Politische Gewalt als emotionale Befriedigung

Richard F. Behrendts vergessener Geniestreich aus dem Jahr 1932

Anmerkungen

Richard F. Behrendt, Politischer Aktivismus.
Ein Versuch zur Soziologie und Psychologie der Politik,
Leipzig: C.L. Hirschfeld 1932.

Das Jahr 1932 war ein Jahr der Extreme, mit gewaltsamen Straßenprotesten, Ausnahmegesetzen und der Rückkehr des Hungers. Es wurde zum negativen Schlüsseljahr der Weimarer Republik. Eine der originellsten, heute allerdings völlig vergessenen Krisendiagnosen dieser Zeit stammt von Richard F. Behrendt, dessen Analyse der »Psychologie der Politik« zentrale Ansätze der historisch-soziologischen Gewaltforschung der letzten drei Jahrzehnte gewissermaßen intuitiv vorwegnimmt.[1]

Das schmale, weniger als 200 Seiten umfassende Buch ist der Geniestreich eines erst 24-jährigen Mannes, gewissermaßen sein »second book« nach der kurz zuvor beim deutschen Nationalökonom Hans Ritschl in Basel abgeschlossenen Promotionsschrift.[2] Richard Fritz Walter Behrendt, geboren 1908 im schlesischen Gleiwitz und aufgewachsen in Fürstenwalde nahe Berlin, war der Sohn eines jüdischen Fabrikanten, offenbar früh selbstständig und hochbegabt. Das Gymnasium verlässt Behrendt vor dem Abitur, doch wird er nach erfolgreicher Sonderprüfung beim preußischen Kulturministerium zum Studium zugelassen. Formal ist Behrendt ein Vertreter der »Kriegsjugendgeneration«, doch anders als viele seiner publizistisch ambitionierten männlichen Altersgenossen steht er dem selbstgefälligen Pathos um die vermeintliche »Sendung der jungen Generation«, die zu einer völligen sozialen und politischen Neugestaltung berufen sei, fern.[3] Seine Zeitdiagnose enthält sich denn auch jeder direkten tagespolitischen Wertung. Trotz der vielen im Buch angeführten Beispiele aus der abendländischen Kulturgeschichte wird dem Leser jedoch schnell klar: Hier schreibt ein ebenso belesener wie hochpolitischer Kopf, der geschult an Robert Michels und Alfred Weber, aber auch stark beeinflusst von Sigmund Freud die letzten Zuckungen der Weimarer Republik als Zeit- und Augenzeuge in Berlin miterlebt.

Ausgangspunkt für Behrendts Überlegungen ist die klassisch kulturkritische Annahme, das die industrielle Moderne seit dem späten 19. Jahrhundert zu einer »radikale[n] Politisierung der vergesellschafteten Menschen« geführt habe (S. 57).[4] Er begründet dies jedoch weder wie die politische Linke mit der objektiven Klassenlage noch wie die politische Rechte mit Verweis auf gekränkten Nationalstolz, drohende Pöbel- oder Fremdherrschaft oder ganz allgemein mit »Vermassung« und »Nivellierung«. Für Behrendt ist der zentrale Punkt, dass »keine unpolitischen sozialen Gebilde wesentliche Emotionen ihrer Mitglieder mehr befriedigen können« (S. 58). Ähnlich wie Georg Lukács, der in seiner berühmten »Theorie des Romans« 1920 eine »transzendentale Obdachlosigkeit« des modernen Individuums diagnostizierte,[5] geht auch Behrendt von einer gesteigerten »Erlösungsbedürftigkeit«, einer »seelischen Unausgefülltheit« des Menschen in einer sich stetig weiter rationalisierenden Industriegesellschaft aus. Für die Gegenwart sei nun charakteristisch, dass sich die Erlösungsbedürftigkeit mangels Alternativen immer mehr auf »Fixierungsobjekte« in der politischen Sphäre richte – Politik werde eine Art Herzensangelegenheit in des Wortes engerem Sinne.[6] Die Tendenz zur Sinnaufladung des Politischen werde zusätzlich dadurch verstärkt, dass ethische Forderungen, »sozial zu leben und zu fühlen«, im Verlauf des Prozesses der Zivilisation (wie Nobert Elias es einige Jahre später nannte) zunähmen, obwohl die freie Entfaltung individueller Lebensentwürfe und des »Trieblebens« objektiv immer unmöglicher werde (S. 59). Hier argumentiert Behrendt klassisch freudianisch. Vor diesem Hintergrund erscheine nun die (politische) Tat als eine der ganz wenigen Lösungen, der drohenden Herausbildung von »akuten Neurosen« zu begegnen, ja die gruppendynamische Tat allein sei geeignet, »frei schwebende Libido zu fesseln und dem Einzelnen Befriedigung zu geben« (S. 61). Die moderne Gesellschaft, so Behrendt, müsse daher beinahe zwangsläufig in »von kollektiver Aktivität erfüllte und getragene Gruppen« zerfallen, jedenfalls solange keine »nicht reale Aggressivität erstrebenden Gebilde« (S. 178) vorhanden seien, die Ordnung stiften und damit die sinnhafte Bindung des Einzelnen an ein (vorgestelltes) Ganzes erlauben würden.[7]

Der kleinste gemeinsame Nenner der zersplitterten Gruppen sei die »Gruppen-Aggressivität. Hier – und nur hier – bietet sich dem Menschen unserer Zeit Gelegenheit zu ungehemmter Entfaltung an einem Objekt, zu emotionaler Verwirklichung«, so Behrendt (S. 62). Moderne Politik funktioniere wie ein sportliches Massenspektakel, reiche aber tiefer: Während nur wenige Sportler bzw. Politiker konkret gestalten könnten, würden sehr viel mehr Menschen emotional in die Dynamik des sportlichen bzw. politischen Kampfes einbezogen. Was oberflächlich aussehe wie ein freiwilliges politisches Bekenntnis der Massen, sei durch die peinigende Hoffnung auf Erlösung getrieben, also gewissermaßen zwanghaft (S. 63). Dieser Zusammenhang sei den handelnden Akteuren in der Regel kognitiv nicht zugänglich, erkläre aber die Intensität der politischen Auseinandersetzungen. Hinter dem Ornament der Masse, ihrer politisch organisierten »Gruppen-Aggressivität« verberge sich ein fundamentales menschliches Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit in der Moderne.[8]

Es ist hier nicht der Raum, solche massenpsychologischen Erklärungen kollektiven Gewalthandelns einer umfassenden Kritik zu unterziehen. Im besten heuristischen Sinne will ich stattdessen die Vorzüge und die Aktualität des Behrendt’schen Ansatzes für die historisch-soziologische Gewaltforschung hervorheben. Drei Aspekte sind besonders zu nennen.

Erstens bietet Behrendt eine frühe Erklärung für das vielfach konstatierte Phänomen, dass politisches Gewalthandeln in der Weimarer Republik zwar gewöhnlich im Namen von politischen Ideologien und deren Zielen gerechtfertigt wurde, diese vermeintlich ideologische Motiviertheit in konkreten Handlungszusammenhängen jedoch selten empirisch nachweisbar ist. Mit gegenwärtigen praxeologischen Ansätzen teilt er die Prämisse, dass der Sinn des Gewalthandelns vor allem in dessen Vollzug aufzufinden sei. Das politische Bewusstsein vieler Weimarer Gewaltmenschen scheint auch nach den Ergebnissen der historischen Forschung in vielen Fällen kaum über ein einfaches Freund-Feind-Schema hinausgegangen zu sein. Parteiaktivisten waren mehr an der Aktion als solcher interessiert denn an einer konkreten Partei mit ihrer spezifischen Programmatik, auch wenn letztere nicht völlig irrelevant war.[9]

Zweitens liefert Behrendt eine ebenso beißende wie treffende Kritik der verbreiteten Annahme zweckrationalen Handelns als Folge politischen Bewusstseins. Marxistische Ansätze, die nach der objektiven sozialökonomischen Situation fragen und darauf aufbauend dann die Angemessenheit von politischem Handeln erläutern, hält er nicht für zielführend. Bei Politik gehe es letztendlich immer um Führerauslese und Menschenführung. Individuen, zu Menschenmassen verdichtet, ließen sich in der Hochmoderne am besten führen, wenn man ihre emotionalen Bedürfnisse so ausnutze, dass fundamentale Lebensthemen mit der täglichen politischen Arbeit verknüpft würden und dieser Prozess den »Aktivisten« zugleich als selbstgewählte, sinnvolle Aufgabe erscheine: »Nie wird sich die lebendige Kraft, die überwältigende Begeisterung einer echt aktivistischen Bewegung durch wirtschaftliche Motive erklären lassen.« (S. 79) Vor dem Hintergrund des Entstehungskontextes hieß das: Selbst wenn eine möglicherweise bevorstehende NS-Regierung unter Hitler rasch in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sollte, womit viele politische Beobachter fest rechneten, werde dies keinesfalls zwangsläufig zu sinkenden Zustimmungsraten führen. Wichtiger sei etwas, was man in Anlehnung an Sara Ahmed heute Gefühlspolitik nennen könnte.[10] Behrendt belässt es jedoch nicht bei diesem Befund, sondern treibt sein Argument auf die Spitze: Der politische Aktivismus sei nicht nur keinen ökonomischen Zwecken verpflichtet, er verfolge sogar »überhaupt keine rationalen, verstandesmäßig zu begründenden oder zu widerlegenden Ziele« (S. 80). Die politische Aktivität sei ausschließlich Selbstzweck: »Durch die Hingabe an die Totalität der aktuellen Situation absorbiert zu werden, ist dem aktivistischen Menschen höchstes subjektives Ziel und Erlösung.« (S. 81)[11]

Die historische Gewaltforschung zur Zwischenkriegszeit hat andere Akzente gesetzt. So hat Dirk Schumann in seiner maßgeblichen Studie aus dem Jahr 2001 hervorgehoben, es sei gerade das »Besondere der Weimarer Gewaltgeschichte« gewesen, dass es den verfeindeten Gruppen »im Prinzip immer um die Grundlagen des politischen Systems ging und nicht bloß um Detailforderungen«.[12] Solche Aussagen beschreiben zweifellos ein wichtiges Charakteristikum des politischen Diskurses jener Zeit. Die Neulektüre des Behrendt’schen Textes macht jedoch einmal mehr darauf aufmerksam, dass von einer Beschreibung des Diskurses nicht umstandslos auf die Handlungsrationalitäten geschlossen werden sollte, oder, um es mit Jürgen Habermas zu sagen, dass Geschichte nicht in dem aufgeht, was »die Menschen wechselseitig intendieren«.[13] Während die Sozialgeschichte deutscher Prägung aus dieser Einsicht den Auftrag ableitete, überindividuelle Zusammenhänge, Strukturen und Prozesse auf der Makro- und Mesoebene zu untersuchen, verfolgt Behrendt – ähnlich wie etwa die neue Mikrosoziologie der Gewalt von Randall Collins[14] – einen Ansatz, der konsequent die Rationalität einzelner Akteure in einer eng umgrenzten Zeitspanne betrachtet.

Wenn man so vorgeht, dann zeigt sich – drittens –, dass die Bewertung des politischen Handelns durch die Akteure nicht an objektiv messbare Kriterien von »Erfolg« gekoppelt sein kann. Wichtig sei primär das Zustandekommen von »Entscheidungen« – und seien diese auch negativ. Im Hinblick auf die politische Praxis der Weimarer Republik hieß das: Für Politikaktivisten war die Saalschlacht zwischen verfeindeten Parteien – selbst wenn die eigene Seite unterlegen war – befriedigender als jedes im Parlament beschlossene Gesetz. Im Gewaltzusammenstoß erlebte das Individuum sein Wollen und Können zumindest temporär als kongruent (S. 82). Die idealtypische Form solcher Vergemeinschaftung war für Behrendt in Anlehnung an Herman Schmalenbach und Max Weber der von einem charismatischen Führer befehligte »Bund«. Dieser sei jedoch immer ein Ausnahmezustand, ein Übergangsstadium zwischen (intimer) Gemeinschaft und (anonymer) Gesellschaft. Schon aufgrund seines temporären Charakters gehe ein Bund auf Distanz zur bestehenden Ordnung und idealisiere die Zukunft. Er sehe sich stets als »Vortrupp«, »Avantgarde«, »Elite« (S. 96-103, S. 106).

Das Gewalthandeln solcher Bünde mit politischer Mission, ihre »Vergemeinschaftung durch Gewalt« (Sven Reichardt)[15] gehe nun, so Behrendt weiter, bei allen »politisch-aktivistischen Bewegungen« mit einem »Gleichheitsfanatismus« einher. 1932 wusste jeder aufmerksame Leser, dass sich Passagen wie die folgende direkt gegen Nationalsozialisten wie Kommunisten wandten: »Je intensiver die Bindung, desto entschiedener folglich auch die fremde und feindselige Einstellung gegenüber allem Nicht-Gleichen. Diese kann sich, bei entsprechender Stärke der hinter ihr wirksamen Energien, zur Forderung nach dessen Ausrottung und damit nach Alleinherrschaft, ja Alleinexistenz der unter sich Gleichen emporsteigern. Restlose Homogenität einer Mehrzahl von Menschen (soweit sie überhaupt denkbar ist) ist also nicht ohne schärfste Diskrepanz gegenüber allen von ihnen als heterogen Empfundenen möglich.« (S. 87) Behrendt nimmt hier einen Wesenszug »totalitärer« Herrschaft vorweg, und zwar – das macht seinen Gedankengang so originell – ohne auch nur Parteiprogramme oder irgendeine andere ideologische Parteiäußerung bemühen zu müssen. Spitzt man seine Argumentation zu, dann ist jedem modernen Regime, das sich auf Formen eines massenwirksamen »politischen Aktivismus« stützt, die Möglichkeit zu Gewalt und Rassismus inhärent.[16]

Wenige Monate nach dem Erscheinen des Buches »Politischer Aktivismus« war Adolf Hitler Reichskanzler. Richard Behrendts Vater wurde im September 1933 verhaftet und ins KZ Sonnenburg eingeliefert.[17] Sein Sohn ging noch im gleichen Monat ins Schweizer Exil, besuchte später die London School of Economics und lehrte anschließend viele Jahre in Lateinamerika und den USA, wo er auch als Politikberater tätig wurde. Sein ebenso mutiges wie hellsichtiges Buch über politische Aktivisten als emotional bedürftige Selbstvergewisserer wurde in Deutschland wenige Monate nach Erscheinen von der Brutalität der Ereignisse überrollt; in Lateinamerika war es schlicht nicht von Interesse. Die deutsche Schule einer auch ideengeschichtlich fundierten Nationalökonomie geriet mit dem Nationalsozialismus in Vergessenheit,[18] und für eine interdisziplinäre Verbindung von Soziologie und psychoanalytisch grundierter Psychologie war auch im Nachkriegsdeutschland mit seiner Präferenz für die »harten« Sozialwissenschaften allenfalls marginal Platz; die »Frankfurter Schule« blieb eher eine Ausnahme.

Erst lange nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte Behrendt nach Berlin zurück, wo er zum Wintersemester 1965/66 eine Professur für Soziologie an der Freien Universität übernahm und zugleich Direktor des Instituts für Soziologie und Lateinamerikakunde wurde. Wenige Monate vor seinem Freitod im Oktober 1972 nannte er diese Entscheidung in einem Zeitzeugen-Interview mit dem Institut für Zeitgeschichte »die größte Dummheit meines Lebens«, bezeichnenderweise ohne dass sich der Fragesteller nach den Gründen dieser überaus negativen Lageeinschätzung eines beruflich sehr erfolgreichen, international bekannten deutsch-jüdischen Wissenschaftlers auch nur erkundigt hätte.[19] »Zeitlebens« sei er »ein liberaler Demokrat geblieben«, meinte Behrendt in diesem Interview, und er fügte halb augenzwinkernd, halb resignativ angesichts des politischen Klimas an der Freien Universität in den frühen 1970er-Jahren hinzu: »Ich muß bekennen, ich habe nicht viel dazugelernt.«[20]

Für die Gewaltgeschichte der Weimarer Republik – aber auch die Kulturgeschichte der Politik in der Moderne generell – enthält Behrendts Analyse aus dem Krisenjahr 1932 auch heute noch wichtige Anregungen und Einsichten. Wie man möglichst viele Menschen aktiv an politischen Prozessen beteiligt, aber zugleich die destruktiven und potentiell gewaltsamen Ausdrucksformen von »aktivistischer Politik« erfolgreich einhegt, ist nach wie vor eine zentrale politische Frage, die gleichfalls immer nur durch konkretes Handeln zu beantworten ist.[21]

Anmerkungen:

[1] Zum Forschungsstand siehe unlängst Jan Philipp Reemtsma, Gewalt als attraktive Lebensform betrachtet, in: Mittelweg 36 24 (2015) H. 4, S. 4-16; Felix Schnell, Gewalt und Gewaltforschung, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 8.11.2014, URL: <http://docupedia.de/zg/Gewalt_und_Gewaltforschung>; Jan C. Behrends, Gewalt und Staatlichkeit im 20. Jahrhundert. Einige Tendenzen zeithistorischer Forschung, in: Neue Politische Literatur 58 (2013), S. 39-58.

[2] Veröffentlicht als: Richard Behrendt, Die Schweiz und der Imperialismus. Die Volkswirtschaft des hochkapitalistischen Kleinstaates im Zeitalter des politischen und ökonomischen Nationalismus, Zürich 1932. Zur Biographie Behrendts siehe Katja Windisch, Gestalten sozialen Wandels. Die Entwicklungssoziologie Richard F. Behrendts, Bern 2005, S. 19-31.

[3] Siehe hierzu Daniel Siemens, Zum Geschichtsverständnis der jungen Generation in der Weimarer Republik, in: Martin Baumeister/Moritz Föllmer/Philipp Müller (Hg.), Die Kunst der Geschichte. Historiographie, Ästhetik, Erzählung, Göttingen 2009, S. 189-214; Daniel Morat, Kalte Männlichkeit? Weimarer Verhaltenslehren im Spannungsfeld von Emotionen- und Geschlechtergeschichte, in: Manuel Borutta/Nina Verheyen (Hg.), Die Präsenz der Gefühle. Männlichkeit und Emotion in der Moderne, Bielefeld 2010, S. 153-177.

[4] Pars pro toto: Georg Bollenbeck, Tradition, Avantgarde, Reaktion. Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moderne 1880–1945, Frankfurt a.M. 1999.

[5] Georg Lukács, Die Theorie des Romans, Berlin 1920.

[6] Anklänge an spätere Konzepte von »politischen Religionen« drängen sich dem heutigen Leser auf. Prägend wurde bekanntlich Eric Voegelin, Die politischen Religionen, Stockholm 1939.

[7] Behrendts Ideal war also das, was wir heute »Zivilgesellschaft« nennen – ein Begriff, der in den 1970er-Jahren neu geprägt wurde und in den 1990er-Jahren seinen bis heute fortdauernden Siegeszug antrat.

[8] Klassisch: Siegfried Kracauer, Das Ornament der Masse [1927], Frankfurt a.M. 1963.

[9] Zur Theorieabstinenz der bündischen Rechten vgl. neuerdings Rüdiger Ahrens, Bündische Jugend. Eine neue Geschichte 1918–1933, Göttingen 2015.

[10] Sara Ahmed, The Cultural Politics of Emotion, Edinburgh 2004.

[11] Die »aktivistischen« Rechtsintellektuellen der Zeit erkannten dies durchaus, ohne sich allerdings an den weitreichenden Konsequenzen ihrer Position zu stören. So schrieb Hans Freyer 1931, es komme gerade darauf an, »daß das neue Prinzip das aktive Nichts in der Dialektik der Gegenwart, also die reine Stoßkraft zu bleiben wagt; sonst ist es über Nacht eingebaut und kommt nie zu seiner Aktion« (zit. nach Daniel Morat, Von der Tat zur Gelassenheit. Konservatives Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger 1920–1960, Göttingen 2007, S. 43).

[12] Dirk Schumann, Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918–1933. Kampf um die Straße und Furcht vor dem Bürgerkrieg, Essen 2001, S. 17.

[13] Jürgen Habermas, zit. nach Thomas Welskopp, Unternehmen Praxisgeschichte, Historische Perspektiven auf Kapitalismus und Arbeit, Tübingen 2014, S. 57.

[14] Randall Collins, Violence. A Micro-Sociological Theory, Princeton 2008.

[15] Sven Reichardt, Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA, Köln 2002, 2., durchges. Aufl. 2009.

[16] In eine ähnliche Richtung argumentieren Thomas Kühne, Belonging and Genocide. Hitler’s Community, 1918–1945, New Haven 2010; Wolfgang Sofsky, Traktat über die Gewalt, Frankfurt a.M. 1996.

[17] Zum KZ Sonnenburg siehe Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 2: Frühe Lager, Dachau, Emslandlager, München 2005, S. 200-203.

[18] Vgl. Roman Köster, Die Wissenschaft der Außenseiter. Die Krise der Nationalökonomie in der Weimarer Republik, Göttingen 2011.

[19] Interview von Wolfgang Jean Stock mit Richard F. Behrendt in Berlin am 26. Juni 1972, in: Institut für Zeitgeschichte, München und Berlin, Archiv, Zeitzeugenschrifttum ZS-3007-1, URL: <http://www.ifz-muenchen.de/archiv/zs/zs-3007.pdf>.

[20] Den vorherrschenden Zeitgeist an den »linken« Universitäten der Bundesrepublik jener Jahre kritisierte er überaus scharf: »Daß der gestelzte Nihilismus eines Adorno, der pseudo-marxistisch-freudianische Anarchismus eines Herbert Marcuse, [...] die Verherrlichung revolutionärer Gewaltsamkeit durch einen [Frantz] Fanon – alles Rückfälle in Irrationalismus unter rationalen Formeln – auf viele junge ›Akademiker‹ so verführerisch wirken konnten, zeigt die Orientierungslosigkeit und Erlösungsbedürftigkeit dieser Menschen und damit das Versagen [...] unserer ›Wohlstandsgesellschaft‹.« (Richard F. Behrendt, Lob des Westens, Zürich 1971, S. 18f.)

[21] Behrendts »Lösungsvorschlag« war deutlich konventioneller als seine Diagnose. Im Schweizer Exil schrieb er 1935: »Die Zukunft der Demokratie wird unzweifelhaft davon abhängen, ob es gelingen wird, den Absturz immer breiterer Volksmassen in die Primitivität des Extremismus und den Rausch elementarer Schlagwortmystik vorerst aufzuhalten und sodann durch eine solide und deshalb langfristige Erziehungsarbeit rückgängig zu machen.« Erziehung zu Toleranz blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg einer der zentralen Grundpfeiler in Behrendts Denken. Nötig sei, so formulierte er 1963, der »Verzicht auf die einseitige ethnozentrische Ausrichtung, ja auf den Mißbrauch des Bildungswesens zur geistigen Fanatisierung der ihm unterworfenen jungen Menschen im Dienste partikularer, provinzieller Leitideen, seien sie nun die Nation, die Klasse, die Rasse – oder die Religion. Bildung in unserer Zeit muß in erster Linie Verständnis und Bejahung der einen und dennoch pluralistischen Welt sein.« (R[ichard] B[ehrendt], Zur Psychologie des politischen Radikalismus, in: Politische Rundschau – Revue Politique – Rivista Politica, hg. vom Generalsekretariat der freisinnig-demokratischen Partei der Schweiz, 14 [1935] H. 4, S. 121-128, hier S. 127; Richard F. Behrendt, Dynamische Gesellschaft. Über die Gestaltbarkeit der Zukunft, Bern 1963, S. 125.)

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