Abgeschoben aus dem eigenen Land

Innerdeutsche Ausweisungen in der Weimarer Republik

  1. Ausweisungen von Deutschen durch deutsche Behörden
  2. Ausweisungen von Deutschen aus dem besetzten Rheinland
  3. Fazit

Anmerkungen

[Teile dieser Forschung wurden gefördert durch den United Kingdom Research and Innovation Economic and Social Research Council (UKRI ESRC) [2262721]. / This work was supported by UK Research and Innovation’s Economic and Social Research Council (UKRI ESRC) [2262721].]

In diesem Aufsatz diskutieren wir zwei Formen von Ausweisungen während der Weimarer Republik: Einerseits geht es um die Ausweisung deutscher Staatsbürger*innen durch deutsche Behörden, sogenannte interterritoriale Ausweisungen von einem Land des Deutschen Reiches in ein anderes – ein Spezialfall im internationalen Vergleich, der auf einer Dualität der deutschen Staats- und Reichsangehörigkeit fußte, die bis zum Ende der Weimarer Republik prägend blieb. Andererseits betrachten wir die Ausweisungen von deutschen Beamt*innen durch alliierte bzw. französische Besatzungsbehörden im Zuge des passiven Widerstandes gegen die Besetzung des Rheinlandes im Jahr 1923.1 Der gemeinsame Fokus dieser zwei Analysen liegt auf der Relevanz von Ausweisungen in der politischen Entwicklung und der symbolischen Repräsentation des deutschen Nationalstaates während der Zwischenkriegszeit.

Die Forschung zur Weimarer Ausweisungspolitik ist zwar umfangreich, besonders im Hinblick auf ihre antisemitische und antislawische Prägung, auf die Ausweisung von deutschen Staatsbürger*innen aus Elsaß-Lothringen nach dem Versailler Vertrag sowie auf die Folgen für die NS-Zeit. Dagegen wurden die hier von uns diskutierten Formen von Ausweisungen bisher kaum beachtet, obwohl sie für die Logik hinter einem Paradigma des othering in der deutschen Geschichte aufschlussreich sind.2

Ausweisungen deutscher Staaatsbürger*innen durch deutsche Behörden innerhalb Deutschlands sowie durch Besatzungsbehörden aus formal deutschem Staatsgebiet passen nicht in das gängige Narrativ vom einheitlichen Nationalstaat, der sich im Laufe des späten 19. Jahrhunderts immer weiter nach außen gegenüber Nicht-Angehörigen abgrenzte, nach innen jedoch ein immer gleichberechtigteres Staatsvolk schuf, dem neben dem Zugang zu wohlfahrtsstaatlichen Leistungen auch die Freizügigkeit und der Schutz vor Ausweisung zugesprochen wurde.3 Der Nationalstaat tritt hier also nicht im Sinne Max Webers als ein statisches, sondern vielmehr als ein dynamisches, mehrschichtiges, unvollständiges Ordnungs- und Machtgefüge auf.4 Anders als in dieser klassischen Sicht auf den Nationalstaat zeigen die hier diskutierten Vorgänge, dass sich staatliche Macht nicht einheitlich auf das gesamte Staatsgebiet und auf alle Ebenen des Staates erstreckt. Staaten versuchen ihre Macht zwar uniform und absolut über ihr gesamtes zugesprochenes Staatsgebiet auszudehnen, können dies aber nie vollständig erreichen. Stattdessen werden Überlappungen unterschiedlicher staatlicher Kontrolle sichtbar.5 Neben anderen Formen der Migrationskontrolle nehmen Ausweisungen in diesem Netz aus administrativen Zugehörigkeiten eine zentrale Funktion ein. Ergänzend zu den häufig betonten wohlfahrtsstaatlichen, sozial- und sicherheitspolitischen sowie ethnisch-rassistischen Funktionen von Ausweisungen geht es uns an dieser Stelle vor allem um die Rolle von Ausweisungen beim politischen right-peopling.6

Beim right-peopling, und parallel dazu beim right-sizing eines Staatsgebietes durch Grenzverschiebung, handelt es sich um Konzepte der Politikwissenschaft, die die Anstrengungen staatlicher Eliten bezeichnen, Territorium und Bevölkerung eines Staates einem imaginierten Ideal anzunähern. Brendan O’Leary betont im Sammelband »Right-Sizing the State« die inhärente Wandelbarkeit von Grenzen und Bevölkerungen. Das (Neu-)Ziehen von Zugehörigkeitsgrenzen kann mit extremen Formen staatlicher Gewalt einhergehen. Das Konzept des right-peopling wird vor allem verwendet, um die Entwicklung von modernen Staaten und ihren Umgang mit Minderheiten zu analysieren, deren Eingliederung mit der rassistisch-exklusiven Logik sich bildender Nationalstaaten in Konflikt gerät. Die zwei gewaltsamsten Formen des staatlichen Umgangs mit konstruierter Andersartigkeit sind Völkermord und die auf ethnische Zuschreibung gestützte Massenausweisung bzw. -vertreibung von Bevölkerungsgruppen.7

Unsere Diskussion geht an dieser Stelle über den Fokus O’Learys auf ethnische Konflikte hinaus und legt stattdessen die prinzipielle Logik gruppenbasierter staatlicher Ausweisungs- bzw. Vertreibungsprogramme offen: den Ausschluss von als fremd oder gar feindlich angesehenen Bevölkerungsgruppen zur Stabilisierung staatlicher Institutionen – entweder, weil diese Gruppen selbst als staatsgefährdend konstruiert werden, oder weil sich staatliche Akteure von deren Ausweisung aus nationalistisch-einigenden Beweggründen mehr Zuspruch der erwünschten Bevölkerung zum eigenen Staat versprechen. Die gruppenbezogene Definition der »Andersartigkeit«, die oft langfristige Folgen haben kann, ist dabei an erster Stelle willkürlich und kontext­abhängig.

Die Anlehnung an O’Learys Konzepte ist keine Gleichstellung von Schicksalen. Die Erfahrungen von gefährdeten Minderheiten, die in der Zeit der Weimarer Republik mit Abschiebungen konfrontiert wurden, zum Beispiel osteuropäische Jüdinnen und Juden oder Sinti und Roma, können nicht mit den Ausweisungserfahrungen privilegierter deutscher Beamt*innen aus dem Rheinland gleichgesetzt werden, obwohl auch diese, wie wir zeigen werden, Entbehrungen durchleiden mussten. Gerade die Unterschiede im weiteren Schicksal der Gruppen – Ablehnung und Verfolgung bis zum Pogrom und Genozid auf der einen, die Stilisierung zu nationalen Helden auf der anderen Seite – sind hier von analytischem Interesse: Die Ausweisung von deutschen Beamt*innen durch die Besatzungsbehörden trug offenbar dazu bei, unter der Bevölkerung der Weimarer Republik das gemeinsame Nationalbewusstsein zu stärken.

Zudem erweitern wir mit den scheinbaren Sonderfällen die Analyse von Formen staatlicher Illegalisierung von Menschen durch die sogenannte deportability um eine wichtige Dimension. In seinen kritischen Publikationen zur politischen und sozialen Praxis von Ausweisung und Abschiebung bezeichnet Nicholas De Genova das Leben mit der Möglichkeit einer Abschiebung sowie die Verrechtlichung von Abschiebungsbegründungen als die Illegalisierung und »Abschiebbarkeit« (deportability) von Mi­grant*innen: »Migrant ›illegality‹ is lived through a palpable sense of deportation, the possibility of being removed from the space of the nation-state.«8 De Genova geht es in seiner Forschung primär um die Erfahrungen von Ausländer*innen sowie um die rechtliche Produktion dieser Kategorie. Allerdings fasst er mit seinem Konzept explizit auch solche Personengruppen, die von staatlicher Expatriierung betroffen sind oder denen diese angedroht wird.9 In den hier diskutierten Fällen führte die Überlappung von verschiedenen, konkurrierenden Staaten bzw. staatlichen Ebenen erst zur rechtlichen Möglichkeit, Menschen »abschiebbar« zu machen: Das Zusammentreffen von kommunalen, landes- und reichsweiten Zugehörigkeitsgesetzen und entsprechenden Ausweisungsrechten erlaubte es Lokal- sowie Landesbehörden des Deutschen Kaiserreiches und der Weimarer Republik, deutsche Staatsangehörige fremder Landesangehörigkeit sowie bestimmte Minderheiten, wie die Sinti und Roma, aus ihren entsprechenden Teiljurisdiktionen des Deutschen Reiches zu verweisen.10

In theoretischer Perspektive legt unsere Analyse von innerdeutschen Ausweisungsverfahren einen weiteren Schluss nahe: Der Stabilisierungslogik des right-peopling folgend, können staatliche Ausweisungsprogramme insbesondere während staatlicher Konsolidierungsphasen auftreten – und zwar nicht nur aufgrund von ethnisch-rassistischen Projekten der Nationalstaatsbildung,11 sondern auch durch den Konsolidierungsprozess selbst. Die Motivationen für Ausweisungen können sich dabei gegenseitig bestärken. So entsteht ein Konglomerat von Ausweisungsinteressen und -narrativen. Während die Ausweisung von Deutschen durch französische Behörden auf deutscher Seite vehement beklagt wurde, wurden zugleich täglich nicht-deutsche Angehörige marginalisierter Gruppen und sogar »Reichsdeutsche« mit fremden Landesangehörigkeiten durch deutsche Behörden auf Landes- und Reichsebene ausgewiesen. Eine solche Gemengelage, so unsere These, tritt besonders dann zutage, wenn verschiedene Ansprüche von Staatlichkeit miteinander konkurrieren. Die Folgen dieser Überlappung staatlicher Macht zeigen sich speziell im Fall der Besetzung des Rheinlandes: Gerade das erwünschte loyale Verhalten zum deutschen Staat machte deutsche Beamt*innen in den Augen der Besatzungsbehörden zu Unerwünschten, die trotz Inländerstatus ausgewiesen wurden. Andererseits konkurrierten die Souveränitätsansprüche der deutschen Länder mit denen des Reiches hinsichtlich der Zuständigkeit für die als unerwünscht gebrandmarkten Staatsangehörigen, die wiederum nur aufgrund eines Dualismus aus Staats- und Landeszugehörigkeit und den damit zusammenhängenden, unklaren Souveränitätsgrenzen abgeschoben werden konnten. Die Ausgewiesenen wurden so zum Spielball und Symbol beim Aushandeln grenzüberlappender Staatlichkeiten.

Wie unsere Analyse zeigt, war die Rezeption der Erfahrungen von Abschiebbarkeit äußerst einseitig: Zwar stießen die Praxis interterritorialer und internationaler Ausweisungen sowie besonders die zunehmend aggressivere antisemitische und antiziganistische Ausweisungspolitik unter liberalen, sozialdemokratischen und kommunistischen Intellektuellen auf Widerspruch, doch wurde sie von der breiten Öffentlichkeit kaum rezipiert oder kritisiert. Ganz anders verhielt es sich mit den Erfahrungen von deport­ability unter Deutschen in der Besatzungssituation – hier entspann sich im Laufe der 1920er-Jahre ein wirkungsmächtiger Opferdiskurs, der auf der zugeschriebenen heldenhaften Loyalität zum deutschen Staat fußte. Ausweisungen nahmen in der Weimarer Republik so auch eine politisch-konstituierende Rolle ein.

Der Aufsatz gliedert sich in zwei Abschnitte. Im ersten Teil werden die durch deutsche Behörden angewandten Ausweisungspraktiken untersucht. Hier wird zunächst knapp auf das allgemeine Ausweisungsrecht in der Weimarer Republik und die Zweigliedrigkeit der deutschen Reichsangehörigkeit eingegangen, die die interterritorialen Ausweisungen ermöglichte. Im Anschluss wird das Phänomen solcher interterritorialen Ausweisungen mit einem besonderen Fokus auf die Diskriminierung von Sinti und Roma näher erläutert. Der zweite Teil beschäftigt sich mit den temporären Ausweisungen deutscher Beamt*innen aus dem von den Alliierten besetzten Rheinland. Hier wird untersucht, wie nicht nur Ausweisungen von Fremden bzw. als fremd Definierten das Nationalbewusstsein innerhalb der jungen Weimarer Republik förderten, sondern auch durch die Ausweisung von deutschen Staatsbürger*innen indirekt das deutsche Nationalgefühl gestärkt wurde. Im untersuchten Fall wies die alliierte Rheinlandkommission unter dem Franzosen Paul Tirard deutsche Staatsbürger*innen über die von ihr anvisierte deutsch-französische Rheingrenze aus.12 Gemäß der französischen Vorstellung der damaligen Zeit trennte diese Grenze den germanischen Raum vom französischen oder zumindest frankophilen Einflussbereich.13 Dem standen die Deutschen gegenüber, für die die Ausweisung aufgrund des Widerstandes gegen die Besatzung einen patriotischen Akt der Aufopferung aus Loyalität für die im Zuge des verlorenen Krieges und des Versailler Vertrages territorial beschnittene eigene Nation bedeutete.

1. Ausweisungen von Deutschen durch deutsche Behörden

Generell umfasst eine Ausweisung das offizielle Gebot, ein bestimmtes Gebiet innerhalb der Jurisdiktion der ausweisenden Behörde zu verlassen; in den meisten Fällen ist dieses Gebot mit einem Rückkehrverbot verbunden.14 Ausweisungen zur Zeit der Weimarer Republik können rechtlich in zwei Kategorien eingeordnet werden:15 Im Fall von »ungebundenen Ausweisungen« handelte es sich um rein administrative, behördlich entschiedene und kaum regulierte Beendigungen einer impliziten Aufenthaltsduldung – formale Aufenthaltstitel wie in der heutigen Bundesrepublik existierten in der Weimarer Republik nicht. Demgegenüber standen »gebundene«, das heißt an ein konkretes Vergehen gekoppelte Ausweisungen, die meist als Folge einer strafrechtlichen Verurteilung ausgesprochen wurden. Selbst gebundene Ausweisungen waren rechtlich gesehen allerdings keine Strafen; vielmehr galten sie in der Regel als Präventivmaßnahmen gegen mögliche künftige Straftaten und damit als notwendiger Schutz der öffentlichen »Sicherheit und Ordnung«. Für die Betroffenen war der rechtliche Status der Ausweisung als administrative oder flankierende Maßnahme insofern von Nachteil, als ihnen dagegen kein Revisionsweg offenstand, wie es etwa bei einer Freiheitsstrafe der Fall gewesen wäre.16 Ein Anrecht darauf, im Gebiet des Deutschen Reiches zu verweilen, das sogenannte Wohnrecht, bestand nur für deutsche Reichsangehörige.17 Für Personen ohne Wohnrecht existierten keine einklagbaren Aufenthaltsrechte oder sonstige Rechte auf eine bestimmte Behandlung durch ausweisende Behörden.18 Für die Ebene des nationalen Fremdenrechts konstatierte der Jurist Werner Kobarg, der sich 1930 explizit mit Ausweisungen beschäftigte: »Ein Ausländer kann […] regelmäßig des Landes verwiesen werden.«19

Mit einer Abschiebung war rechtlich dann der aktiv ausgeübte staatliche Zwang gemeint, der angewandt wurde, sollten Betroffene nicht eigenständig das vom Ausweisungsbeschluss bestimmte Gebiet verlassen. Hierfür waren im Reichsrecht zwei Möglichkeiten vorgesehen: der sogenannte Zwangspass oder der Transport bzw. »Schub« ins Ausland, was dem heutigen Bild einer Abschiebung am nächsten käme.20 Ein Zwangspass gab eine konkrete Route und somit auch ein konkretes Ziel der Ausweisung vor. Die Betroffenen mussten auf dem Weg zur Grenze Polizeistationen passieren und sich ihre Durchreise bis zum Zielort, beispielsweise einem Grenzübergang, bestätigen lassen. Eine direkte Abschiebung durch Transport an die Grenze bzw. in ein bestimmtes Zielland konnte bei Straftätern, möglicherweise gefährlichen Personen oder bei hohem Fluchtrisiko auch in Begleitung eines Polizeibeamten stattfinden. Wenn der Betroffene die Reisekosten auf der im Zwangspass vorgeschriebenen Route nicht selbst tragen konnte, mussten das Reich bzw. die beteiligten Gliedstaaten dafür aufkommen. Die Kosten eines Transports mussten in jedem Fall aus der Staatskasse beglichen werden.21 Solche Transporte konnten sich als teuer und kompliziert erweisen, da zusätzlich zur Verhandlung zwischen deutschen Behörden auch mit dem (vermeintlichen) Herkunftsland und möglichen Transitländern verhandelt werden musste. Bei dem im Jahr 1927, wegen angeblicher Spionage und »staatsgefährlichen Treibens« mit kaum vorhandener Beweislage, durch badische Behörden aus Deutschland abgeschobenen sowjetischen Staatsbürger Isaak Nouhim musste eine Überfahrt per Schiff von Stettin nach Leningrad organisiert und bezahlt werden, da ein Transitvisum für Nouhim und einen Polizeibeamten durch Polen nicht in Aussicht gestellt worden war.22 Im Anschluss an die Ausweisung entwickelten sich dann noch längere Kontroversen zwischen den beteiligten innerdeutschen Behörden. Seit 1851 existierte zwar eine vertragliche Regelung, die die Kostenverteilung einer Abschiebung an die Kilometer band, die auf dem Weg zur Reichsgrenze durch das jeweilige Gebiet zurückgelegt wurden. Je nach gewählter Strecke kam es dabei aber zu unterschiedlichen Zahlungen durch die einzelnen Länder, was zu langwierigen Verhandlungen führen konnte. Bei seiner Rückkehr nach Russland legte Nouhim Protest gegen seine fast ein Jahr währende Abschiebehaft ohne Urteil sowie wegen angeblicher Misshandlungen ein. Dies wurde von badischer Seite zurückgewiesen, und weitere Beschwerden wurden geflissentlich ignoriert. Zwar gab es die Möglichkeit einer solchen Beschwerde gegen Ausweisungen und Abschiebungen, doch ohne feste Regelungen und die Möglichkeit des Rechtsweges hing das Ergebnis von der jeweils ausweisenden Behörde und der Willkür der Beamt*innen ab.23

Diese konstante Abschiebbarkeit bzw. deportability von Ausländer*innen, die faktisch alle anderen rechtlichen Garantien unterminierte, wurde vom Juristen Ernst Isay bereits zeitgenössisch als »Rückkehr des Polizeistaats« in den vorgeblich grundrechtsbasierten Weimarer Rechtsstaat bezeichnet.24 Wie im Folgenden verdeutlicht wird, war aber selbst der Besitz der deutschen Reichsangehörigkeit kein Schutz vor der Illegalisierung und Abschiebbarkeit. Zwar besaßen alle Reichsangehörigen das Wohnrecht im Reichsgebiet und konnten so nicht aus dem gesamten Reich ausgewiesen werden, doch das separate Wohnrecht in den einzelnen Gliedstaaten der Republik hing vom Besitz der entsprechenden Staatsangehörigkeit ab – eine Besonderheit der dualen föderalen und nationalen Entwicklung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts.

Die Unterscheidung zwischen »Ausländer*innen« und »Inländer*innen« über den Besitz der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates hatte sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts herausgebildet.25 Durch das Festzurren von Ein- und Ausschlusskriterien ersetzte sie vielerorts Situationen höchster rechtlicher Unsicherheit.26 Vor der Einführung einheitlicher Staatsangehörigkeiten divergierten selbst innerhalb eines Staatsgebietes die lokalen Definitionen von »Fremdheit« enorm: Mögliche Marker reichten von Geburtsort und familiärer Abstammung über die Religions- und Standeszugehörigkeit bis hin zur Ausübung spezieller Berufe wie des Walfangs – oder schlicht die subjektive Auslegung des Wortes »fremd«.27 Bis ins späte 18. Jahrhundert hinein konnte der Status als Fremder in manchen Gegenden nicht nur zu Gewerbeverboten oder Spezialsteuern führen, sondern sogar zu vollständiger Rechtlosigkeit und Leibeigenschaft.28

Selbst nach der Einführung der Bundes- bzw. Reichsbürgerschaft im Norddeutschen Bund und im Deutschen Kaiserreich behielten die einzelnen Gliedstaaten die Kontrolle über die Verleihung ihrer jeweiligen Staatsangehörigkeit.29 Das Deutsche Reich nach 1870/71 war zwar formal ein zentralisierter Bundesstaat, doch das große Maß an Souveränität, das die einzelnen Gliedstaaten genossen, erinnerte noch sehr an einen Staatenbund.30 Die Bindung der Reichs- an die Staatsangehörigkeit änderte auch das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 (RuStAG) nicht: »Deutscher ist, wer die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaat […] besitzt.«31

Dieser Dualismus blieb in der Weimarer Reichsverfassung (WRV) ebenfalls erhalten, obwohl sie das Reich deutlich zentralisierte.32 Das RuStAG von 1913 bestand so im »unitarischen Bundesstaat«33 der Weimarer Republik fort. Auch wenn das Wohnrecht auf Reichsebene für alle Deutschen gleichermaßen galt, schuf der Dualismus von Reichs- und Staatsangehörigkeit innerhalb des Deutschen Reiches fundamentale Ungleichheiten: Deutsche hatten nur in ihrem eigenen Land ein unwidersprochenes Aufenthaltsrecht. Reisten sie in ein anderes Land des Deutschen Reiches, beispielsweise von Württemberg nach Baden, waren sie grundsätzlich von einer interterritorialen Ausweisung bedroht.

Ausweisungen in der Weimarer Republik spiegelten diese Fragmentierung des Staatsangehörigkeitsrechts wider. Neben der Reichsverweisung gab es auch Landes- und Ortsverweisungen. Dieselben verbliebenen »dualen« Souveränitätsrechte ermöglichten es außerdem den einzelnen Gliedstaaten, selbstständig den Aufenthalt in ihren Territorien zu regeln. Häufiger als in den vergleichsweise seltenen Reichsverweisungen als Folge konkreter strafrechtlicher Vergehen, von denen es laut »Zentralblatt für das Deutsche Reich« zwischen 1919 und 1934 nur 1.084 gab, beruhte die konstante deport­ability von Ausländer*innen und Deutschen anderer Landeszugehörigkeit auf oft willkürlichen Entscheidungen der Landes- und Ortsebene.34 Da die Landesverweisung in keinem Gliedstaat der Weimarer Republik klar kodifiziert war, konnte sie flexibel gegen unerwünschte Personen eingesetzt werden, häufig basierend auf rassistischen Kriterien.35 In Preußen wurde zur Legitimierung der Ausweisungen zwar der zweite Teil, 17. Titel des »Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten« (PrALR) von 1794 herangezogen.36 Dieser definierte in § 10 die Aufgaben der Polizeibehörden unter anderem mit der »Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung«.37 Doch praktisch konnte für jeden Ausweisungsfall ein solcher Grund gefunden werden. Ausländer*innen wurden ausgewiesen, wenn sie ganz allgemein als »lästig« oder »unerwünscht« galten, nicht nur wenn ihre Anwesenheit tatsächlich »Ruhe, Sicherheit und Ordnung« in Gefahr brachte.38 Gegen eine Landesverweisung konnte generell keine Verwaltungsklage eingelegt werden, obwohl die Klagemöglichkeit sonst zentraler Bestandteil des Weimarer Rechtsstaates war.39 Zudem führten Landesverweisungen oft zusätzlich zu Reichsverweisungen, da die Ausweisung aus einem Land meist die Aufnahme in ein anderes Land erschwerte oder gar völlig unmöglich machte. Einer Ausweisung aus einem Land der Weimarer Republik konnte, wurde sie öffentlich bekannt, rasch eine Kette von Ausweisungen aus angrenzenden Ländern folgen.40

Gesamtzahlen für Landesverweisungen aller Länder sind nicht überliefert. Einzelne Gliedstaaten verkündeten Ausweisungsbeschlüsse allerdings in Ministerialblättern, um bereits ausgewiesene Personen an der Wiedereinreise oder erneuten Niederlassung zu hindern.41 Die auf dieser Grundlage von Reinecke und Maurer für Preußen erhobenen Daten erlauben eine Einschätzung der Größenverhältnisse von Landesausweisungen im Vergleich zu Reichsverweisungen; sie lassen das eigentliche Ausmaß der Weimarer Ausweisungspraxis erahnen. Für das Jahr 1923, in dem Preußen gerade einmal 21 Personen aus dem Reichsgebiet auswies, gibt Reinecke ca. 4.000 preußische Landesverweisungen an.42 Maurer spricht von insgesamt ca. 26.000 Landesverweisungen in Preußen zwischen Sommer 1922 und Herbst 1931.43

Der Dualismus der Staats- und Reichsangehörigkeit sowie die Fragmentierung des Aufenthaltsrechts führten auch zum Sonderfall der interterritorialen Ausweisungen – gemeint sind Ausweisungen von Deutschen aus deutschen Ländern, deren Staatsangehörigkeit diese Personen nicht besaßen. Vor 1945 waren zum Beispiel Württem­berger*innen in Baden und Badener*innen in Württemberg nicht gleichgestellt, obwohl das Reich formal seit 1871 geeint war. Im August 1921 wurde der Württemberger Schlosser Karl Schmidt zunächst aus Konstanz und anschließend aus dem ganzen Land Baden ausgewiesen.44 Genauso wiesen bereits 1919 badische Behörden den preußischen Staatsangehörigen Wilhelm Glück aus.45

Im Fall des genannten Schlossers begründete die badische Regierung die Ausweisung mit dessen 58 Vorstrafen, darunter dem Handel mit Schmuggelgut. Um dies künftig zu verhindern, sollte es Schmidt erschwert werden, in der Nähe der Schweiz oder des Elsaß zu leben. Nach seinem Einspruch wurde die Ausweisung schließlich auf Grenzbezirke beschränkt. Eine gänzliche Aufhebung wurde ebenso abgelehnt wie die Aufhebung der Ausweisung von Glück, dem Zigarettenschmuggel und Hehlerei vorgeworfen wurden. Während Schmidt sich nicht dauerhaft in Konstanz aufgehalten hatte, verhielt es sich bei Glück anders: Trotz eines mehr als zweijährigen permanenten Wohnsitzes in Waldshut an der badischen Grenze zur Schweiz gab die dortige Staatsanwaltschaft an, er sei nicht in Baden ansässig und obendrein preußischer Staatsbürger.

Laut der Reichsverfassung von 1871 war es Reichsangehörigen erlaubt, im gesamten Reichsgebiet ihrem alltäglichen Leben nachzugehen. Somit existierte zwar eine formale Gleichstellung, doch die einzelnen Länder konnten gegen Reichseinbürgerungen weiterhin Vetos einlegen und den Aufenthalt aller Nicht-Staatsangehörigen auf ihrem Territorium kontrollieren.46 Die einzige Bedingung für die Beibehaltung dieser gliedstaatlichen Rechte war die Einhaltung von vor-konstitutionellen gesetzlichen Abkommen zwischen den einzelnen Gliedstaaten, die das oben beschriebene Heimat-Prinzip beschützten.47 In Baden war dies beispielsweise das Badische Aufenthaltsgesetz von 1870.48 Analog zu Gesetzen in den anderen Staaten des späteren Deutschen Reiches ermöglichte es dieses Gesetz lokalen Polizeibehörden, Arme, Bettler sowie (verdächtigte) Straffällige auszuweisen, sofern sie keine Badener*innen waren.

Obwohl die WRV dann Gleichberechtigung und Grundrechte wie Freizügigkeit garantierte,49 setzten die Länder ihre Ausweisungspraxis fort und intensivierten sie noch: Badens neuer sozialdemokratischer Innenminister Adam Remmele verfügte im Juni 1919, dass lokale Polizeibehörden alle Nicht-Badener*innen ungeachtet ihrer Reichsangehörigkeit ausweisen dürften. Dies sei notwendig, um Sicherheit und Ordnung wiederherzustellen50 – ein bekanntes Argument, das einer verbreiteten »Logik des nationalen Notstandes« folgte.51 Zunächst sollte es sich um eine temporäre Verfügung handeln, die von badischen Behörden jedoch rasch als Standardbegründung für Ausweisungen verwendet wurde.52

Der verstärkte Gebrauch dieser Vorkriegspraxis wurde auch in juristischen Kreisen kontrovers diskutiert. 1932 nannte der Jurist Helmut Erlanger ein durchschlagendes Argument gegen interterritoriale Ausweisungen: Da alle Deutschen auf der Grundlage des Artikels 110 WRV gleich behandelt werden sollten sowie nach Artikel 111 WRV das Recht zur Freizügigkeit besäßen, dürfe zwischen den Angehörigen verschiedener Länder in Ausweisungsfragen keinerlei Unterschied gemacht werden.53 Entweder müssten Ausweisungen für alle Bürger*innen zulässig sein – ein klarer Verstoß gegen das Heimat-Prinzip und den Text der WRV –, oder interterritoriale Ausweisungen seien schlicht illegal. In den letzten Jahren der Weimarer Republik fand Erlangers Argumentation ihren Weg in die Standardwerke des Verfassungsrechts.54 Landesregierungen und deren Verwaltungen weigerten sich jedoch, ihre Ausweisungsmacht abzugeben.55 Und während die meisten Länder die Kritik abwehrten, hatte Bayern bereits wenige Jahre zuvor das interterritoriale Ausweisungsrecht weiter vertieft: Das antiziganistische »Bayerische Gesetz zur Bekämpfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen« vom 16. Juli 1926 betraf vor allem Sinti und Roma sowie alle anderen Personen, die unter die entsprechenden Kategorien fallen konnten.56 Das Gesetz ermöglichte es lokalen Polizeibehörden, jegliche fahrenden Gruppen direkt aus Bayern auszuweisen – zwar wurde den betroffenen Sinti und Roma die Reichszugehörigkeit nicht abgesprochen, doch wurde argumentiert, dass sie keine bayerische Landeszugehörigkeit besäßen und deshalb ausgewiesen werden könnten. Das Gesetz erlaubte einzelnen Polizist*innen die Entscheidung, welche Personen in solche Kategorien fielen. In einer begleitenden Verordnung gab das bayerische Innenministerium an: »Der Begriff ›Zigeuner‹ ist allgemein bekannt und bedarf keiner näheren Erklärung. Die Rassenkunde gibt darüber Aufschluss, wer als Zigeuner anzusehen ist.« 57 Unter dem Gesetz drohten Sinti und Roma sowie Armen, Arbeitslosen und Bettler*innen nicht nur die Ausweisung, sondern auch Zwangsarbeit in Arbeitslagern.

Das bayerische Gesetz stand in einer langen Traditionslinie antiziganistischer Kontrollgesetze auf dem Gebiet des Deutschen Reiches. Wie Leo Lucassen nachweisen kann, wurden Sinti und Roma von deutschen Behörden durchaus als Deutsche geführt, jedoch als solche ohne rechtliche Heimat und deshalb ohne Heimat- und Wohnrecht in einem deutschen Gebiet.58 Parallel zur Verknüpfung von Armut und Kriminalität in den Ausweisungsbeschlüssen von Ausländer*innen und Reichsinländer*innen fremder Staatsangehörigkeit findet sich auch bei Sinti und Roma eine enge Verknüpfung der beiden Illegalisierungskategorien: Die rassistische Diskriminierung und Ausschließung fußte auf der fundamentalen Ablehnung ihrer Kultur und ihres Lebensstils, diente aber keiner tatsächlichen Bekämpfung von Kriminalität. Die Illegalisierung und ständige Ausweisung von Sinti und Roma aus jedem Gebiet, in dem sie sich aufhielten, führte gerade erst zu einer rassistisch fingierten »Zigeunerplage«,59 da diese Gruppen so vermehrt in Statistiken zu Aufenthaltsvergehen vorkamen.60 Die Weimarer Polizei hing dem festen Glauben an, dass Sinti und Roma »per Definition Parasiten und deren Berufe nur Deckmäntel für Bettelei, Landstreicherei und Verbrechen« seien.61 Im Fall der interterritorialen Ausweisungen von Sinti und Roma treten Illegalisierungspraktiken und Erfahrungen von Abschiebbarkeit besonders in den Vordergrund. Das Verweisen aus der Mehrheitsgesellschaft zeigt die klassischen Eigenschaften des right-peopling auf.62

2. Ausweisungen von Deutschen aus dem besetzten Rheinland

Stärker noch als beim Dualismus von Reichs- und Staatsangehörigkeit und der Fragmentierung des Ausweisungsrechts innerhalb der Weimarer Republik zeigten sich die Überlappungen staatlicher Autorität sowie die Versuche des right-peopling und right-sizing bei der Ausweisung von deutschen Mitgliedern der Verwaltung und von Eisenbahnern aus dem besetzten Rheinland ins unbesetzte Gebiet. Die Gebiete links des Rheins wurden im Zuge des Waffenstillstandes 1918 von alliierten Truppen okkupiert. Ziel der Besatzung war es, eine Garantie für die Reparationszahlungen zur Wiedergutmachung der im Krieg erlittenen Schäden in der Hand zu haben und einen erneuten deutschen Angriff zu verhindern.63 Aus diesem Grunde stellten die französischen und belgischen Truppen als Hauptopfer der deutschen Aggression im Ersten Weltkrieg die meisten Besatzungstruppen.64 In der Forschung zu dieser Besatzungszeit wurde bislang vor allem die Medienkampagne gegen die sogenannte »Schwarze Schmach« betrachtet.65 Neben der Empörung über die Präsenz schwarzer Kolonialtruppen verursachte die Ausweisungspraxis der Besatzer*innen eine zweite öffentliche Protestwelle, durch die sich die junge deutsche Republik unter rassistisch-nationalistischen Vorzeichen vereinte. Da es sich aber um eine Ausweisung von Deutschen nach Deutschland handelte, taucht diese Praxis in der Migrationsforschung zur Weimarer Republik nicht auf.

Ausweisungen (»expulsions« im Französischen) aus dem besetzten Rheinland gab es bereits seit der Zeit des Waffenstillstandes, doch waren dies meist Einzelfälle, um politische Unruhen zu verhindern.66 Im Zuge der Ruhrbesatzung ab Januar 1923 betrafen die Ausweisungen dann einen großen Personenkreis. Denn die Reichsregierung hatte in allen besetzten Zonen (mit Ausnahme der britischen Zone, da sich die Briten nicht an der Ruhrbesatzung beteiligten) den passiven Widerstand ausgerufen. Dieser Widerstand zeigte sich darin, dass sich die deutschen Beamt*innen auf sämtlichen Ebenen der öffentlichen Verwaltung sowie die Reichsbahnbeamt*innen den Ordern der Besatzungsmacht widersetzten. Die alliierte Rheinlandkommission und die französische Besatzung vor Ort reagierten mit der Ausweisung der betreffenden Beamt*innen in das unbesetzte, rechtsrheinische Gebiet. In der Forschungsliteratur wird eine Größenordnung von insgesamt 150.000 Ausgewiesenen angegeben.67 Diese Zahl bezieht sich auf die gesamte Besatzungszone, inklusive des Ruhrgebietes. In den Akten der Stadtverwaltungen der besetzten Zone finden sich lange Listen mit den Namen der Ausgewiesenen sowie Beschreibungen der Umstände ihrer Ausweisung.

Im Verlauf des passiven Widerstandes gegen die Besatzung des Rheinlandes wurden Koblenzer Eisenbahner mit ihren Familien ausgewiesen und per Zug in das rund 70 Kilometer östlich gelegene Weilburg geschickt. (Süddeutsche Zeitung Photo, 1920er-Jahre)
Im Verlauf des passiven Widerstandes gegen die Besatzung des Rheinlandes
wurden Koblenzer Eisenbahner mit ihren Familien ausgewiesen und
per Zug in das rund 70 Kilometer östlich gelegene Weilburg geschickt.
(Süddeutsche Zeitung Photo, 1920er-Jahre)

Die Überlappung deutscher und alliierter bzw. französischer Staatlichkeit im Rheinland führte zu einem direkten Konflikt über Ausweisungen, bei dem die Loyalität zu dem einen Staat zum Ausweisungsgrund für den anderen Staat wurde. Mehr noch als eine rein sicherheitspolitisch gerechtfertigte Ausweisung trafen in der Besatzung right-peopling und right-sizing direkt aufeinander. Denn im Gegensatz zu einzelnen Ausweisungen, wie sie zu Beginn der Besatzung stattgefunden hatten, handelte es sich bei den Ausweisungen während des passiven Widerstandes um eine große Zahl Deutscher, die zudem von der Besatzungsmacht aufgrund ihrer ausgeübten Funktionen ersetzt werden mussten. So wurden die Züge in dem besetzten Gebiet während des passiven Widerstandes nicht mehr von Deutschen gefahren, sondern von fast 15.000 eigens angeworbenen französischen und belgischen Eisenbahnern.68 In einer Situation umstrittener Souveränität wurden die Ausweisungen so zu Momenten, in denen Staat und Staatszugehörigkeit sowie die damit verbundenen Rechte und Pflichten ausgehandelt wurden. Die Ausweisungen deutscher Beamt*innen aus Mainz, auf die gleich genauer einzugehen ist, veranschaulichen dies beispielhaft. Die hier dargestellten Fälle spiegeln sich aber auch in anderen Orten der Besatzungszone.

Improvisierte Staatlichkeit im Hunsrück – hier anhand eines Ausweisungsbefehls: »Simmern, den 31.10.23 / dem Herrn Bürgermeister [...] aus Kirchberg zur gefälligen Kenntnis­nahme, daß Sie ausgewiesen sind. [...] Der Vollzugskommissar [...].« (ullstein bild)
Improvisierte Staatlichkeit im Hunsrück – hier anhand eines Ausweisungsbefehls: »Simmern, den 31.10.23 / dem Herrn Bürgermeister [...] aus Kirchberg zur gefälligen Kenntnis­nahme, daß Sie ausgewiesen sind. [...] Der Vollzugskommissar [...].«
(ullstein bild)

Gemäß den Akten der »Materialsammelstelle für die Besatzungsgeschichte der Stadt Mainz 1918–1930« wurden während der gesamten Besatzungszeit insgesamt 4.617 Personen aus Mainz von der Interalliierten Rheinlandkommission ausgewiesen; dazu kamen jeweils noch ihre Familien.69 Die Rheinlandkommission war die oberste Behörde des besetzten Rheinlandes, bestehend aus Vertretern Frankreichs, Belgiens, Großbritanniens und der USA. Den Vorsitz hatte der Franzose Paul Tirard. Die Rheinlandkommission sollte für die Sicherheit und den Unterhalt der Besatzungstruppen sorgen, konnte Gesetze erlassen und kontrollierte die deutsche Verwaltung.70 Deren Weisungsbefugnis führte zu Loyalitätskonflikten, insbesondere zur Zeit des passiven Widerstandes: Die Verwaltungs- und Bahnbeamt*innen gaben vor, zuallererst dem deutschen Staat verpflichtet zu sein, auf den sie vereidigt waren. Die Rheinlandkommission hingegen drohte, das Rheinland ähnlich wie Elsaß-Lothringen von Deutschland abzutrennen oder gar zu annektieren. Sie verwies unliebsame, »widerständige« Beamte mit dem Argument der Aufrechterhaltung der Ordnung im besetzten Gebiet auf die andere Seite des Rheins.71 Im Jahr 1923 wurden 1.543 Personen (mit ihren Familien insgesamt 5.189 Personen) durch die französische Militärpolizei aus Mainz ausgewiesen. Von diesen waren 1.302 Eisenbahnbeamt*innen, 70 Post­beamt*innen, 48 Zollbeamt*innen, 31 Lehrer*innen, 58 Privatleute, 29 städtische Beamt*innen, vier Justizbeamt*innen und ein Forstbeamter.72 Erlebnisberichte stellten die Ausgewiesenen als Menschen dar, die selten mit dem Gesetz in Konflikt gerieten. Ihre Ausweisung wurde als Manifest des deutschen Patriotismus gefeiert.73

In Mainz erregte besonders die Ausweisung des Oberbürgermeisters Dr. Karl Külb vom 25. Januar 1923 die Gemüter. Eine Begründung für diese Ausweisung habe es nicht gegeben, so Bürgermeister Adelung in seiner Rede an die Stadtverordneten: »Man geht aber wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß die Ursache in den patriotischen Demonstrationen zu suchen ist, die sich am Mittwoch Abend anläßlich des Prozesses gegen die Zechenbesitzer aus dem Ruhrgebiet hier ereigneten.«74 Külb habe sich als oberster Chef der deutschen Polizei geweigert, einen Schießbefehl auf deutsche Demonstrant*innen zu geben. »Eine andere Erklärung konnte der Herr Oberbürgermeister als deutscher Mann und Oberhaupt einer deutschen Stadt [allerdings] nicht geben«, so Adelung.75 Külb musste sich, wie alle anderen ausgewiesenen Beamt*innen und Reichsbahnmitarbeiter*innen auch, sofort ins unbesetzte Gebiet jenseits des Rheins begeben. Mussten die Ausgewiesenen noch am selben Tag das besetzte Gebiet verlassen, so wurde ihren Familien eine Frist von vier Tagen gewährt, um samt ihrer Wohnungseinrichtungen auf die rechte Rheinseite überzusiedeln.76 Es gab zwar durchaus einmal Handgemenge, wenn französische Soldaten bei den Ausgewiesenen auftauchten, um die Ausweisung zu überwachen bzw. die Wohnungen zu räumen, aber da die deutschen Behörden gegenüber den Ausweisungsbefehlen machtlos waren, blieb wenig Raum für Gegenwehr. So war der Ausweisungsbefehl gleichbedeutend mit der tatsächlichen Abschiebung über den Rhein.77

Da es sich um eine temporäre Ausweisung handelte, wurden die betroffenen Beamt*innen von einer zentralen Ausgewiesenenfürsorge betreut, die lokal vom Land (bei den Mainzer*innen vor allem durch Hessen) organisiert wurde. Das Reichsministerium für die besetzten Gebiete gewährte den Ausgewiesenen ein Tagegeld von 4 Mark, für die Ehefrauen 3 Mark und für jedes Kind ebenfalls 3 Mark zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts und ihrer Unterkunft.78 Daneben sorgte der Deutsche Städtetag dafür, dass sich die Ausgewiesenen nicht als Verstoßene, sondern als Helden fühlen konnten, die ihr Hab und Gut und ihr Zuhause für das Deutsche Reich opferten.79 Am 17. Februar 1923 schickte der Städtetag folgende Note nach Mainz: »Die deutschen Städte legen vor aller Welt feierliche Verwahrung ein gegen die Vergewaltigung der Stadtverwaltungen im besetzten Gebiet, die Ausweisung, die schmachvolle Behandlung und Bestrafung der Bürgermeister und Beigeordneten und der städtischen Beamten und Angestellten. Sie sprechen der gesamten Beamtenschaft der betroffenen Städte ihren Dank und ihre Bewunderung aus für ihr mannhaftes Standhalten gegen alle Rechtsbrüche und Bedrückungen und geloben alles, was in ihren Kräften steht, zu tun, um allen Opfern der feindlichen Gewalttaten zu helfen und den Städten das Ausharren im Interesse des Vaterlandes zu ermöglichen.«80 Zudem gab es bereits ab 1923 Überlegungen, die Ausgewiesenen für diesen Einsatz »in der Verbannung« auszuzeichnen. Im Reichsinnenministerium und im Reichsministerium für die besetzten Gebiete kursierten Ideen, Medaillen zu verteilen, die Einzelpersonen oder Städte/Landkreise im besetzten Gebiet für ihren patriotischen Eifer während des passiven Widerstandes auszeichnen sollten. Da man aber unter anderem keinen Konflikt zwischen Ausgewiesenen und im besetzten Gebiet Verbliebenen schüren wollte, wurde das Projekt fallengelassen.81

Der passive Widerstand wurde am 23. September 1923 abgebrochen. Die Ausgewiesenen konnten jedoch erst erheblich später wieder ins besetzte Gebiet zurückkehren, die meisten von ihnen erst nach dem Londoner Abkommen im Sommer 1924. Die Aufhebung der Ausweisung und die Rückkehr war außerdem nicht gleichbedeutend mit der Erlaubnis, auch das vor der Ausweisung ausgeführte Amt wiederaufzunehmen. So durfte zwar der Mainzer Oberbürgermeister Külb am 12. Juli 1924 als einer der ersten nach eineinhalbjähriger Abwesenheit wieder ins besetzte Gebiet einreisen. Da er jedoch mit der Ausweisung sein Amt als Oberbürgermeister verloren hatte, musste die Interalliierte Rheinlandkommission seiner erneuten Ernennung zustimmen. Der Eid, den die Beamt*innen dem Deutschen Reich geleistet hatten, war der Grund für die Loyalitätskonflikte, die zur Ausweisung von städtischen Beamt*innen und Bahnbeamt*innen geführt hatten. Deshalb bemühten sich die Besatzer*innen nach der Rückkehr der Ausgewiesenen um Schlichtung. Die französische Eisenbahnregie gab bekannt: »Die eidlichen Verpflichtungen, die die Regie von den deutschen Eisenbahnern bei der Wiederaufnahme der Arbeit verlangt, haben einen rein beruflichen Charakter. Geforderter Eid hat somit keinerlei politische Bedeutung.«82 Bürgermeister Külb nahm seinen Posten Ende September 1924 wieder auf. Nach dem Londoner Abkommen war die Mainzer Stadtverwaltung um eine Entspannung des Verhältnisses zur französischen Besatzungsmacht bemüht, doch unterstrichen die Mainzer Bürgermeister immer wieder das Ausharren unter den »ehemaligen Feinden« als patriotischen Akt und betonten so ihre Verbundenheit mit Deutschland.83

Nach Abzug der französischen Besatzungstruppen aus Mainz wurde die Rückkehr zum Deutschen Reich mit großem Aufwand gefeiert. Die Erinnerung an das Ausgewiesenwerden nahm dabei eine zentrale Stelle ein. So betonte Reichsaußenminister Dr. Julius Curtius (DVP) in seiner Rede bei der Befreiungsfeier in der Mainzer Stadthalle im Sommer 1930 den »bewundernswerten Opfermut« und das »treue Festhalten der rheinischen Bevölkerung am deutschen Vaterlande«, das »in der deutschen Geschichte für alle Zeiten unvergessen bleiben« werde. Eine besondere Rolle wies Curtius dabei den Ausgewiesenen zu: »Ich weiss, dass ich im Sinne des ganzen deutschen Volkes spreche, wenn ich den Rheinländern und allen denen, die zu diesem Erfolge beigetragen haben, aus vollstem Herzen den aufrichtigsten Dank des Vaterlandes sage. In den Dank seien besonders eingeschlossen die Beamten, Angestellten und Arbeiter des Reiches, der Länder und Gemeinden, der Reichsbahn und der Reichspost, die Ausgewiesenen und die von fremden Gerichten Verurteilten, die rheinische Presse, die rheinischen Abgeordneten und alle führenden Männer und Frauen. Sie alle haben mit der Gesamtbevölkerung durch ihr treues Ausharren und ihre entschlossene Abwehr den heutigen Freudentag ermöglicht.«84

Die Ausweisungen wurden zum zentralen Ereignis der Rheinlandbesatzung, weil sie von so vielen Menschen persönlich erlebt und erinnert wurden und auch ins kulturelle Gedächtnis der Region eingingen. In Mainz kümmerte sich die schon erwähnte »Materialsammelstelle für die Besatzungsgeschichte der Stadt Mainz« darum, die »Nöte der Besatzungszeit« zu dokumentieren.85 Der städtische Handelsschullehrer Ernst Martin Schreiber, seit 1931 NSDAP-Mitglied, verfasste insgesamt drei Publikationen zur Besatzungsgeschichte; zwei davon beschäftigten sich ganz explizit mit der Ausweisungspraxis.86 Die Studien behandelten neben der Rheinlandbesatzung nach dem Ersten Weltkrieg auch die französischen Ausweisungen während der Revolutionszeit, als ebenfalls höhere Beamte, aber auch Geistliche und diejenigen, die keinen Eid auf die Revolutionsverfassung leisten wollten, über den Rhein ausgewiesen worden waren.87 Schreiber unterstrich dabei die Kontinuität der französischen Rheinlandpolitik seit der Revolutionszeit und wies auf die gleichgebliebenen »Einzelheiten der Methode«, also der Ausweisungen hin. Er sah ein Fehlschlagen der französischen Bemühungen, da »[die französische] Politik bereits vor hundert Jahren an dem Widerstand der starken Mehrheit der [deutschen] Bevölkerung scheiterte, obwohl er sich zum größten Teil nur in passiver Resistenz äußern konnte«.88

Auch in Schreibers Texten erscheinen die Ausweisungen bzw. der passive Widerstand als ein patriotischer Akt, der zur Bewahrung des »deutschen« Rheinlandes beigetragen habe. Für seine Publikationen sammelte Schreiber Erlebnisberichte über die Ausweisungen.89 Darin betonte zum Beispiel der Möbeltischler Alfred Freitag, Mitglied der Gewerkschaft und der SPD, die gravierenden Folgen seiner Erfahrungen: »1 ½ jährige Ausweisung aus der liebgewonnenen Heimat genügt, um zur Besinnung zu kommen über das angetane Leid, die seelischen Regungen, die sich aus dem Erlebten ergeben, machen den Menschen hart und stählen den Charakter. Die materiellen Schäden aber, die die Ausweisung hinterlassen hat, sind noch verhältnismässig [sic] leicht zu tragen, die gesundheitlichen sind in der Familie noch heute vorhanden und bleiben bestehen fürs ganze Leben. Nicht jede Körperkonstitution lässt es zu, ohne Schäden über plötzlich hereinbrechende Ereignisse hinwegzukommen. Was dem einen Veränderung und Erholung war, ist dem Andern zur Ausgangsstätte bitteren Leids geworden.«90

Derartige Erlebnisberichte sind Belege für ein Ausweisungsnarrativ, das die Deutschen als Opfer von französischer Willkür darstellte. Wer ausgewiesen wurde, hatte im Grunde alles richtig gemacht, die Ausweisung »adelte« den deutschen Patrioten. Obwohl die Ausweisungen deutscher Beamt*innen aus der französischen Besatzungszone über den Rhein nur von kurzer Dauer waren, wurde dieses Ausweisungsnarrativ noch über Jahre erinnerungspolitisch genutzt, sogar über das Ende der Besatzung hinaus und in die Zeit des Nationalsozialismus hinein. Dabei gab es im frühen Nationalsozialismus auch Stimmen aus der Zentrumspartei, die den Umgang mit den deutschen Beamt*innen durch die französischen Besatzer*innen, nämlich Absetzung und Ausweisung, mit der Welle der Entlassungen durch die Nationalsozialisten Anfang 1933 verglichen. So schrieb das zentrumsnahe »Mainzer Journal« im Februar 1933: »Wir stehen noch in Erinnerung an den Ruhreinbruch vor zehn Jahren. Es ist eine Tragik, daß diejenigen, die sich als die Nationalsten aller Nationalen fühlen und gebärden, uns, ihren deutschen Brüdern gegenüber, genau die gleiche Methode handhaben und den nämlichen Ton anschlagen, wie es die Franzosen der Besatzung und des Ruhreinfalles uns gegenüber getan: Massenweise grundlose Beamtenabsetzung, Denunziantentum, telephonische ›Ladung‹ hoher Beamter zu bestimmter Stunde, Parade der S.A. vor dem Rathause, Verbot von Zeitungen und Bevormundung der Presse. Wer in der Besatzungszeit des Amtes wegen mit französischen oder belgischen Militärs zu tun hatte, wird unwillkürlich bei der Beobachtung gegenwärtiger Vorgänge an die Mißhandlungen deutscher Bürger durch die fremde Soldateska erinnert.«91

3. Fazit

Die hier diskutierten Ereignisse fallen aus dem Raster der etablierten Forschungsliteratur zu Migrationskontrolle, Ausweisungen und Abschiebungen, da sie der klaren Trennung von Aus- und Inländern zuwiderlaufen, die für moderne Nationalstaaten als selbstverständlich angenommen wird. Diese Annahme muss, wie auch Vigneswaran und Quirk argumentieren, historisch hinterfragt werden.92 Welche Rolle spielen diese Sonderfälle aus der Zeit der Weimarer Republik in der Geschichte der Staatsbildung und der staatlichen Migrationskontrolle?

Erstens zeigen sie, dass die Gruppen, die Illegalisierung und deportability betreffen können, nicht klar abgegrenzt sind. Formen der Illegalisierung können unerwartet und überraschend auch diejenigen treffen, die bereits lange und »legal« in einem Land leben – sogar dann, wenn sie die Staatsbürgerschaft dieses Landes besitzen. Besonders gefährdet sind dabei Minderheiten, die nicht der staatlich imaginierten »richtigen« Bevölkerung entsprechen. Die Diskussion interterritorialer Ausweisungen gegen deutsche Sinti und Roma in der Weimarer Republik zeigt, dass trotz verfassungsrechtlichem Schutz vor Ausweisung aus dem Reich kein Schutz vor Illegalisierung und deportability bestand. Der Dualismus von Reichs- und Staatsangehörigkeit sowie die Fragmentierung des Ausweisungsrechts bedeuteten eine Überlappung staatlicher Macht, die individuelle Rechte unterminierte.

Dies tritt, zweitens, noch stärker in Situationen staatlicher Konsolidierung zutage, wie hier als Folge des Ersten Weltkrieges. Die Überlappung deutscher und alliierter bzw. französischer Staatlichkeit im Rheinland führte zu einem direkten Konflikt über Ausweisungen, bei dem die Loyalität zu dem einen Staat zum Ausweisungsgrund für den anderen Staat wurde. Hier trafen right-peopling und right-sizing direkt aufeinander. In einer Situation ungeklärter Souveränität gerieten Streitigkeiten über Ausweisungen zur Aushandlung von Staatlichkeit und Staatszugehörigkeit sowie von damit verbundenen Rechten und Pflichten.

Diese Aushandlung zeigt sich, drittens, besonders in der öffentlichen Rezeption der Ausweisungen. Im Falle der Schicksale deutscher Beamt*innen, die das Rheinland zeitweilig verlassen mussten, waren Ausweisungen identifikationsstiftend und integrierend für den jungen Staat. Sie wurden zu einem patriotischen Akt stilisiert, an den selbst gegen Ende der Weimarer Republik noch aktiv erinnert wurde. Welche Ausweisungen in Erinnerung gehalten wurden, zeigt wiederum, welche Gruppen als vollständiger Bestandteil des right people, des korrekten Staatsvolkes, gezählt wurden. Während deutsche Beamt*innen aus dem Rheinland ausgewiesen wurden, wiesen die einzelnen Gliedstaaten der Weimarer Republik ihrerseits Deutsche aus, denen potentiell staats- bzw. öffentlichkeitsschädigendes Verhalten vorgeworfen wurde, sei es aufgrund tatsächlichen Handelns oder bloß aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Minderheit. Right-peopling tritt hier also doppelt auf: Einerseits wurden beispielsweise Sinti und Roma durch deutsche Behörden trotz implizierter deutscher Staatsangehörigkeit aufgrund ethnisch-rassistischer Beweggründe radikal ausgegrenzt. Andererseits führten Ausweisungen von deutschen Beamt*innen durch die Besatzungsbehörden zur verstärkten Identifikation mit dem deutschen Staat nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und in diesem Sinne zur Konstitution von Staat und Staatsvolk.

Betrachtet man staatliche Macht und Kontrolle aus der Perspektive von Ausweisungen, erscheint der Staat, anders als bei Max Weber, als das eingangs beschriebene dynamische und geschichtete Ordnungs- und Machtgefüge.93 Ausweisungen und die Kontroversen über sie stehen bis heute im Zentrum der Aushandlung von Staatlichkeit und Zugehörigkeit; sie sind damit weiterhin Formen des right-peopling. Heute wie vor hundert Jahren sind diejenigen besonders gefährdet, unter den Folgen dieser Aushandlung staatlicher Macht zu leiden, die keine öffentliche Unterstützung und keinen Schutz erfahren, sondern sich außerhalb aller neuen Grenzen wiederfinden.


Anmerkungen:

1 Die von uns konsultierten Akten erwähnen männliche ausgewiesene Beamte, doch kann es durchaus sein, dass sich unter den 150.000 Ausgewiesenen auch Beamtinnen befanden, weshalb wir uns dafür entschieden haben, den Begriff zu gendern.

2 Siehe z.B. Christiane Reinecke, Grenzen der Freizügigkeit. Migrationskontrolle in Großbritannien und Deutschland, 1880–1930, München 2010; Jochen Oltmer, Migration und Politik in der Weimarer Republik, Göttingen 2005; Trude Maurer, Ostjuden in Deutschland, 1918–1933, Hamburg 1986; Jasper Theodor Kauth, »Ein Stück Polizeistaat«. Fremdenrecht und Ausweisungen in der ersten deutschen Demokratie, in: Nils Steffen/Cord Arendes (Hg.), Geflüchtet, unerwünscht, abgeschoben. Osteuropäische Juden in der Republik Baden (1918–1923), Heidelberg 2017, S. 185-214; Sigrid Dauks/Friederike Bünjer/Eva Schöck-Quinteros (Hg.), Grund der Ausweisung: Lästiger Ausländer. Ausweisungen aus Bremen in den 1920er Jahren, Bremen 2007; Annemarie Sammartino, Deportation and the Failure of Foreigner Control in the Weimar Republic, in: Bridget Anderson/Matthew J. Gibney/Emanuela Paoletti (Hg.), The Social, Political and Historical Contours of Deportation, New York 2013, S. 25-41.

3 So z.B. Reinecke, Grenzen der Freizügigkeit (Anm. 2); Gérard Noiriel, Die Tyrannei des Nationalen. Sozialgeschichte des Asylrechts in Europa. Aus dem Französischen von Jutta Lossos und Rolf Johannes, Lüneburg 1994, 2. Aufl. Springe 2016; Steffen Mau u.a., Liberal States and the Freedom of Movement. Selective Borders, Unequal Mobility, Basingstoke 2012. Für einen rechtlichen Überblick siehe Jan Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt. Paradigmatische Überlegungen zum grundrechtlichen Freiheitsschutz in historischer und verfassungsrechtlicher Perspektive, Tübingen 1997.

4 Darshan Vigneswaran/Joel Quirk, Mobility Makes States, in: dies. (Hg.), Mobility Makes States. Migration and Power in Africa, Philadelphia 2015, S. 1-34, hier S. 23.

5 Ebd., S. 24.

6 Brendan OʼLeary/Ian S. Lustick/Thomas Callaghy (Hg.), Right-Sizing the State. The Politics of Moving Borders, Oxford 2001. Siehe auch Carl Müller-Crepon/Guy Schvitz/Lars-Erik Cederman, ›Right-Peopling‹ the State: Nationalism, Historical Legacies and Ethnic Cleansing in Europe, 1885–2020, Working Paper, August 2021.

7 Michael Mann, Die dunkle Seite der Demokratie. Eine Theorie der ethnischen Säuberung. Aus dem Englischen von Werner Roller, Hamburg 2007. Siehe auch OʼLeary/Lustick/Callaghy, Right-Sizing the State (Anm. 6); Müller-Crepon/Schvitz/Cederman, ›Right-Peopling‹ the State (Anm. 6).

8 Nicholas De Genova, Migrant »Illegality« and Deportability in Everyday Life, in: Annual Review of Anthropology 31 (2002), S. 419-447, hier S. 439.

9 Ebd. Siehe auch Matthew J. Gibney, Denationalisation and Discrimination, in: Journal of Ethnic and Migration Studies 46 (2020), S. 2551-2568.

10 Aspekte dieser uneinheitlichen deutschen Staatlichkeit und Staatsangehörigkeit wurden u.a. von Andreas Fahrmeir bereits für das 19. Jahrhundert betrachtet, nicht jedoch für die Weimarer Republik. Siehe z.B. Andreas K. Fahrmeir, Nineteenth-Century German Citizenships. A Reconsideration, in: Historical Journal 40 (1997), S. 721-752; ders., Citizens and Aliens. Foreigners and the Law in Britain and the German States, 1789–1870, New York 2000.

11 Mann, Die dunkle Seite der Demokratie (Anm. 7).

12 Zu Tirard und der interalliierten Rheinlandkommission siehe Paul Tirard, La France sur le Rhin. Douze Années dʼOccupation Rhénane [Frankreich am Rhein. Zwölf Jahre rheinische Besatzung], Paris 1930.

13 Zur Rheingrenze siehe Werner Kern, Die Rheintheorie der historisch-politischen Literatur Frankreichs im Ersten Weltkrieg, Saarbrücken 1973, und Franziska Wein, Deutschlands Strom – Frankreichs Grenze. Geschichte und Propaganda am Rhein 1919–1930, Essen 1992.

14 Für einen zeitgenössischen Vergleich der unterschiedlichen Arten von Aufenthaltsbeschränkungen siehe Ernst Isay, Das deutsche Fremdenrecht. Ausländer und Polizei, Berlin 1923, S. 199-201; Werner Kobarg, Ausweisung und Abweisung von Ausländern, Berlin 1930, S. 1-6.

15 Für eine Übersicht zum Ausweisungs- und Fremdenrecht der Weimarer Republik siehe Kauth, Polizeistaat (Anm. 2).

16 Hierzu insbes. Richard Heinze, Die Grundrechte der Ausländer nach der deutschen Reichsverfassung vom 11. August 1919, rechts- und staatswissenschaftliche Diss., Marburg 1929, S. 33; Maurer, Ostjuden in Deutschland (Anm. 2), S. 337f. Für die verschiedenen Kategorisierungen siehe Isay, Fremdenrecht (Anm. 14), S. 199-201.

17 Laura Moser, Der Versuch zu bleiben – Einbürgerungsanträge in der Republik Baden, in: Steffen/Arendes, Geflüchtet, unerwünscht, abgeschoben (Anm. 2), S. 155-176.

18 Leo Lucassen, Eternal Vagrants? State Formation, Migration and Travelling Groups in Western Europe, 1350–1914, in: ders./Wim Willems/Annemarie Cottar (Hg.), Gypsies and Other Itinerant Groups. A Socio-Historical Approach, Basingstoke 1998, S. 55-73, hier S. 59.

19 Kobarg, Ausweisung und Abweisung (Anm. 14), S. 63.

20 Vorschrift des Bundesrats betreffs die Vollziehung der Ausweisung von Ausländern aus dem Reichsgebiet auf Grund der §§ 39, 284 (285a) und 363 des Strafgesetzbuchs vom 10. Dezember 1890 (Vorschrift Vollziehung der Ausweisung). Zum Transport siehe dort §§ 3-7, zum Zwangspass §§ 8-12, zur Verkündung § 13. Siehe auch Isay, Fremdenrecht (Anm. 14), S. 236-241; Kobarg, Ausweisung und Abweisung (Anm. 14), S. 55-57.

21 Siehe § 17 Vorschrift Vollziehung der Ausweisung (Anm. 20). Siehe auch Isay, Fremdenrecht (Anm. 14), S. 241f.

22 Siehe Jasper Theodor Kauth, Der Fall Isaak Nouhim – ein bolschewistischer Spion in Baden?, in: Steffen/Arendes, Geflüchtet, unerwünscht, abgeschoben (Anm. 2), S. 237-251, und Bestand Generallandesarchiv Karlsruhe (GLAK), 233 10965.

23 Isay, Fremdenrecht (Anm. 14), S. 100.

24 Isay, Fremdenrecht (Anm. 14); vgl. Kauth, Polizeistaat (Anm. 2).

25 Zur Entwicklung verschiedener Staatsangehörigkeitskonzepte allgemein vgl. Dieter Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen. Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 2001; Fahrmeir, Citizens and Aliens (Anm. 10), S. 16-19; Hans H. Friederichsen, Die Stellung des Fremden in deutschen Gesetzen und völkerrechtlichen Verträgen seit dem Zeitalter der Französischen Revolution, rechtswissenschaftliche Diss., Göttingen 1967, S. 38-60.

26 Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen (Anm. 25), S. 12; Fahrmeir, Citizens and Aliens (Anm. 10), S. 16f.

27 Zu den Definitionen vgl. Fahrmeir, Citizens and Aliens (Anm. 10), S. 3, S. 11f., S. 16-29; Friederichsen, Stellung des Fremden (Anm. 25), S. 5-12.

28 So beispielsweise durch das ius wildfangiatus (»Wildfangrecht«), welches Landesherren in Teilen Deutschlands erlaubte, Fremde der Leibeigenschaft zu unterwerfen. Siehe Carl G. Rößig, Erste Grundsätze des deutschen Privatrechts zu Vorlesungen und als Einleitung zur Erlernung des reinen deutschen Privatrechts entworfen, Leipzig 1797, S. 86f. Siehe auch Edwin M. Borchard, The Diplomatic Protection of Citizens Abroad or the Law of International Claims, New York 1925 [1915], S. 34; Hans von Frisch, Das Fremdenrecht. Die staatsrechtliche Stellung der Fremden, Berlin 1910, S. 22-36. Für einen Überblick zu dieser Entwicklung siehe Jasper Theodor Kauth, Fremdenrecht und Völkerbund. Das Scheitern der International Conference on the Treatment of Foreigners 1929, in: Archiv des Völkerrechts 56 (2018), S. 202-228.

29 Siehe Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870; Friederichsen, Stellung des Fremden (Anm. 25), S. 47-49; Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen (Anm. 25), S. 162-176.

30 Vgl. z.B. Präambel und Art. 1-5 Verfassung des Deutschen Kaiserreichs vom 16. April 1871. Zur Diskussion der Souveränität im Kaiserreich siehe Dieter Grimm, War das Deutsche Kaiserreich ein souveräner Staat?, in: Sven Oliver Müller/Cornelius Torp (Hg.), Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse, Göttingen 2009, S. 86-101.

31 § 1 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913 (RuStAG). Nur in Ausnahmefällen, beispielsweise den Einwohnern Elsaß-Lothringens, wurde die »unmittelbare Reichsangehörigkeit« verliehen. Zum RuStAG siehe auch Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen (Anm. 25), S. 278-353; Friederichsen, Stellung des Fremden (Anm. 25), S. 49f.; Fahrmeir, German Citizenships (Anm. 10).

32 Vgl. Ziekow, Freizügigkeit (Anm. 3), S. 291; Grimm, Souveräner Staat (Anm. 30), S. 100.

33 Ziekow, Freizügigkeit (Anm. 3), S. 288.

34 Informationen über vorgenommene Reichsverweisungen wurden von den durchführenden Landesbehörden an das Reichsinnenministerium weitergeleitet und von diesem in dessen offiziellem Organ veröffentlicht, dem Zentralblatt für das Deutsche Reich.

35 Martin Hennig, Grundsätze der Fremdenausweisung nach Völkerrecht und Deutschem Staatsrecht unter besonderer Berücksichtigung des preussischen Ausweisungsrechts. Auszug, Berlin 1925, S. 7; Maurer, Ostjuden in Deutschland (Anm. 2), S. 402-405. Vgl. für eine detailliertere Aufteilung der einzelnen Gliedstaaten auch Kobarg, Ausweisung und Abweisung (Anm. 14), S. 77. Siehe auch Reinecke, Grenzen der Freizügigkeit (Anm. 2); Steffen/Arendes, Geflüchtet, unerwünscht, abgeschoben (Anm. 2).

36 Isay, Fremdenrecht (Anm. 14), S. 97-100, S. 212; Kobarg, Ausweisung und Abweisung (Anm. 14), S. 67.

37 § 10 II 17 PrALR vom 1. Juni 1794.

38 Vgl. Isay, Fremdenrecht (Anm. 14), S. 214, und Heinze, Grundrechte (Anm. 16), S. 31.

39 Vgl. § 130 Abs. 3 Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung in Preußen vom 30. Juli 1883. Gegen die zugrundeliegenden Urteile gebundener Reichsverweisungen konnte hingegen vorgegangen werden. Vgl. Kobarg, Ausweisung und Abweisung (Anm. 14), S. 58-61; Isay, Fremdenrecht (Anm. 14), S. 243; Carsten Bäcker, Gerechtigkeit im Rechtsstaat. Das Bundesverfassungsgericht an der Grenze des Grundgesetzes, Tübingen 2015, S. 145.

40 Schreiben vom Badischen Minister des Innern, Adam Remmele, an die Bezirksämter und Polizeidirektionen zu Ausweisungen vom 18. Januar 1927, GLAK, 357 31.021.

41 Maurer, Ostjuden in Deutschland (Anm. 2), S. 397f.; Reinecke, Grenzen der Freizügigkeit (Anm. 2), S. 330f.

42 Reinecke, Grenzen der Freizügigkeit (Anm. 2), S. 330. Zahlen gerundet.

43 Maurer, Ostjuden in Deutschland (Anm. 2), S. 398.

44 Schreiben vom Badischen Ministerium des Innern an das Badische Staatsministerium vom 2. Juni 1922, GLAK, 233 23872.

45 Schreiben vom Badischen Ministerium des Innern an das Badische Staatsministerium vom 9. Oktober 1919, GLAK, 233 23872.

46 Moser, Versuch zu bleiben (Anm. 17).

47 Kauth, Polizeistaat (Anm. 2).

48 Badisches Gesetz das Aufenthaltsrecht betreffend vom 5. Mai 1870.

49 Ziekow, Freizügigkeit (Anm. 3), S. 291; Grimm, Souveräner Staat (Anm. 30), S. 100. Siehe auch Art. 110 und 111 Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (WRV).

50 Verordnung vom 12. Juni 1919, Badisches Gesetz- und Ordnungsblatt 1919, S. 363.

51 Reinecke, Grenzen der Freizügigkeit (Anm. 2), S. 340.

52 GLAK, 233 23872.

53 Helmut Erlanger, Interterritoriale Ausweisungen und Weimarer Reichsverfassung, Stuttgart 1932, S. 43-56.

54 Siehe z.B. Richard Thoma, Grundrechte und Polizeigewalt, in: Heinrich Triepel (Hg.), Festgabe zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, Berlin 1925, S. 183-223, hier S. 189. Und in Reaktion auf Erlanger: Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 14. Aufl. Berlin 1933 [1921], S. 536-538; Karl-Heinz Schlottner, Das Grundrecht der Freizügigkeit. Eine juristische Untersuchung, rechts- und staatswissenschaftliche Diss., Bonn 1933. Zur herrschenden Meinung siehe auch Kathrin Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik. Von der konstitutionellen Staatslehre zur Theorie des modernen demokratischen Verfassungsstaats, Tübingen 2010; Uwe Wesel, Recht, Unrecht und Gerechtigkeit. Von der Weimarer Republik bis heute, München 2003.

55 Erlanger, Interterritoriale Ausweisungen (Anm. 53), S. 45-48.

56 Bayerisches Gesetz zur Bekämpfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen vom 16. Juli 1926, und Rainer Hehemann, Die »Bekämpfung des Zigeunerunwesens« im Wilhelminischen Deutschland und in der Weimarer Republik, 1871–1933, Frankfurt a.M. 1987, S. 315f.

57 Ministerialentschließung zur Ausführung des Zigeuner- und Arbeitsscheuen-Gesetzes vom 16. Juli 1926 des Staatsministeriums des Innern, GVbl Bayern 17/1926, S. 361-372, hier S. 361.

58 Lucassen, Eternal Vagrants? (Anm. 18), S. 59.

59 Michael Zimmermann, Ausgrenzung, Ermordung, Ausgrenzung. Normalität und Exzeß in der polizeilichen Zigeunerverfolgung in Deutschland (1870–1980), in: Alf Lüdtke (Hg.), »Sicherheit« und »Wohlfahrt«. Polizei, Gesellschaft und Herrschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1992, S. 344-370, hier S. 344.

60 Leo Lucassen, »Harmful Tramps«. Police Professionalization and Gypsies in Germany, 1700–1945, in: ders./Willems/Cottar, Gypsies and Other Itinerant Groups (Anm. 18), S. 74-93, hier S. 86; Lucassen, Eternal Vagrants? (Anm. 18), S. 61.

61 Lucassen, »Harmful Tramps« (Anm. 60), S. 87.

62 OʼLeary/Lustick/Callaghy, Right-Sizing the State (Anm. 6).

63 Siehe Anna-Monika Lauter, Sicherheit und Reparationen. Die französische Öffentlichkeit, der Rhein und die Ruhr (1919–1923), Essen 2006.

64 Es gibt bislang keine Überblicksdarstellung zur Rheinlandbesatzung, jedoch einige Teilstudien, siehe z.B. Gertrude Cepl-Kaufmann/Dieter Breuer (Hg.), »Deutscher Rhein fremder Rosse Tränke?«. Symbolische Kämpfe um das Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg, Essen 2005, sowie Martin Schlemmer, Perspektiven einer Erforschung der Rheinlandbesetzung nach dem Ersten Weltkrieg. Forschungsstand, Quellen und neue Fragestellungen, in: Benedikt Neuwöhner/Georg Mölich/Maike Schmidt (Hg.), Die Besatzung des Rheinlandes 1918–1930. Alliierte Herrschaft und Alltagsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg, Bielefeld 2020, S. 167-203.

65 Siehe Sandra Maß, Weiße Helden – Schwarze Krieger. Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland 1918–1964, Köln 2006; Christian Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt.« Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (1914–1930), Stuttgart 2001.

66 Siehe z.B. die Fallbeschreibungen im Bestand Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA), Gesandtschaft Berlin 1778. Besten Dank an Emil W.R. Kauth für die Recherchen in diesem Archiv.

67 Martin Schlemmer, Die Rheinlandbesetzung (1918–1930), in: Internetportal Rheinische Geschichte, o.D. Helmut Gembries gibt an, dass 1923 allein in der Pfalz ca. 21.000 Menschen bzw. 2,5 Prozent der Bevölkerung ausgewiesen wurden. Siehe Helmut Gembries, Verwaltung und Politik in der besetzten Pfalz zur Zeit der Weimarer Republik, Kaiserslautern 1992, S. 210.

68 Siehe Henri Bréaud, La Régie des chemins de fer des territoires occupés 1923–1924 [Die Eisenbahnbehörde der besetzten Gebiete 1923–1924], Paris 1938, S. 110. Siehe auch das populärwissenschaftliche Buch von Klaus Kemp, Regiebahn. Reparationen, Besetzung, Ruhrkampf, Reichsbahn. Die Eisenbahnen im Rheinland und im Ruhrgebiet 1918–1930, Freiburg 2016. Wer mit diesen »Franzosenzügen« fuhr oder gar für die französische Regie arbeitete, wurde als Vaterlandsverräter gebrandmarkt. Siehe Stadtarchiv Mainz, NL 101: Kaufmännischer Verein.

69 Die Materialsammelstelle für die Besatzungsgeschichte der Stadt Mainz wurde vom späteren NSDAP-Mitglied Ernst Martin Schreiber angelegt, der diese Sammlung zu Propagandazwecken gegen die Rheinlandbesetzung aufbaute und nutzte; siehe Ernst Martin Schreiber, Kampf um den Rhein. Der Mittelrhein unter französischer Fremdherrschaft, Mainz 1940 (Zahlenangabe auf S. 164). Mainz eignet sich als Fallbetrachtung einerseits wegen seiner Größe und geographischen Lage unmittelbar am Rhein und als Knotenpunkt der Eisenbahn sowie andererseits aufgrund seiner historischen Bedeutung als vermeintlich frankophile Stadt, die bereits zur Revolutionszeit französisches Département »Mont Tonnerre« und somit Teil Frankreichs gewesen war.

70 Helmut Gembries, Rheinlandkommission, in: Historisches Lexikon Bayerns, 16.4.2007.

71 Siehe auch Martin Schlemmer, Los von Berlin! Die Rheinstaatsbestrebungen nach dem Ersten Weltkrieg, Köln 2007.

72 Stadtarchiv Mainz, NL Schreiber 95. Stand der Rücknahme der Ausweisungen am 24. Juli 1924.

73 Siehe z.B. Stadtarchiv Mainz, NL Schreiber 79. Erlebnisbericht von Lehrer Rochelmeyer, S. 1.

74 Stadtarchiv Mainz, 71/206. Einzelne Ausweisungen (Ku). Beratungs-Protokoll der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Mainz, Sitzung vom 27ten Januar 1923, Betreffend: Ausweisung des Herrn OB Dr. Külb und städtischer Beamter.

75 Ebd.

76 Stadtarchiv Mainz, 71/206. Einzelne Ausweisungen (Ku). HCITR, Province de Hesse Rhénane, Mayence, le 25 Janvier 1923, Note. Die konsultierten Akten zeigen keinen Fall, bei dem gegen die Ausweisung Widerstand geleistet wurde.

77 Siehe einzelne Protestbriefe in BayHStA, Gesandschaft Berlin 1778, sowie Stadtarchiv Mainz, 71/183. Niederschrift der Besprechung am 11.5.1923 zwischen dem Beigeordneten Dr. Ehrhard und Capitaine Mazet (Hohe Interalliierte Kommission) über die Handhabung von Ausweisungen. Außerdem Stadtarchiv Mainz, 71/206. Einzelne Ausweisungen (Ku). Fall Kühn, Mainz, den 9. Mai 1923.

78 Stadtarchiv Mainz, 71/198. Einzelne Ausweisungen (Hi). Brief an die Feststellungsbehörde z.Hd. der Provinzialdirektion durch den Herrn OB der Stadt Mainz, 22.11.1924.

79 Die aus dem Rheinland ausgewiesenen Beamt*innen wurden auch »Vertriebene« genannt; siehe Schreiber, Kampf um den Rhein (Anm. 69), S. 165.

80 Stadtarchiv Mainz, 71/175. Abwehrkampf der Deutschen (Gen.). Deutscher Städtetag, der Vorstand, Berlin, den 17. Februar 1923, An die Stadtverwaltung zu Mainz.

81 Stadtarchiv Mainz, 71/206. Einzelne Ausweisungen (Ku). Neue Mannheimer Zeitung, No. 442, 23.9.1924, und Stadtarchiv Mainz, 71/175. Abwehrkampf der Deutschen (Gen.). Kommissar des Reichskanzlers für die Ruhrabwehr, Reichminister des Innern an den Herrn Staatssekretär in der Reichskanzlei Berlin, den 19. Juni 1923, Betreff: Gedenkmünzen usw. für das Ruhrgebiet.

82 Stadtarchiv Mainz, 71/175. Abwehrkampf der Deutschen (Gen.). Reichsbahndirektion Mainz z.Zt. Darmstadt, den 14. Oktober 1923. An alle im besetzten Gebiet des Direktionsbezirks anwesende Beamte, Angestellte und Arbeiter der z.Zt. nicht im Betrieb der deutschen Verwaltung befindlichen Bahnstrecken.

83 Siehe z.B. Stadtarchiv Mainz, 71/206. Einzelne Ausweisungen (Ku).

84 Stadtarchiv Mainz, NL Oppenheim 43. Rede des Reichsaußenministers Dr. Curtius in Mainz bei der Befreiungsfeier in der Stadthalle in Mainz, 1930.

85 Stadtarchiv Mainz, NL Schreiber 109.

86 NSDAP-Gaukartei, Bundesarchiv (BArch), R 9361-IX KARTEI / 39510436, und Stadtarchiv Mainz, NL Schreiber 79.

87 Ernst Martin Schreiber, Zehn Jahre Fremdherrschaft am deutschen Rhein. Französische Ausweisungspolitik am Rhein, Berlin 1925; ders., Französische Ausweisungspolitik am Rhein und die Nordfrankenlegion. Zwei Beiträge zur Geschichte der französischen Herrschaft am Rhein im Zeitalter der Revolution, Berlin 1929.

88 Schreiber, Französische Ausweisungspolitik (Anm. 87), S. 10.

89 Pünktlich zum Frankreichfeldzug erschien eine Neuauflage von Schreiber, Kampf um den Rhein (Anm. 69).

90 Stadtarchiv Mainz, NL Schreiber 109. Bericht von Alfred Freitag an die Materialsammelstelle für die Besatzungsgeschichte der Stadt Mainz, z.Hd. Herrn Dr. Schreiber, S. 10, o.D.

91 Stadtarchiv Mainz, NL Schreiber 110; zit. in Tageszeitung Mainz, 19.2.1933. Der Artikel mit der Überschrift »Unverschämte Heuchler« ruft in der Folge zur Abrechnung mit den Zentrumspolitikern auf.

92 Vigneswaran/Quirk, Mobility Makes States (Anm. 4), S. 3.

93 Ebd., S. 23.

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