet die inhaltliche Konzeption, die räumliche Umsetzung und ein zielorientiertes Management zu einem integrierten Gesamtvorhaben, in dem die Teilbereiche keine Alternativen sind, sondern im Gegenteil eine sinnvolle Einheit bilden. In diesem Verständnis ist eine Ausstellung dann gut, wenn ihr ein ebenso originelles wie solides wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, wenn sich ihre Idee für das Medium Ausstellung eignet und im Raum bewährt, wenn sie sich schließlich durch ein professionelles Management auszeichnet, das klare Ziele definiert, die Ressourcen angemessen einsetzt und eine zielgruppenspezifische Vermittlung mitbedenkt. Die Herausforderung besteht darin, sich mit allen diesen Aufgaben als Teil eines Ganzen zu beschäftigen. Für viele Historiker ist dieser Gedanke neu.

Anmerkungen:

1 Historikerinnen sind hier und im Folgenden natürlich immer mitgemeint. Das Zitat im Titel stammt von Walter Benjamin, Bekränzter Eingang, in: ders., Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. 11, Frankfurt a.M. 1980, S. 557-561, hier S. 559. Benjamins Text bezieht sich auf die Ausstellung „Gesunde Nerven“, die 1929 im Gesundheitshaus Kreuzberg gezeigt wurde.

2 Zur Kategorie des Raumes siehe etwa Stefan Paul, Kommunizierende Räume. Das Museum, in: Alexander C.T. Geppert/Uffa Jensen/Jörn Weinhold (Hg.), Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert, Bielefeld 2005, S. 341-357.

3 Die Vielfalt der Zugänge zum Museum, auch jenseits der Geschichtswissenschaft, zeigt die angelsächsische Literatur. Siehe jüngst Sharon Macdonald (Hg.), A Companion to Museum Studies, Malden 2006.

4 Gottfried Wilhelm Leibniz, Amüsante Gedanken über eine neue Art von Ausstellungen [Drôle de Pensée, 1675], in: Museumskunde 64 (1999), S. 82-85.

5 Als grundlegenden Versuch einer Funktions- und Aufgabenbestimmung aus dieser Zeit vgl. Otto Lauffer, Das historische Museum, in: Museumskunde 3 (1907), S. 1-14, S. 78-99, S. 179-185, S. 222-245.

6 Norbert Bolz, Das Happy End der Geschichte, in: Rosmarie Beier-de Haan (Hg.), Geschichtskultur in der Zweiten Moderne, Berlin 2000, S. 53-69, hier S. 68.

7 Gottfried Korff, Speicher und/oder Generator. Zum Verhältnis von Deponieren und Exponieren im Museum, in: Moritz Csáky/Peter Stachel (Hg.), Speicher des Gedächtnisses. Bibliotheken, Museen, Archive. Teil 1: Absage an und Wiederherstellung von Geschichtsverlust, Wien 2000, S. 41-56, hier S. 44.

8 Ders., Bildwelt Ausstellung - Die Darstellung von Geschichte im Museum, in: Ulrich Borsdorf/Heinrich Theodor Grütter (Hg.), Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Frankfurt a.M. 1999, S. 319-335, hier S. 332.

9 Vgl. ders., Ausgestellte Geschichte, in: Saeculum 43 (1992), S. 21-35, hier S. 29: „Das Museum bebildert nicht, es ist Bild.“

10 Ders., Bildwelt Ausstellung (Anm. 8), S. 328.

11 Das Programm findet sich unter http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=6517, ein Tagungsbericht von René Hertzschuch und Frank Nicht unter
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1628.

12 Vgl. dazu Hans-Martin Hinz (Hg.), Der Krieg und seine Museen, Frankfurt a.M. 1997; Renate Mulzer-Grasse, Musealisierung des Krieges?, in: Wolfgang Zacharias (Hg.), Zeitphänomen Musealisierung. Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstruktion der Erinnerung, Essen 1990, S. 261-267; Hans-Ulrich Thamer, Krieg im Museum. Konzepte und Präsentationsformen von Militär und Gewalt in historischen Ausstellungen, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 2006: Museum und historisches Lernen, S. 33-43. Zur allgemeineren Frage der Emotionen in historischen Museen vgl. Ulrich Raulff, Geschichte und die Erziehung des Gefühls, in: Ulrich Borsdorf/Heinrich Theodor Grütter/Jörn Rüsen (Hg.), Die Aneignung der Vergangenheit. Musealisierung und Geschichte, Bielefeld 2004, S. 105-123.

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