Ist Bleiberecht Menschenrecht?

Abschiebungen, Menschenrechte und Freizügigkeit in historischer Perspektive

  1. Staatsbürgerschaft als Mittel der Inklusion und Exklusion
  2. Durchsetzung des Bleiberechts
  3. Bleiberecht und Freizügigkeit
  4. Freizügigkeit und ihre Konsequenzen

Anmerkungen

»Es gibt ein Menschenrecht auf Bleiberecht!«, verkündete Sevim Dağdelen, damals Bundestagsabgeordnete für Die Linke, im März 2006.1 Dabei bezog sie sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall »Sisojeva u.a. gegen Lettland« vom Juni 2005.2 Es ging dabei um das Ehepaar Svetlana Sisojeva und Arkady Sisojev, die zur Zeit der Sowjetunion Ende der 1960er-Jahre nach Lettland gekommen waren und dort auch eine Tochter bekommen hatten. Ihr Aufenthaltsstatus blieb nach der Unabhängigkeit des baltischen Staates 1991 ungeklärt, da Lettland die Annexion des schon in der Zwischenkriegszeit unabhängigen Landes durch die Sowjetunion 1940 bzw. 1944 nicht anerkannte und die zur Sowjetzeit ins Land gekommenen Personen daher als Ausländer bzw. Staatenlose betrachtete, die gegebenenfalls das Land zu verlassen hätten.3 Aus einer Binnenmigration wurde somit quasi rückwirkend eine internationale Migration. In ihrer Beschwerde beim EGMR machte die Familie geltend, dass der lettische Staat durch seine Weigerung, ihren Aufenthaltsstatus zu regeln, ihr Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK) verletze. Der EGMR schloss sich mehrheitlich dieser Auffassung an, woraus die Bundestagsabgeordnete Dağdelen folgerte: »Es gibt – unter bestimmten Bedingungen – ein Menschenrecht auf Bleiberecht, das der ausländerrechtlichen Allmacht der Nationalstaaten Grenzen setzt. Dieses Recht steht auch nicht im ›humanitären Ermessen‹ der Behörden. Es gilt absolut!«

Welche »bestimmten Bedingungen« waren das? Zentral ging es darum, dass die Eheleute »im Aufenthaltsstaat über intensive persönliche und familiäre Bindungen« verfügten, weswegen ihr unklarer Status, einschließlich zwischenzeitlich ergangener Aufforderungen zur Ausreise, einen Eingriff in ihr Privatleben darstelle.4 Allerdings insistierte der Gerichtshof auch, »dass die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat garantiert und sie auch kein ausdrückliches Verbot der Ausweisung von Ausländern und Staatenlosen enthält«.5

Das – vermeintliche – Menschenrecht auf Bleiben und den damit einhergehenden Schutz vor Abschiebung möchte ich im Zusammenhang mit einem allgemeineren Freizügigkeitsrecht diskutieren, welches, so der Gerichtshof, nicht existiere. Ein solches umfassendes Recht auf Bewegungsfreiheit würde sich aus drei Elementen zusammensetzen: einem Recht auf Ausreise, einem Recht auf Einreise und einem Bleiberecht – oder, anders gesagt, »der Freiheit eines jeden Menschen, zu kommen, zu bleiben, zu gehen« (la liberté à tout homme d’aller, de rester, de partir), wie es die französische Nationalversammlung 1791 formulierte.6

Ein derartiges bedingungsloses Freizügigkeitsrecht gibt es in der Tat nicht, ebenso wenig wie ein universelles Bleiberecht. Lediglich das Recht auf Ausreise (und Rückkehr) ist in Artikel 13 (2) der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 festgeschrieben. Andere menschenrechtliche Normen, etwa das Recht auf Privat- und Familienleben, können aber Effekte entwickeln, die ein Mehr an Freizügigkeit produzieren. Familienzusammenführung kann beispielsweise ein »Schlupfloch« darstellen, um restriktive Einreisebedingungen (im Falle illiberaler Emigrationsregime auch Ausreisebedingungen) zu umgehen.7 Der Fall Sisojeva u.a. zeigt, dass das Recht auf Achtung des Familienlebens Schutz vor Ausweisung bzw. Abschiebung und somit auch ein Bleiberecht erzeugen kann. Wie über diesen Einzelfall hinaus verschiedene (Menschen-)Rechte ein Bleiberecht hervorbringen können, wie dieses Bleiberecht ein Mehr an Freizügigkeit schafft, aber auch welche Konsequenzen ein umfassendes Freizügigkeitsregime haben kann, ist Thema des vorliegenden Essays.

1. Staatsbürgerschaft als Mittel der Inklusion und Exklusion

Der Aufenthalt in einem bestimmten Territorium ist grundsätzlich kein Menschenrecht, sondern ein Staatsbürgerrecht. Bleiberecht, Abschiebung und Staatsbürgerschaft sind somit historisch eng verbunden. Vor der Konsolidierung der nationalen Staatsbürgerschaft in Westeuropa und dem nordatlantischen Raum im 19. Jahrhundert konnten allerdings auch Angehörige des eigenen Staates verbannt oder deportiert werden – beispielsweise straffällige Untertanen der britischen Krone in Strafkolonien wie Australien, um ein bekanntes Beispiel zu nennen.8 Es gehört zu den geschichtlichen Charakteristika des Instruments der Abschiebung, dass es zunehmend nur Ausländer oder Staatenlose betraf, nicht mehr eigene Staatsbürger – zumindest nicht in liberalen Staaten.9

Doch selbst Diktaturen sahen sich insoweit an die Institution der Staatsbürgerschaft gebunden, dass sie zum Mittel der Ausbürgerung griffen, um unliebsame Staatsbürger mit juristischer Absicherung loszuwerden. Der NS-Staat erließ schon im Juli 1933 ein »Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft«, das sich insbesondere gegen »Ostjuden« richtete, die während der liberalen Phase der Weimarer Republik eingebürgert worden waren.10 Durch die »11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz« vom 25. November 1941 verloren deutsche Juden »mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland« automatisch ihre deutsche Staatsangehörigkeit. Dies geschah vor dem Hintergrund der bereits stattfindenden Massendeportationen nach Osten – durch die Ausbürgerung ließ sich die Ausplünderung der Deportierten legalisieren.11 Staatssozialistische Diktaturen wie die Sowjetunion und die DDR wiederum bürgerten Dissidenten wie Aleksandr Solženicyn und Wolf Biermann aus, um sie (im Falle Solženicyns) direkt abzuschieben oder (im Falle Biermanns) an der Rückkehr zu hindern, was einer faktischen Abschiebung gleichkam.

In dem Maße, wie eigene Staatsbürger zunehmend vor Abschiebung geschützt waren, wurde die Position von Ausländern prekärer. Inklusion und Exklusion gingen hier Hand in Hand. In Westeuropa hatten Ausländer bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts praktisch keine rechtlichen Garantien gegen Abschiebung. Dabei gab es zwar gewisse Unterschiede zwischen liberalen und autoritären Staaten, doch kam es durch die Nationalisierung der Staatsbürgerschaft zu stärkeren Konvergenzen.12

Das deutsche Beispiel zeigt wiederum, dass auch über politische Zäsuren hinweg starke Kontinuitäten in der Abschiebepraxis gegenüber Ausländern existierten.13 Weder im Kaiserreich noch in der Weimarer Republik war der Aufenthalt von Ausländern grundsätzlich geschützt. Die begrenzten individuellen Rechte, die sie in der Weimarer Republik genossen, wurden vom NS-Regime dann mit der Ausländerpolizeiverordnung (APVO) von 1938 kassiert. Laut § 1 wurde der Aufenthalt im Reichsgebiet nur »Ausländern erlaubt, die nach ihrer Persönlichkeit und dem Zweck ihres Aufenthalts im Reichsgebiet die Gewähr dafür bieten, daß sie der ihnen gewährten Gastfreundschaft würdig sind«.14 Wer diesem schwammigen Kriterium nicht entsprach, konnte abgeschoben werden – so etwa die ca. 17.000 polnischen Juden, die im Zuge der sogenannten »Polenaktion« im Herbst 1938 des Landes verwiesen wurden.15

Die APVO ist zugleich ein Beispiel für rechtliche Kontinuität, da sie 1951 in der Bundesrepublik offiziell wiedereingesetzt wurde. Im westdeutschen Verfassungsstaat wurde ihre eindeutig illiberale Ausrichtung jedoch durch die konstitutionellen Garantien des Grundgesetzes (GG) relativiert – etwa die Rechtsweggarantie in Art. 19 Abs. 4 GG, ebenso wie das in Art. 16 (heute Art. 16a) GG festgeschriebene Grundrecht auf Asyl, das anerkannten politischen Flüchtlingen den Aufenthalt garantiert.16 Weiterhin verpflichtete sich die Bundesrepublik beispielsweise durch Ratifizierung der eingangs erwähnten Europäischen Menschenrechtskonvention (1952) zur Anerkennung menschenrechtlicher Normen, die ein Bleiberecht begründen konnten, ohne selber ein solches direkt zu artikulieren – so das Recht auf Achtung des Familienlebens.

2. Durchsetzung des Bleiberechts

Wie können Betroffene derartige Rechte aktivieren? Vor allem die sozialwissenschaftliche Forschung zum Thema Abschiebungen, aber auch die in gewissem Umfang vorhandene historische Forschung beschäftigt sich häufig mit zivilgesellschaftlichem Protest gegen Abschiebungen, wie er gerade seit den 1980er-Jahren verstärkt stattfand und -findet.17 Dabei geht es um die moralische Durchsetzung oder Herstellung von Bleiberecht in einem politischen Feld, in dem viel von der Exekutive nach Ermessen entschieden wird – und das deshalb empfänglich ist für öffentlichen Druck. Menschenrechtliche Normen haben zudem nicht zwingend eine direkte innerstaatliche Bindewirkung. Sie können aber einen diskursiven Rahmen schaffen, auf den migrationswillige Menschen sich in Auseinandersetzung mit der Staatsgewalt beziehen können, wie etwa Forschungen zum Kampf um Ausreise aus der DDR oder der Sowjetunion nach der KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 gezeigt haben.18 Selbst in diesen diktatorisch verfassten Regimen boten die dort ratifizierten Menschenrechte einen Hebel, um ein nach der nationalen Rechtsordnung nicht existentes Recht – in diesem Fall auf Ausreise – einzufordern.

In demokratischen Systemen hingegen gab und gibt es den Rechtsweg, der, wie oben erwähnt, in der Bundesrepublik ab 1949 auch Ausländern offenstand, um ihre Rechte einzuklagen. Anders als es eine vor allem auf zivilgesellschaftliche und migrantische Kämpfe orientierte Perspektive nahelegen mag, wird das Bleiberecht nicht zuletzt vor Gericht eingefordert und durchgesetzt. Allerdings, und da treffen die verschiedenen »aktivistischen« und »legalistischen« Perspektiven aufeinander: Um den Rechtsweg überhaupt beschreiten zu können, braucht es Unterstützung.

Kundgebung in Düsseldorf für das Bleiberecht von Roma, 19. Juli 1991. Die prominenten Unterstützer im Vordergrund sind Tommy Engel, Sänger der »Bläck Fööss«, die Publizisten Günter Wallraff und Ralph Giordano, BAP-Sänger Wolfgang Niedecken sowie Hedwig Neven DuMont, Ehefrau des Verlegers Alfred Neven DuMont. Eine Roma-Gruppe mit Plakaten bleibt im Hintergrund. (picture-alliance/Fotoreport-DB)
Kundgebung in Düsseldorf für das Bleiberecht von Roma, 19. Juli 1991.
Die prominenten Unterstützer im Vordergrund sind Tommy Engel,
Sänger der »Bläck Fööss«, die Publizisten Günter Wallraff und Ralph Giordano,
BAP-Sänger Wolfgang Niedecken sowie Hedwig Neven DuMont,
Ehefrau des Verlegers Alfred Neven DuMont.
Eine Roma-Gruppe mit Plakaten bleibt im Hintergrund.
(picture-alliance/Fotoreport-DB)

Dieser Rückhalt kann zivilgesellschaftlich sein, wie ich in der Fallstudie zu einer griechischen Familie aus den 1960er-Jahren zeigen konnte.19 Eine aus Griechenland stammende, in der Bundesrepublik lebende Frau klagte gegen ihre Abschiebung, die ihr angedroht wurde, weil ihre Kinder chronisch krank waren und somit als potentielle Last für den deutschen Sozialstaat galten – ein Abschiebungsgrund gemäß § 10 Abs. 10 des Ausländergesetzes von 1965, das die Ausweisung eines Ausländers ermöglichte, wenn er »den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfe bestreiten kann oder bestreitet«.20 In ihrer Auseinandersetzung mit den zuständigen Behörden – zunächst der Ausländerbehörde und in der nächsten Instanz dem Regierungspräsidium – erhielt die Familie Hilfe von der Diakonie, die institutionell für die Unterstützung griechischer Migranten in der Bundesrepublik verantwortlich war und die Familie auch – erfolgreich – vor dem Verwaltungsgericht vertrat.21 Die Unterstützung kann zudem konsularisch sein, wie im Fall einer jugoslawischen Mutter, die in den 1970er-Jahren in West-Berlin von der Abschiebung bedroht war. Hier intervenierte die jugoslawische Militärmission zu ihren Gunsten, was letztlich ihren Verbleib sicherte.22

In beiden Fällen ist markant, dass die zivilgesellschaftlichen und konsularischen Unterstützer jeweils besser über die Rechtsnormen informiert waren, aus denen sich ein Bleiberecht begründen konnte, als die Behörden, die die Abschiebung angeordnet hatten. Im Fall der griechischen Familie waren dies konstitutionelle und menschenrechtliche Normen wie auch in bilateralen und multilateralen Verträgen festgelegte Regeln. Konkret ging es um Art. 6 GG (»Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung«), Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) sowie bestimmte Regelungen des deutsch-griechischen Anwerbeabkommens, des Europäischen Niederlassungsabkommens und der Europäischen Sozialcharta. Die verantwortlichen Behörden hatten all diese Bestimmungen, aus denen sich ein Bleiberecht ableiten konnte, ignoriert und hatten nichts entgegenzusetzen, als der Vertreter die Diakonie sie vor Gericht ins Feld führte. Im Fall der jugoslawischen Mutter wies die Militärmission auf das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen hin, woraufhin der Innensenator beim Senator für Arbeit und Soziales erstaunt nachfragte, ob es ein solches Abkommen wirklich gebe. Die Abschiebung war hier also offenkundig in dramatischer Unkenntnis – in anderen Fällen vielleicht auch unter bewusstem Ignorieren – der Rechtslage angeordnet worden und hatte, sobald sie angefochten wurde, keinen Bestand. Umgekehrt gilt aber eben auch: Hätten sich die betroffenen Frauen in ihr Schicksal gefügt und dem Ausweisungsbescheid Folge geleistet (oder wären sie gar abgeschoben worden), dann hätten sie von ihrem vorhandenen Bleiberecht nie erfahren. Die Existenz von Rechtsnormen stellt also noch kein Recht sicher. Man muss von ihnen auch Kenntnis haben und sie einfordern.

Diese Normen formulierten außerdem nicht direkt ein Bleiberecht, konnten aber herangezogen werden, um eines zu begründen – in Abwesenheit eines universellen »right to stay« ist dies in der Regel der Weg, auf dem der exekutiven Abschiebemacht des Staates rechtliche Grenzen gesetzt werden. Ein neueres Beispiel ist der »Fall Tina«: Tina, ein 2008 in Österreich geborenes und aufgewachsenes Mädchen georgischer Herkunft, war am 28. Januar 2021 – mitten im Covid-Lockdown – in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in Verantwortung des damaligen Innenministers und jetzigen Bundeskanzlers Karl Nehammer (ÖVP) nach Georgien abgeschoben worden. Gesellschaftliche Proteste blieben damals ohne Wirkung. Der Rechtsweg war aber erfolgreich: Der Verwaltungsgerichtshof erklärte die Abschiebungsentscheidung letztlich für rechtswidrig, weil das Kindeswohl nicht ausreichend gewürdigt worden sei.23

Im rechtsstaatlichen Rahmen wird Bleiberecht also in konkreten Fällen erzeugt, indem bestimmte Rechtsnormen aus nationalem, internationalem oder supranationalem Recht in soziale Realität übersetzt werden. Dabei kommt es auf die Agency ganz unterschiedlicher Akteure an, im Rechtssystem und in der Zivilgesellschaft – und nicht zuletzt der Migranten als Individuen. Überrestriktive exekutive Entscheidungen wurden und werden so immer wieder eingehegt – bis hin zu dem Punkt, dass ein politischer Hardliner wie der CSU-Politiker Alexander Dobrindt im Jahr 2018 eine »aggressive Anti-Abschiebe-Industrie« am Werk sah, die exzessiven Gebrauch von Klagemöglichkeiten mache und so »die Bemühungen des Rechtsstaates sabotier[e]«.24

Infolge der deutschen Einheit stellte sich die Frage nach dem Bleiberecht ehemaliger Vertrags­arbeiter:innen, die etwa aus Vietnam in die DDR gekommen waren. Das Foto entstand Ende 1995 bei einer Demonstration in Erfurt, die anlässlich der dortigen Innenministerkonferenz von der evange- lischen Kirche, dem Ausländer- und Flüchtlingsrat Thüringen sowie Bündnis 90/Die Grünen organisiert wurde. Erst 1997 einigten sich die Innenminister der Länder über permanente Aufenthaltsrechte für ehemalige Vertragsarbeiter:innen, verbunden mit Möglichkeiten zum Familiennachzug. (picture-alliance/ZB/Ralf Hirschberger)
Infolge der deutschen Einheit stellte sich die Frage nach dem Bleiberecht ehemaliger Vertrags­arbeiter:innen, die etwa aus Vietnam in die DDR gekommen waren.
Das Foto entstand Ende 1995 bei einer Demonstration in Erfurt,
die anlässlich der dortigen Innenministerkonferenz von der evangelischen Kirche,
dem Ausländer- und Flüchtlingsrat Thüringen sowie Bündnis 90/Die Grünen
organisiert wurde. Erst 1997 einigten sich die Innenminister der Länder über permanente Aufenthaltsrechte für ehemalige Vertragsarbeiter:innen,
verbunden mit Möglichkeiten zum Familiennachzug.
(picture-alliance/ZB/Ralf Hirschberger)

3. Bleiberecht und Freizügigkeit

Kehren wir nun zu der übergreifenden Perspektive eines umfassenden Freizügigkeitsrechts zurück, so können wir festhalten, dass die verschiedenen Komponenten eines solchen – theoretischen – Rechts auf unterschiedliche Weise produziert werden können. Von den drei Komponenten – Recht auf Ausreise, Recht auf Einreise und Recht zu bleiben – ist nur das Recht auf Emigration international gegeben und wird in den meisten Ländern respektiert, wobei liberale Staaten seine Einschränkung gern outsourcen. Dies geschah etwa beim EU-Türkei-Deal von 2016 oder beim aktuellen »Migrationsabkommen« mit Tunesien, wo jeweils die Transitstaaten in die Pflicht genommen wurden, die Weiterreise von Migranten nach Europa zu blockieren – was faktisch auf die Verhinderung der menschenrechtlich garantierten Ausreise hinausläuft. Anstatt selber gewaltsam Migranten an der Einwanderung zu hindern, was eigenen Grundsätzen widersprechen und fatale Bilder erzeugen würde, bezahlt man lieber (semi-)autoritäre Staaten dafür, dass sie Migranten (auch) gewaltsam daran hindern, nach Europa zu gelangen. In der Realität koexistieren beide Abwehrmechanismen freilich – etwa bei »Pushbacks« an der kroatisch-bosnischen Grenze oder bei den wiederkehrenden Bootskatastrophen im Mittelmeer, die eine direkte Folge der europäischen Abwehrpolitik und mangelnder legaler Zugangswege sind.25

Ein Recht auf Einreise bzw. Einwanderung gibt es nicht unmittelbar, doch kann es vor allem unter Bezug auf zwei andere Rechte erzeugt werden: zum einen durch das Recht auf Asyl, bei dessen Anrufung einem Menschen zumindest theoretisch der Zugang zum Land nicht verweigert werden darf und der Verbleib so lange gesichert sein muss, wie das Anerkennungsverfahren läuft; zum anderen, wie erwähnt, durch das Recht auf Achtung des Familienlebens, das in Form von – stets umkämpften – Regelungen der Familienzusammenführung bzw. des Familiennachzugs immer wieder legale »Schlupflöcher« für Migration eröffnet.

Das Bleiberecht kann nun auch aus solchen Normen hergeleitet werden. Da eine Abschiebung während eines laufenden Asylverfahrens grundsätzlich nicht zulässig ist, produziert das Recht auf Asyl mindestens ein zeitlich begrenztes Bleiberecht, aus dem dann ein verfestigter Aufenthaltsstatus hervorgehen kann. Vollzogene Prozesse sozialer Integration können eine Abschiebung unbotmäßig erscheinen lassen. In dem Maße, wie solche Rechte nicht nur Staatsbürgerrechte, sondern national oder international einklagbare Menschenrechte sind, können sie Individuen einen dauerhaften legalen Aufenthalt ermöglichen, den diese sonst nur schwer erreichen könnten.

Für das Zusammenspiel der verschiedenen Rechte bietet erneut der »Fall Tina« Anschauungsmaterial: Tinas Mutter hatte über einen Asylantrag die Einreise nach Österreich erreicht und sich dort dann mehrfach der Abschiebung entzogen. Aus Gründen des Kindeswohls hätte ihre im Land geborene Tochter niemals abgeschoben werden dürfen – und nunmehr ergibt sich aus der höchstrichterlichen Feststellung von Tinas Bleiberecht das Bleiberecht der ganzen Familie. Genau aus diesem Grund wehrte sich das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch bis zuletzt gegen diese Entscheidung, verbunden mit der Einschätzung, »dass auf Basis derartiger Urteile durch rechtswidriges Verhalten ein Bleiberecht erzwungen werden könne«.26 Und auch wenn »die Entscheidung zwar keine grundsätzliche Vorgabe für die künftige Rechtsprechung« sei, wie Tinas Anwalt einräumte, so ist diese Einschätzung des Bundesamts vom Prinzip her nicht falsch: Je länger ein Aufenthalt dauert, je stärker die soziale Verwurzelung eines Individuums oder einer ganzen Familie voranschreitet, desto mehr Gründe gibt es, auf ein Bleiberecht zu befinden. Und selbst wenn dies jeweils nur im Einzelfall zutreffen mag, so verdichten sich viele solche Einzelfälle in nationalen und europäischen Rechtskontexten auf die Dauer zu einem »Bleiberecht als Grundfreiheit«.27 Dies löst auch den vermeintlichen Widerspruch auf, den Teile der Literatur zu Anti-Abschiebe-Protesten identifizieren – zwischen dem Kampf für das Bleiberecht von Individuen und einem allgemeineren »Recht auf Migration«.28 Das Mosaik eines solchen Menschenrechts auf Freizügigkeit in statu nascendi setzt sich aus vielen einzelnen »Steinen« zusammen.

Zugleich gibt es aber auch ein Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz vor Abschiebung und der resultierenden Stärkung des Bleiberechts einerseits sowie dem logisch vorgeschalteten Recht auf Einreise andererseits. Abschiebungen sind für Staaten eine Art »Sicherheitsventil« gegen die – vermeintlichen – Risiken eines liberalen Einreiseregimes: Man lässt Personen, die nicht qua Staatsbürgerschaft zur eigenen Gemeinschaft gehören, nur dann hinein, wenn man davon ausgeht, sie gegebenenfalls auch wieder loswerden zu können.29 Je stärker ihr Schutz nach der Einreise, desto geringer die Bereitschaft, den Grenzübertritt zu erlauben. Von der Logik her entspricht das den Arbeitgeberargumenten gegen Kündigungsschutz als »Jobkiller«. In diesem Fall wäre es der verstärkte Schutz vor Abschiebung – so der französische Historiker Paul-André Rosental –, der die Europäische Union dazu motiviert, die »Festung Europa« immer weiter auszubauen und Migranten möglichst weit weg von EU-Territorium zu halten, in das sie sich perspektivisch einklagen könnten.30 In diesem Sinne schützen Rechtsgarantien gegen Abschiebung diejenigen, die schon drinnen sind, erschweren aber den Zugang für diejenigen, die noch draußen sind. Eine solche Spannung zwischen dem Recht auf Einreise und dem Bleiberecht lässt sich prinzipiell nur in einem umfassenden Freizügigkeitsregime aufheben, in dem diese Rechte als Rechte (und nicht abgeleitet aus anderen Rechten) jeder einzelnen Person als Person (bzw. als Bürger) zustehen. Aber selbst dann sind Migrationsprozesse nicht spannungsfrei, vor allem sobald wohlfahrtsstaatliche Ansprüche ins Spiel kommen.

4. Freizügigkeit und ihre Konsequenzen

Lassen sich diese Spannungen lösen? Eine radikale Antwort vieler sozialer Bewegungen und von manchen Teilen der Forschung lautet: »No Border!« – weg mit den Grenzen. Eine solche Lösung setzt nichts weniger als eine komplette Umwälzung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse voraus, eine Abkehr von Nationalstaat und Kapitalismus und die Hinwendung zu Global Commons, einer globalen Allmende.31 Andere halten es statt mit keinen Grenzen mit »Offenen Grenzen für alle«, die der Politikwissenschaftler Volker M. Heins als »notwendige Utopie« bezeichnet hat – notwendig, »weil die Welt so, wie sie im Moment aussieht, nicht akzeptabel ist« und »nur offenere Grenzen […] das massenhafte Leid abwenden, das die Grenzregimes der Gegenwart produzieren«.32 Dieses Argument für »Open Borders« wurde prominent schon in den 1980er-Jahren von dem politischen Theoretiker Joseph Carens formuliert und ist grundsätzlich ein ethisch-moralisches: Bewegungsfreiheit ist hier eine persönliche Grundfreiheit, die Basis für die Inanspruchnahme vieler anderer Freiheiten, und ihre Einschränkung muss daher, wie jede Freiheitsbeschränkung, moralisch begründet und gerecht sein.33 Entsprechend sei nicht die Öffnung, sondern die Schließung von Grenzen begründungsbedürftig (wenn auch, anders als bei »No Border«-Argumenten, nicht deren Existenz als solche). Und diese Begründung falle schwer, da Freizügigkeit auch die Grundlage für Chancengleichheit sei – eine fundamentale Eigenschaft post-feudaler Gesellschaften, in denen alle Menschen den gleichen Wert und die gleiche Würde hätten.34

Gegen diese ethischen Argumente ist prinzipiell wenig einzuwenden. Mit dem Anspruch allgemeiner Gleichheit ist es tatsächlich unvereinbar, in einer ökonomisch extrem ungleichen Welt durch Migrationsrestriktionen einen Großteil der Menschheit von Partizipationschancen auszuschließen. Ob aber die komplette Öffnung von Grenzen unter diesen Bedingungen neben größerer individueller Chancengleichheit (die angesichts unterschiedlicher individueller Ressourcen wiederum relativ ist) insgesamt zu mehr Gerechtigkeit führen würde, erscheint allerdings fraglich.

Dieser Punkt wird noch deutlicher, wenn man in der Debatte zu den Konsequenzen offener Grenzen den Blick über die reichen Aufnahmeländer des Globalen Nordens hinaus richtet. »Wir können doch nicht alle bei uns aufnehmen« – dieses Argument gegen offene Grenzen oder ein »zu großzügiges« Asylrecht ist bekannt. Ihm liegt die Annahme zugrunde, dass »zu viel« Zuwanderung den Wohlstand im Aufnahmeland bedrohen würde. Die Konsequenzen für die Herkunftsländer der Emigranten bleiben in dieser Perspektive aber meistens außen vor und erhalten auch in der Forschung noch wenig Aufmerksamkeit.35

Das klassische Stichwort in diesem Zusammenhang lautet »Brain Drain«. Durch Emigration, so die Annahme, wandern die viel zitierten »besten Köpfe« aus peripheren Staaten in die wirtschaftlichen Zentren ab, wo sie ihre Chancen verbessern können – zu Lasten ihrer Herkunftsländer, in denen sie dann fehlen. Individuelle Chancen von Migranten stehen hier vermeintlich im Widerspruch zur kollektiven Wohlfahrt der Gesellschaften, aus denen sie kommen. In den 1970er-Jahren schlug der indisch-amerikanische Ökonom Jagdish Bhagwati sogar eine gesonderte Besteuerung der Einkommen von Emigranten in reichen Ländern vor, die dann mithilfe der Vereinten Nationen zur Entwicklung der Herkunftsländer beitragen sollte.36 Eine solche globale Emigrationssteuer wurde allerdings schon damals kritisiert und bisher niemals umgesetzt – vielleicht auch deshalb nicht, weil durch die informelle Praxis von migrantischen Remittances ein solcher Finanztransfer ohnehin stattfindet.37

Die Frage bleibt aber, ob Migration Ungleichheiten zwischen Staaten verringert oder unter Umständen sogar verschärft, da sie ärmeren Staaten – um es ökonomisch auszudrücken – Humankapital entzieht, von dem dann reichere Staaten profitieren. Europa seit 1990 bietet hierfür Anschauungsmaterial, dessen Interpretation freilich nicht eindeutig ist. Sicher ist, dass seit der Öffnung des »Eisernen Vorhangs« eine massive Ost-West-Migration stattgefunden hat, die zu einem enormen Bevölkerungsrückgang in einer Reihe ostmittel-, ost- und südosteuropäischer Staaten beigetragen hat. So ist laut Daten der Weltbank die Bevölkerung Rumäniens von 23,2 Millionen Menschen im Jahr 1990 auf 18,9 Millionen im Jahr 2022 zurückgegangen, ein Bevölkerungsverlust von etwa 19 Prozent.38 Der Migrationssaldo war in allen diesen Jahren negativ – während der 2000er-Jahre verlor das Land beständig über 100.000 Menschen pro Jahr.39 Prozentual noch stärker ist der Rückgang in Bulgarien (8,7 auf 6,4 Millionen Menschen, gut 26 Prozent der Bevölkerung) und in den baltischen Staaten Lettland (2,6 auf 1,9 Millionen, ca. 27 Prozent) und Litauen (3,7 auf 2,8 Millionen, ca. 25 Prozent).40 Fast alle ehemals sozialistischen Staaten haben seit dem Ende des Kommunismus Bevölkerung verloren.41 Dies gilt auch für die ehemalige DDR – von der Wiedervereinigung 1990 bis zum Jahr 2022 ging hier die Bevölkerung um 15 Prozent zurück.42

Migration ist hierfür nicht die einzige, aber in vielen Ländern der Region die wichtigste Ursache. Eine Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften von 2018 kam zu dem klaren Ergebnis: »While fertility rates in Eastern Europe have now reached similar levels as in Western European countries, the migration of people has divided the continent into two parts – and thus also determines the divide in population trends between these two parts of the continent.«43 Migration vertieft in diesem Fall also kontinentale Ungleichheiten, und zwar langfristig.44

Interessanterweise scheint der Beitritt zum EU-Freizügigkeitsraum hierbei aber gar nicht unbedingt entscheidend zu sein. Rumänien und Bulgarien gehören erst seit der Aufhebung der Übergangsfristen in einigen der wichtigsten Zuwanderungsländer in Nordwesteuropa (darunter Großbritannien, Frankreich und Deutschland) Anfang 2014 vollständig dazu; die größten Bevölkerungsverluste gab es laut Weltbankdaten jedoch schon vorher, und seitdem sinken die jährlichen Netto-Migrationsverluste.45 Das gleiche war in Lettland und Litauen nach dem EU-Beitritt von 2004 zu beobachten.46 Und ein Land wie die Ukraine, das der EU zu keinem Zeitpunkt angehörte, verlor bereits vor dem russischen Angriffskrieg über acht Millionen Einwohner seit 1990.47 Postsozialistische Emigrationsfreiheit gepaart mit selektiver Offenheit westlicher Staaten ermöglichte eine solche massive Abwanderung.

Die Bilanz der europäischen Migrationserfahrung seit 1989/90, einschließlich des kontinentalen Freizügigkeitsexperiments, ist also uneindeutig. Abwanderung war schon vor der EU-Osterweiterung ein Thema und ist es nach wie vor. Trotz der sinkenden Netto-Migrationsverluste in den meisten Ländern hat sich die migrationsbedingte Spaltung des Kontinents vertieft. Die damit einhergehenden demographischen Veränderungen, etwa ein drastisch gestiegenes Durchschnittsalter der Bevölkerung durch Abwanderung jüngerer Menschen, bringen soziale Verwerfungen mit sich, deren Konsequenzen etwa für Wohlfahrtsstaat und Renten erst im Laufe der nächsten Jahrzehnte vollständig zum Tragen kommen werden – wenn die Bevölkerungsverluste nicht wiederum durch Immigration ausgeglichen werden.48

In den osteuropäischen Ländern verbreitet sich in diesem Zusammenhang die Angst vor »Entvölkerung«, einschließlich Ängsten vor dem »Verschwinden« der eigenen Nation, wenn die »autochthonen« Emigranten durch Immigranten von anderen Kontinenten ersetzt würden. Solche Ängste vor dem Verlust ethnokultureller Mehrheiten sind auch rechtspopulistischen Diskursen in Westeuropa nicht fremd. In den »kleinen Nationen« Ost(mittel)europas mit ihren traumatischen Geschichten hat diese »demographic anxiety« aber noch eine stärkere Resonanz und stärkt illiberale Projekte, die das nationale Überleben sichern sollen.49 Massive Emigration und die daraus entstehenden Ängste können also die Demokratie bedrohen. Umgekehrt – und das betrifft nun die Frage der Einwanderung – lässt sich hinter geschlossenen Grenzen jedoch keine offene Gesellschaft verwirklichen.50

Es gibt also keine einfachen Lösungen, weder in Form vollständig geschlossener noch bedingungslos geöffneter Grenzen. Die Aufgabe ist es daher, die erwähnten Spannungen auszuhalten und zu moderieren, die mit Migrationsprozessen einhergehen. Dabei ist auch das von dem Soziologen Albert Scherr formulierte Argument zu bedenken, dass die Utopie offener Grenzen »eine nachgelagerte und halbierte Utopie [ist], die das Scheitern der primären menschenrechtlichen Utopie der Durchsetzung der Menschenrechte in allen Staaten voraussetzt und ausklammert, dass es gute Gründe gibt, das Recht, nicht zu fliehen oder aus materieller Not migrieren zu müssen, als ethisch und praktisch vorrangig gegenüber dem Recht zu betrachten, andernorts Aufnahme und Schutz zu finden«.51 Hier geht es also um ein »Bleiberecht« in einem anderen als dem bisher diskutierten Sinne: das Recht, im eigenen Land bleiben zu können und nicht migrieren zu müssen.

Aber wie Scherr richtig feststellt, ist auch diese Imagination einer Welt, in der es keine Migrations- und Fluchtursachen gibt und alle dort bleiben können, wo sie möchten, eine Utopie. Unter den Bedingungen der realen Welt ergibt sich vorerst die eigentlich moderate, in der »Festung Europa« aber doch radikale Forderung nach mehr legalen Migrationswegen. Dies würde auch verhindern, dass sich Menschen auf den Flüchtlingsstatus berufen müssen, die ihn sehr wahrscheinlich nicht bekommen.52 Dazu würde zudem die Entstigmatisierung von »Wirtschaftsmigration« gehören: Die angestrebte Verbesserung der eigenen Lebenschancen und der Zukunft der Kinder ist vielfach die wichtigste Triebkraft hinter Migrationsprojekten, und daran ist nichts Verwerfliches. Dafür bräuchte es mehr »Vordereingänge« statt der hier diskutierten »Hintertüren« von Zuwanderung und dem »Ersitzen« eines Aufenthaltsrechts.


Anmerkungen:

2 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Sisojeva u.a. gegen Lettland, Urteil vom 16.6.2005, Bsw. 60654/00, URL: <https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20050616_AUSL000_000BSW60654_0000000_000>.

3 In diesem Essay verwende ich das generische Maskulinum unter Einschluss beider Geschlechter.

4 EGMR (Anm. 2). Wie das Urteil darlegt, hatte es aber keinen »Ausweisungsbefehl« gegeben.

5 Ebd.

6 Procès-verbal de lʼAssemblée Nationale, Bd. 66, 9.8.1791, S. 26, URL: <https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb10549732?page=326,327>.

7 Zum bundesdeutschen Fall während des Kalten Krieges vgl. Jannis Panagiotidis, The Right to the Family and Freedom of Movement. Challenging Migration Restrictions during the Cold War, in: Julia Moses (Hg.), Human Rights, the Family and Internationalism Since the Nineteenth Century, Cham 2024 (in Vorbereitung); speziell zum Kontext von »Gastarbeiter«-Migration in die Bundesrepublik vgl. Lauren Stokes, Fear of the Family. Guest Workers and Family Migration in the Federal Republic of Germany, Oxford 2022; zur Emigration aus Polen siehe Dariusz Stola, Kraj bez wyjścia? Migracje z Polski 1949–1989 [Land ohne Ausweg? Migration aus Polen, 1949–1989], Warszawa 2010, sowie ders., Das kommunistische Polen als Auswanderungsland, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 2 (2005), S. 345-365.

8 Matthew Gibney, Banishment and the Pre-History of Legitimate Expulsion Power, in: Citizenship Studies 24 (2020), S. 277-300.

9 William Walters, Deportation, Expulsion and the International Police of Aliens, in: Citizenship Studies 6 (2002), S. 265-292. Zu den Besonderheiten während der Weimarer Republik siehe den Beitrag von Julia Wambach und Jasper Theodor Kauth in diesem Heft.

10 Klaus Pfeiffer/Joachim Rott, Die erste Ausbürgerungsliste vom 25. August 1933, Berlin 2016.

11 Josephine Ulbricht, Das Vermögen der »Reichsfeinde«. Staatliche Finanzverwaltung und Gegnerverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland, Berlin 2022, Kap. 4.

12 Frank Caestecker, The Transformation of Nineteenth-Century West European Expulsion Policy, 1880–1914, in: Andreas Fahrmeir/Olivier Faron/Patrick Weil (Hg.), Migration Control in the North Atlantic World. The Evolution of State Practices in Europe and the United States from the French Revolution to the Inter-War Period, New York 2003, S. 120-137; Christiane Reinecke, Grenzen der Freizügigkeit. Migrationskontrolle in Großbritannien und Deutschland, 1880–1930, München 2010.

13 Für einen Überblick siehe Jan Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt. Paradigmatische Überlegungen zum grundrechtlichen Freiheitsschutz in historischer und verfassungsrechtlicher Perspektive, Tübingen 1997.

14 Ausländerpolizeiverordnung vom 22.8.1938, URL: <https://www.zaoerv.de/08_1938/8_1938_1_b_
793_799_1.pdf
>.

15 Jerzy Tomaszewski, Auftakt zur Vernichtung. Die Vertreibung polnischer Juden aus Deutschland im Jahre 1938, Osnabrück 2002; Alina Bothe/Gertrud Pickhan (Hg.), Ausgewiesen! Berlin, 28.10.1938. Die Geschichte der »Polenaktion«, Berlin 2018.

16 Vgl. Gianni d’Amato, Vom Ausländer zum Bürger. Der Streit um die politische Integration von Einwanderern in Deutschland, Frankreich und der Schweiz, Münster 2001, S. 88f.

17 Siehe z.B. Miltiadis Oulios, Blackbox Abschiebung. Geschichte, Theorie und Praxis der deutschen Migrationspolitik, Berlin 2015; Sieglinde Rosenberger/Verena Stern/Nina Merhaut (Hg.), Protest Movements in Asylum and Deportation, Cham 2018.

18 Frank Wolff, Die Mauergesellschaft. Kalter Krieg, Menschenrechte und die deutsch-deutsche Migration, 1961–1989, Berlin 2019; Renate Hürtgen, Ausreise per Antrag: Der lange Weg nach drüben. Eine Studie über Herrschaft und Alltag in der DDR-Provinz, Göttingen 2014; Yuliya von Saal, KSZE-Prozess und Perestroika in der Sowjetunion. Demokratisierung, Werteumbruch und Auflösung 1985–1991, München 2014.

19 Jannis Panagiotidis, The Power to Expel vs. the Rights of Migrants. Expulsion and Freedom of Movement in the Federal Republic of Germany, 1960s–1970s, in: Citizenship Studies 24 (2020), S. 301-318.

20 Ausländergesetz vom 28.4.1965, in: Bundesgesetzblatt, Teil I, Nr. 19, 8.5.1965, S. 353-362.

21 Seit der DP-Migration der frühen Nachkriegszeit waren verschiedene konfessionelle Wohlfahrtsorganisationen für unterschiedliche Migrationsgruppen zuständig: die katholische Caritas für katholische Migranten etwa aus Spanien und Italien, die protestantische Diakonie für orthodoxe Griechen sowie die säkulare Arbeiterwohlfahrt für Türken und später auch Jugoslawen, Marokkaner und Tunesier. Vgl. Traugott Jähnichen/Uwe Kaminsky/Reinald Lukas, Fürsorge – Beratung – Empowerment. Zur Geschichte der diakonischen Ausländersozialbetreuung für griechische Arbeitsmigranten, Kamen 2014, S. 31.

22 Senator für Inneres an Senator für Arbeit und Soziales, 7.5.1976, Betr.: Gewährung von Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz an Ausländer, Bundesarchiv, B 106/115776.

23 Oona Kroisleitner/Elisa Tomaselli/Stefanie Rachbauer, Der Fall Tina und seine Folgen, in: Standard, 18.8.2022, S. 7. Vgl. zur Situation in Österreich auch Melina Oswald, Das Bleiberecht. Das Grundrecht auf Privat- und Familienleben als Schranke für Aufenthaltsbeendigungen, Wien 2012.

24 Dobrindt beklagt eine »Anti-Abschiebe-Industrie«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.5.2018. Zusammen mit »Menschenrechtsfundamentalismus« und »Ankerzentrum« wurde dieser Begriff für 2018 als »Unwort des Jahres« ausgewählt: <https://www.unwortdesjahres.net/unwort/das-unwort-seit-1991/2010-2019/>.

25 Siehe etwa Anna-Theresa Bachmann u.a., Dieses Flüchtlingsschiff sank vor zehn Jahren im Mittelmeer. 366 Menschen starben. Der EU-Kommissionspräsident sagte: »Diese Art von Tragödie darf sich nicht wiederholen.« Heute ist sie beinahe Alltag. Wieso findet Europa keine Antwort auf das Sterben?, in: ZEIT, 5.10.2023, S. 17-19.

26 Kroisleitner/Tomaselli/Rachbauer, Der Fall Tina (Anm. 23).

27 Mario Savino, The Right to Stay as a Fundamental Freedom? The Demise of Automatic Expulsion in Europe, in: Transnational Legal Theory 7 (2016), S. 70-94.

28 Vgl. Oulios, Blackbox Abschiebung (Anm. 17), S. 198.

30 Ebd., S. 373.

31 Bridget Anderson/Nandita Sharma/Cynthia Wright, Editorial: Why No Borders?, in: Refuge. Canada’s Journal on Refugees 26 (2011) H. 2, S. 5-18.

32 Volker M. Heins, Offene Grenzen für alle. Eine notwendige Utopie, Hamburg 2021, S. 10f.

33 Joseph H. Carens, The Ethics of Immigration, Oxford 2013, S. 225-254; zuerst in: ders., Aliens and Citizens. The Case for Open Borders, in: Review of Politics 49 (1987), S. 251-273.

34 Carens, Ethics (Anm. 33), S. 227f.

35 Vgl. Cecilia Bruzelius, Taking Emigration Seriously. A New Agenda for Research on Free Movement and Welfare, in: Journal of European Public Policy 28 (2021), S. 930-942.

36 Jagdish N. Bhagwati, Taxing the Brain Drain, in: Challenge 19 (1976) H. 3, S. 34-38.

37 Vgl. Speranta Dumitru, Migration qualifiée, développement et égalité des chances. Une critique de la taxe Bhagwati, in: Revue de Philosophie Économique 13 (2012) H. 2, S. 63-91. Zu Remittances und ihren stabilisierenden Effekten in den Herkunftsländern siehe z.B. Roy Germano, Outsourcing Welfare. How the Money Immigrants Send Home Contributes to Stability in Developing Countries, Oxford 2018.

42 Bevölkerungsentwicklung in Ost- und Westdeutschland zwischen 1990 und 2022: Angleichung oder Verfestigung der Unterschiede?, URL: <https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/Aspekte/demografie-bevoelkerungsentwicklung-ost-west.html>.

43 Population Trends: Eastern Europe is Drifting Away from the West, Österreichische Akademie der Wissenschaften, 22.6.2018.

44 Vgl. dazu jüngst auch die dependenztheoretischen Überlegungen von Martin Seeliger/Christof Roos/Max Nagel, Personenfreizügigkeit im gemeinsamen Markt und ihre Auswirkungen im Herkunftsland – Win-win-Situation oder Abhängigkeit?, in: Leviathan 51 (2023), S. 396-422.

48 Unter den genannten Ländern ist in Rumänien der Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre von 11 Prozent im Jahr 1990 auf 19 Prozent im Jahr 2022 gestiegen, in Bulgarien von 14 auf 22 Prozent. Ähnlich sieht es in Lettland und Litauen aus: <https://data.worldbank.org/indicator/SP.POP.65UP.TO.ZS?end=2022&locations=LT-LV-BG-RO&start=1990>.

49 Ivan Krastev, Democracy, Demography and the East-West Divide in Europe, Groupe d’études géopolitiques, 17.1.2022; ders., The Fear of Shrinking Numbers, in: Journal of Democracy 31 (2020) H. 1, S. 66-74.

50 Volker M. Heins/Frank Wolff, Hinter Mauern. Geschlossene Grenzen als Gefahr für die offene Gesellschaft, Berlin 2023.

51 Albert Scherr, Bewegungsfreiheit, Grenzziehungen und die Problematik der Forderung nach offenen Grenzen, in: Julia Glathe/Laura Gorriahn (Hg.), Demokratie und Migration. Konflikte um Migration und Grenzziehungen in der Demokratie, Baden-Baden 2022, S. 117-136, hier S. 127.

52 Vgl. ebd., S. 117.

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